Ärzteschaft
Ärzte kritisieren Gesetzeslage zur Beschneidung von Jungen
Montag, 11. Dezember 2017
Berlin – Auch fünf Jahre nachdem der Bundestag die nicht therapeutische Vorhautentfernung an Jungen legalisiert hat, stößt die Entscheidung der Parlamentarier nach wie vor auf heftige Kritik bei Pädiatern, Kinderchirurgen, Psychotherapeuten und Menschenrechtlern. „Medizinisch nicht indizierte Beschneidungen verändern den Körper irreversibel und stehen bei nicht einwilligungsfähigen Jungen nicht im Einklang mit Gesundheitsschutz und Kindeswohl“, sagte Christoph Kupferschmid für die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ).
„Das Beschneidungserlaubnisgesetz lässt Jungen und die Erwachsenen, die aus ihnen werden, den Preis dafür zahlen, dass sich unsere Gesellschaft einer schwierigen Debatte entziehen will“, betonte Victor Schiering, erster Vorsitzender von „MOGiS - Eine Stimme für Betroffene“. Er monierte, Jungen seien per Gesetz ohne jeden wirksamen staatlichen Schutz gestellt. Schiering sieht die Politik aufgefordert, sich „endlich angemessen mit dieser ethisch und menschenrechtlich unerträglichen Situation auseinanderzusetzen.
Kinderärzte: Eingriff oft nicht fachgerecht
Laut dem am 12. Dezember 2012 vom Bundestag beschlossenen Gesetz sind religiöse Beschneidungen an Jungen in Deutschland zulässig. Die Abgeordneten billigten damals nach monatelanger kontroverser Debatte eine Regelung, die den Eingriff erlaubt, wenn er nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt. In den ersten sechs Lebensmonaten dürfen allerdings Säuglinge auch von religiösen Beschneidern, die keine Ärzte sind, beschnitten werden. Diese müssen aber laut dem Gesetz dafür ausgebildet sein.
Daran mangelt es laut den Kritikern des Gesetzes allerdings. „Insbesondere in den ersten sechs Monaten nach der Geburt, wenn sogar Nicht-Ärzte eine Vorhautentfernung vornehmen dürfen, werden Beschneidungen oft ohne ausreichende Betäubung und daher nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen. Die Kinder erleiden dabei unnötige Schmerzen“, kritisierte Kupferschmid von der DAKJ.
„Es gibt aus Sicht eines gesunden kleinen Jungen keinen medizinischen und schon gar keinen ärztlich zu rechtfertigenden Grund ihm seine gesunde Vorhaut, den sensibelsten Teil seines Gliedes, abzuschneiden und dadurch seine sexuelle Selbstbestimmung und genitale Integrität ohne dokumentierte Diagnose irreversibel und schwer zu beschädigen“, sagte Matthias Franz für die Sektion Kinder- und Jugendpsychosomatik der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM).
2012 hatten Vertreter verschiedener Parteien das Gesetz begrüßt. Es sei in Deutschland jahrzehntelang nicht ernsthaft bezweifelt worden, „dass sich Eltern straffrei für eine medizinisch fachgerechte Beschneidung ihres Sohnes entscheiden können“, sagte die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP).
Frank-Walter Steinmeier – damals SPD-Fraktionschef – hatte betont, es gehe darum, einen Ritus aufrechtzuerhalten, der für die Religionsausübung unverzichtbar sei. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast erklärte seinerzeit, die Beschneidung von Jungen im Säuglingsalter sei konstitutiv für das Judentum. Deshalb wolle sie den Eingriff nicht kriminalisieren. Sie äußerte sich zugleich kritisch zu dem Ritual. „Ich würde mir wünschen, dass sich Religion erneuert“, sagte sie 2012.
© hil/aerzteblatt.de

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