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Politik

Lob und Kritik an Ergebnissen der schwarz-roten Sondierer

Freitag, 12. Januar 2018

/sharaku1216, stock.adobe.com

Berlin – Es wird bei einer künftigen Großen Koalition keine Bürgerversicherung geben. Allein dass der Begriff in den Ergebnissen der Sondierungsverhandlungen nicht auftaucht, hat zumeist große Erleichterung bei den Ärztevertretern ausgelöst. Alles in allem gab es aber neben Lob auch Kritik.

Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Frank Ulrich Montgomery, bezeichnete das Einigungspapier als „Ausdruck der Vernunft und des Willens, Deutschland zukunfts­orientiert zu regieren“. Mit dem Ausbau der sektorenübergreifenden Versorgung, Neu­rege­lungen bei der Notfallversorgung und der Bereitstellung von Investitionsmitteln für neue Technologien und Digitalisierung würden die Parteispitzen einige der wichtigsten Zukunftsthemen benennen, die dringend angegangen werden müssen. Dabei verzichten sie auf ideologisch motivierte Experimente. Die geplante Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung halte er „für durchaus sinnvoll“, sagte Montgomery.

Sachlichkeit hat gewonnen

Offenbar habe die Sachlichkeit in den Sondierungsgesprächen obliegt, erklärte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, heute in einem Interview mit KV-on. Das gelte auch für die Bürgerversicherung. „Das war von Vornherein ein Thema, dessen Sinnhaftigkeit sich ja eigentlich niemandem wirklich erschlossen hat“, sagte Gassen.

Er betonte zugleich, die zustimmenden Äußerungen zur Bürgerversicherung einzelner Ärzteverbände hätten ihn „sehr verwundert“. „Es muss doch jedem klar sein, dass eine Bürgerversicherung in der Konzeption, wie sie vorlag, der Einstieg in ein staatliches Gesundheitswesen gewesen wäre. Und in einem solchen System würden sicherlich die Hausärzte auch einen Großteil von Lasten tragen müssen“, so Gassen. Gestern hatte der Deutsche Hausärzteverband erklärt, einer Bürgerversicherung werde man sich nicht per se verweigern.

Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt, zeigte sich heute ausdrücklich erleichtert. Er hoffe sehr, dass die Bürgerversicherung jetzt „auf absehbare Zeit auch das Ende einer völlig überflüssigen und verunsichernden Debatte über die Einführung einer Einheitsversicherung in Deutschland ist“. „Jetzt muss der Geist in der Flasche bleiben“, sagte Reinhardt.

Man werde sehr genau hinschauen und hoch wachsam sein, sollte es Versuche geben, das Thema durch die Hintertür wieder auf die Tagesordnung zu schieben. Die an dieser Stelle freiwerdende Energie müsse stattdessen dringend für wirklich notwendige Reformen des Gesundheitssystems aufgewendet werden, wenn es zum Beispiel gelte, intelligente Instrumente zur Patientensteuerung zu entwickeln, überflüssige Bürokratie abzubauen oder zunächst einmal wenigstens eine funktionierende Notfallversorgung zu organisieren, so Reinhardt. Die Liste der Projekte sei lang.

Budgetierung beenden

„Die Bürgerversicherung ist vorerst vom Tisch, und das ist gut so“, betonte der Bundesvorsitzende des NAV-Virchow-Bunds, Dirk Heinrich. Jetzt müsse sich zeigen, dass sich diese Linie auch in den Koalitionsverhandlungen durchsetze. Entscheidend sei, dass im Ergebnis der Koalitionsverhandlungen eine vernünftige Weiterentwicklung eines leistungsfähigen Gesundheitssystems stehe. Grundlage seien eine Beendigung der Budgetierung und eine Stärkung der Selbstverwaltungspartner im Gesundheits­wesen.

Der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, erkennt „wichtige und richtige Bekenntnisse im Eckpunktepapier der Sondierungsergebnisse“. Vor allen Dingen das klare Bekenntnis zu einem vollen Tarifausgleich, das bedeute zur vollständigen Refinanzierung der Tarifkosten, sei für die Krankenhäuser ein „starkes Signal, dass sich die schwierige betriebswirtschaftliche Situation der Kliniken verbessern könnte“, so Gaß.

Skepsis bei Personaluntergrenzen

Erfreulich sei zudem, dass die zukünftige Regierung die wohnortnahe Geburtshilfe ausdrücklich im Sondierungspapier verankert habe. „Dies sollte auch der GKV-Spitzen­verband endlich als Zeichen anerkennen, den Sicherstellungszuschlag für die Geburts­hilfe zu öffnen“, erklärte Gaß.

Bei der geplanten Ausweitung der Personaluntergrenzen auf alle bettenführenden Abteilungen benötigten die Krankenhäuser Vorbereitungszeit. Er bezeichnete die Pläne als eine „methodisch anspruchsvolle Aufgabe“. Für eine sektorübergreifenden Zusammen­arbeit, insbesondere bei der Notfallversorgung, verlangte er faire Rahmenbedingungen. Beim Thema Digitalisierung sei ein Sofort­programm nötig, um die Chancen dieses Bereiches für die stationäre Versorgung zu heben.

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) forderte, dass die Politik die Kinder verstärkt in den Blick nimmt. „Wir wünschen uns vor allem eine Stärkung der Pädiatrie. Kinder und Jugendliche und speziell ihr gesundes Aufwachsen gehören in den Fokus der nächsten Bundesregierung“, sagte BVKJ-Präsident Thomas Fischbach. Notwendig seien dringend mehr Kinder- und Jugendärzte und eine neue Bedarfs­planungsrichtlinie.

Der Verband der Ersatzkassen (vdek) bezeichnete die Wiedereinführung der paritä­tischen Finanzierung in der gesetzlichen Krankenversicherung und die schrittweise Einführung kostendeckender Beiträge aus Steuermitteln für die Bezieher von ALG II als positiv. Vdek-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner sagte, es sei konsequent, dass der Staat seiner Verpflichtung nachkomme, auskömmliche Beiträge für die Arbeitslosen zu bezahlen.

Pläne mit Leben füllen

Elsner betonte zudem, die Absichtserklärungen zur sektorenübergreifenden Versor­gung, zur besseren Vernetzung und Zusammenarbeit im Gesundheitswesen, insbeson­dere im Bereich der Notfallversorgung, und zu den erhöhten Investitionen im Bereich der Krankenhäuser und Digitalisierung müssten nun mit Leben gefüllt werden. Entschei­dend sei dabei, dass nicht allein die Krankenkassen und Beitragszahler der GKV zur finanziellen Verantwortung gezogen werden. Die Investitionsfinanzierung der Länder sei beispielsweise eindeutig Aufgabe der Länder.

Auch die Förderung der Alten- und Krankenpflege wird vom vdek begrüßt. Im Kranken­hausbereich müsse das allerdings bedeuten, dass gut gemeinte Pflegeprogramme nicht ins Leere laufen und von den Krankenhäusern zweckentfremdet werden. „Und wer mehr Geld für die Pflegekräfte in den Pflegeeinrichtungen fordert, muss auch gleich­zeitig sagen, wie das finanziert werden soll“, sagte Elsner.

Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, betonte, mit den Stichwörtern Notfallversorgung, bessere Pflege und Sicherstellung der flächendeckenden Gesundheitsversorgung seien „wesentliche Punkte angesprochen“. Es sei auch grundsätzlich richtig, dass die Personaluntergrenzen stärker in den Blick genommen werden sollen. Damit in Kliniken wirklich mehr Geld am Krankenbett ankomme, brauche es ein Gesamtkonzept und nicht einfach nur mehr Geld nach dem Gießkannenprinzip, sagte sie heute. Die Einführung kostendeckender Beiträge für die gesetzlich versicherten ALG-II-Bezieher sei „ein überfälliger Schritt, den wir begrüßen“.

Morbi-RSA fehlt

Enttäuschend sei, dass in den Sondierungsgesprächen offenbar das Thema Wett­bewerbs­situation der Krankenkassen keine Rolle gespielt habe. Hier fordern die Ersatzkassen seit Jahren eine Reform des Morbi-RSA. „Um eine gute Versorgung der Versicherten zu erreichen, müssen die finanziellen Rahmenbedingungen stimmen. Das ist derzeit nicht gegeben. Wir erwarten, dass dieses Thema in den nun folgenden Koalitionsverhandlungen aufgegriffen wird“, so die vdek-Vorstandsvorsitzende.

Auch Sozialverbände haben die von Union und SPD geplante Rückkehr zur Beitrags­parität in der gesetzlichen Krankenversicherung begrüßt. VdK-Präsidentin Ulrike Mascher sprach heute von „guten Nachrichten“ für die Versicherten. „Endlich wird die einseitige Belastung der Versicherten beendet und die gesetzliche Kranken­versiche­rung wieder solidarisch finanziert.“

Vorsichtig optimistisch zeigte sich der Präsident der rheinland-pfälzischen Landes­pflegekammer, Markus Mai. „Die Stärkung der Bezahlung nach Tarif in der Altenpflege muss tatsächlich stringent umgesetzt werden“, betonte Mai. Die „Refinanzierung von Tarifsteigerungen, verbunden mit der Nachweispflicht, dass dies auch tatsächlich bei den Beschäftigten ankommt“ sei für den Krankenhausbereich eine sinnvolle und notwendige Vereinbarung. Das Vorhaben, verbindliche Personalbemessungs­instrumente zu entwickeln und zu etablieren, bezeichnete er als „überfällig“. Als „besonders gutes Signal“ wertet der Kammerpräsident, dass die Parteien sich offensichtlich dem Bereich der Altenpflege besondere Beachtung widmen wollen.

Lob von Sozialverbänden

Auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) sprach von einem „guten Tag für die Versicherten“. Auch unabhängig von der positiven Beschäftigungslage sei die Rückkehr zur Parität in der Krankenversicherung überfällig, erklärte SoVD-Präsident Adolf Bauer. „Denn vor dem Hintergrund ständig steigender Gesundheitskosten ist das bewährte Solidarprinzip nötiger denn je.“

Die Opposition bemängelte hingegen, das notwendige Aufbruchssignal in Gesundheit und Pflege sei ausgeblieben, wie es die Sprecherin für Gesundheitspolitik der Grünen im Bundestag in der 18. Legislaturperiode, Maria Klein-Schmeink, nannte. „Die einzige wichtige Errungenschaft ist die Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung. Das ist jedoch meilenweit entfernt von der mit viel Getöse in die Verhandlungen einge­brachte Bürgerversicherung“, so Klein-Schmeink.

Wer zahlt die Rechnung?

Insbesondere in der Pflege würden Union und SPD weit hinter ihren wortreichen Solidaritätsbekundungen und auch weit hinter Jamaika zurückbleiben. „Die Sofort­programme entpuppen sich bei näherem Hinsehen als 8.000 zusätzliche Stellen in der Altenpflege und eine leichte Nachbesserung der Personaluntergrenzen im Kranken­haus“, mahnte Klein-Schmeink. Das sei „viel zu wenig“. Zudem drohe die Finanzierung der zusätzlichen Stellen in der Altenpflege an den Pflegebedürftigen hängenzubleiben.

Sorgenvoll bewertete der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) die Ergebnisse. „Gute Pflege braucht gutes Personal zu fairen Bedingungen“, sagte bpa-Präsident Bernd Meurer. Leider stehe in dem Papier nichts darüber drin, wer das bezahlen werde. „Fakt ist, dass ohne höhere Leistungen der Pflegeversicherung oder der Krankenversicherung absehbar höhere Kosten ganz allein zulasten der Pflege­bedürftigen, ihrer Angehörigen und der Sozialhilfeträger gehen“, so Meurer. Dies sei schon jetzt in Bundesländern wie zum Beispiel Brandenburg oder Sachsen-Anhalt, in denen die Löhne deutlich erhöht wurden, zu beobachten. © may/dpa/afp/aerzteblatt.de

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