Politik
Psychiater wechselte nach Tests an Heimkindern ins niedersächsische Sozialministerium
Dienstag, 16. Januar 2018
Hannover – Bei der Aufarbeitung umstrittener Medizinversuche an Heimkindern will Niedersachsen auch den Aufstieg eines verantwortlichen Arztes zum langjährigen Psychiatriereferenten im Sozialministerium untersuchen. Das teilte ein Ministeriumssprecher heute mit.
Der inzwischen verstorbene Psychiater und Leiter der Wunstorfer Jugendpsychiatrie, Hans Heinze junior, der in den 1960er-Jahren Psychopharmaka an Kindern und Jugendlichen getestet haben soll, war anschließend 15 Jahre lang bis 1989 in der wichtigen Funktion im Ministerium tätig.
Aufsicht über Landeskrankenhäuser
Damit führte er die Aufsicht über die damaligen Landeskrankenhäuser, in deren Kinder- und Jugendpsychiatrien die umstrittenen Arzneitests vorgenommen worden sein sollen, berichtete der NDR heute. Offen sei, ob der Mediziner im Ministerium weitere Versuche gedeckt oder auch voran getrieben habe.
Noch unklar ist auch, warum der Mediziner nach NDR-Recherchen noch 1978 eine Studie veröffentlichen konnte, in der er die Langzeitwirkung von Psychopharmaka bei Kindern eines Heimes in Rehburg-Loccum beschrieb, obwohl er damals bereits seit vier Jahren im Ministerium tätig war.
Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann (SPD) betonte die Bedeutung der von ihrem Haus in Auftrag gegebenen Untersuchung der Arzneimittelversuche an Heimkindern in den Nachkriegsjahrzehnten. „Die Aufklärung dieser Vorgänge ist außerordentlich wichtig – die Opfer, die großes Leid erfahren haben, müssen wissen, was wirklich geschehen ist. Und die Gesellschaft und Politik müssen aus Verbrechen, die in der Nachkriegszeit geschehen sind, Lehren für die Zukunft ziehen“, sagte sie.
Für das beauftragte Institut für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung steht außer Frage, dass strittige Arzneimittelstudien und Impfversuche damals auch in Niedersachsen durchgeführt wurden.
Im Fokus der Untersuchung stehe die Zusammenarbeit der Mediziner mit der Pharmaindustrie, insbesondere bei Medikamentenversuchen an Kindern und Jugendlichen in Heimen und der Psychiatrie, heißt es in der Studienbeschreibung des Instituts. Geklärt werden soll ferner die Frage, ob auch Jugendliche unter den Patienten der Göttinger Psychochirurgie waren, bei denen in den 1970er-Jahren ein Eingriff vorgenommen wurde.
In einer separaten 2016 beauftragten Untersuchung lässt das Sozialministerium die Rolle von Ärzten untersuchen, die nach einer Beteiligung an Nazi-Gräueln anschließend Aufgaben in der niedersächsischen Psychiatrie übernahmen. Der wohl gravierendste Fall ist Hans Heinzes gleichnamiger Vater, der an der Kinder- und Erwachseneneuthanasie der Nazis beteiligt war und nach dem Krieg Leiter der Jugendpsychiatrie in Wunstorf wurde. © dpa/aerzteblatt.de

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