Politik
Ethikkommission genehmigte Stickstoffdioxidtests an Menschen
Montag, 29. Januar 2018
Wolfsburg/Berlin – Angebliche Schadstoffversuche mit Menschen haben nach Angaben des zuständigen Institutsleiters Thomas Kraus von der Universität Aachen keinerlei Verbindung mit dem Abgasskandal von Volkswagen und der Automobilbranche. Die Studie von 2013 – lange vor dem VW-Dieselskandal – habe sich mit dem Stickstoffdioxidgrenzwert am Arbeitsplatz befasst, erklärte Kraus heute.
Weil der Grenzwert herabgesetzt worden sei und es keine Studien zu Menschen gegeben habe, seien 25 gesunde Menschen Belastungen ausgesetzt worden, die unterhalb der Belastungen am Arbeitsplatz lägen. Die Ethikkommission habe die 2016 veröffentlichte Studie als vertretbar bewertet.
Studie sei gefördert, aber nicht beeinflusst worden
Allerdings habe die von den Konzernen VW, Daimler und BMW gegründete Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT) die Studie gefördert, die Forscher jedoch „in keinster Weise“ beeinflusst, sagte Kraus. Der Institutsleiter erklärte weiter, die Stickstoffdioxid-(NO2-)Konzentration für die Studie sei vergleichbar mit der in der Umwelt gewesen. Die Probanden seien dieser Konzentration für drei Stunden ausgesetzt worden, gesundheitliche Effekte habe es nicht gegeben. „Es gibt keinen Zusammenhang mit dem Dieselskandal“, betonte er.
Stuttgarter Zeitung und Süddeutsche Zeitung hatten berichtet, im Abgasskandal um Dieselschadstofftests habe es nicht nur Versuche mit Affen, sondern auch mit Menschen gegeben. Beide schlussfolgerten dies aus den EUGT-Tätigkeitsberichten für die Jahre 2012 bis 2015. Dem war zu entnehmen, dass die EUGT eine „Kurzzeit-Inhalationsstudie mit Stickstoffdioxid bei gesunden Menschen gefördert“ hatte.
Tests an Affen
Stickstoffdioxid (NO2) ist der Schadstoff, dessen Messwerte von VW in den USA jahrelang manipuliert worden waren, um die gesetzlichen Grenzwerte für Dieselfahrzeuge offiziell einzuhalten. Tierversuche beim Test von Dieselabgasen hatten vor wenigen Tagen Empörung ausgelöst. Sie wurden durch US-Ermittlungen zur VW-Abgasaffäre bekannt. Affen waren dabei gezielt Schadstoffen ausgesetzt worden.
Die Tests mit den Affen waren Teil einer Studie, die beweisen sollte, dass die Diesel-Schadstoffbelastung dank moderner Abgasreinigung erheblich abgenommen hat. Deshalb hatte die EUGT – die von VW, Daimler und BMW finanzierte Lobby-Initiative – sie beim US-amerikanischen Lovelace Respiratory Research Institute in Auftrag gegeben. Federführend war laut dem Studienleiter dabei VW.
VW entschuldigte sich am Wochenende für die in den USA durchgeführten Versuche. „Wir sind der Überzeugung, dass die damals gewählte wissenschaftliche Methodik falsch war. Es wäre besser gewesen, auf eine solche Untersuchung von vornherein zu verzichten“, teilte der Konzern mit. Volkswagen distanziere sich klar von allen Formen der Tierquälerei. „Wir entschuldigen uns für das Fehlverhalten und die Fehleinschätzung Einzelner.“
Auch der Autobauer Daimler distanzierte sich ausdrücklich von den Studien und der EUGT. „Wir sind über das Ausmaß der Studien und deren Durchführung erschüttert“, hieß es in einer Stellungnahme. Daimler verurteile die Versuche auf das Schärfste. „Auch wenn Daimler keinen Einfluss auf den Versuchsaufbau hatte, haben wir eine umfassende Untersuchung eingeleitet, wie es dazu kommen konnte.“
Politik fordert Aufklärung
In der Politik wird unterdessen der Ruf nach einer Aufklärung der Vorwürfe lauter. Der niedersächsische Wirtschaftsminister und VW-Aufsichtsrat Bernd Althusmann (CDU) mahnte, die Verantwortlichen müssten sich jetzt ihrer Verantwortung stellen. „Hier darf es kein Vertuschen oder Verharmlosen geben. Ich rate dringend dazu, hier alles auf den Tisch zu legen.“ Es seien ethische Grenzen überschritten worden, was weder entschuldbar noch nachvollziehbar sei. Solche Versuche seien „dumm und töricht“, den Dieselskandal womöglich verharmlosen zu wollen, sei dreist.
Das Land Niedersachsen ist VW-Großaktionär. Es hatte schon am Samstag mitgeteilt, seine Vertreter im Kontrollgremium verlangten eine vollständige Aufklärung der Geschehnisse von 2014, von denen sie aus den Medien erfahren hätten. „Zehn Affen stundenlang mutwillig Autoabgase einatmen zu lassen, um zu beweisen, dass die Schadstoffbelastung angeblich abgenommen habe, ist widerlich und absurd“, hatte Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil (SPD) gesagt.
Tests nicht zu rechtfertigen
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Schadstofftests scharf verurteilt und Aufklärung eingefordert. „Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert heute. Die Empörung vieler Menschen sei „absolut verständlich“. Den Aufsichtsräten der Auftraggeber der Tests komme nun eine besondere Verantwortung zu, kritische Fragen auch zur Zielsetzung der Tests zu beantworten. Die Autokonzerne hätten Schadstoffemissionen zu begrenzen und Grenzwerte einzuhalten und nicht die vermeintliche Unschädlichkeit von Abgasen zu beweisen.
Der geschäftsführende Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) kritisierte die Tests ebenfalls scharf, die ausschließlich PR-Zwecken dienten, wie ein Sprecher sagte. Die Untersuchungskommission des Ministeriums zum Abgasskandal solle in einer Sondersitzung prüfen, ob es weitere Fälle gibt. Die Autokonzerne seien aufgefordert worden, umgehend und detailliert Stellung zu nehmen.
Der Abgasskandal war im September 2015 ins Rollen gekommen. Damals hatte VW eingeräumt, bei Millionen von Dieselfahrzeugen bei Abgastests manipuliert zu haben. Volkswagen hatte dies in eine schwere Krise gestürzt, der Skandal hat den Konzern Milliarden gekostet. Auch bei anderen Autobauern wurden zum Teil drastische Abweichungen der Abgaswerte zwischen Prüfstand und Straße festgestellt. Die Neuzulassungen von Dieselfahrzeugen sind seit Monaten auf Talfahrt. © dpa/aerzteblatt.de

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