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FSME-Infektionen breiten sich nach Norden aus

Dienstag, 6. März 2018

/dpa

Stuttgart – Mit Frühsommer-Meningo­enzephalitis (FSME) infizierte Zecken breiten sich in Deutschland Experten zufolge weiter in den Norden aus. Zwar treten die aller­meisten Fälle von FSME nach wie vor in Bayern und Baden-Württemberg auf, wie Forscher der Universität Hohenheim heute in Stuttgart erklärten. Doch zuletzt hätten sich demnach auch vermehrt Menschen an der niedersächsisch-niederländischen Grenze, in privaten Gärten in Berlin oder auch in Stadtparks in Mecklenburg-Vorpommern angesteckt. Dabei handelt es sich jeweils um wenige Einzelfälle.

„Zum allerersten Mal erhalten wir sogar Erkrankungsberichte aus den Niederlanden“, betonte Zeckenexpertin Ute Mackenstedt, Leiterin des Fachgebiets Parasitologie an der Uni Hohenheim. Sie sprach von neuen „Hot-Spots“. Gerhard Dobler erläuterte, das erstaunliche sei, „dass Zecken-Hot-Spots oft nicht größer als ein Fußballfeld oder nur halb so groß sind und über Jahre stabil bleiben“. Dobler ist Leiter der Abteilung für Virologie und Rickettsiologie am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München und des Nationalen Konsiliarlabors für FSME. Zusammen mit Landschafts­ökologen wollen die Zecken-Fachleute jetzt herausfinden, ob die Hot-Spots typische Gemeinsamkeiten haben – etwa im Pflanzenbestand oder in den Tiergesellschaften.

RKI: Trend ist die Schwankung

Das Robert-Koch-Institut (RKI) registrierte im vergangenen Jahr bundesweit fast 500 Erkrankungsfälle – und damit die zweithöchste je registrierte Zahl. Einen Trend zu immer mehr Erkrankungen gebe es aber nicht, hieß es vom RKI. „Der Trend ist die Schwankung“, sagte eine Sprecherin. Experte Dobler nannte eine Schwankungsbreite der vergangenen Jahre von bundesweit 250 bis 500 Erkrankungsfälle. Ungewöhnlich sei 2017, dass es nach Zählungen weniger Zecken gab, jedoch mehr Erkrankungen.

85 Prozent der Erkrankungsfällen traten den Experten zufolge in Bayern und Baden-Württemberg auf. Bayern meldete mit 239 Erkrankungsfällen die höchste Zahl seit Einführung der Meldepflicht durch das Infektionsschutzgesetz IfSG im Jahr 2001. Den deutlichsten Anstieg der Erkrankungsfälle habe es entlang des Alpenkamms gegeben. Dagegen sei die Zahl der Erkrankungsfälle etwa in Unterfranken 2017 deutlich zurückgegangen.

Auch in Baden-Württemberg sei die Zahl der Erkrankungen im Jahr 2017 ungewöhnlich hoch gewesen, bestätigt Rainer Oehme vom Landesgesundheitsamt Stuttgart. Mit 186 Fällen liege sie allerdings noch unter den Rekordjahren von 2011 und 2006 mit mehr als 210 beziehungsweise 288 Fällen. In Nordrhein-Westfalen registrierte das RKI 2017 drei Erkrankungsfälle nach vier im Jahr 2016 und sieben 2015. In dieser Statistik wird der Wohnort der Patienten erfasst, aber nicht der Infektionsort.

Bisher schwer einzuschätzen ist den Forschern zufolge die Gefahr, die von neuen Zeckenarten in Deutschland ausgeht. So stießen Experten 2016 erstmals auf das FSME-Virus in der in Deutschland zunehmend vorkommenden Art – Ixodes inopinatus – die wohl aus dem Mittelmeerraum eingewandert ist. „Noch ist nicht klar, wie lange diese Art schon in Deutschland heimisch ist und ob sie als FSME-Überträgerin in Frage kommt. Wichtig wäre auch abzuklären, ob mit ihr nicht neue Krankheiten nach Deutschland gelangten, wie etwa das Mittelmeerfieber“, so Mackenstedt.

Ein Erkrankungsrisiko birgt demnach auch Rohmilch. Nachdem 2016 zwei Menschen in Deutschland nach dem Genuss von Rohmilchkäse erkrankten, waren im vergangenen Jahr acht Menschen nach dem Genuss von Ziegenrohmilch betroffen. Das Krankheitsrisiko sei durch FSME-infizierte Rohmilch dreimal höher als nach dem Biss infizierter Zecken. Zuverlässigen Schutz vor FSME bietet den Experten zufolge nach wie vor nur eine Impfung, die zu nahezu hundert Prozent wirksam sei. In Deutschland seien aber nur 20 Prozent der Bevölkerung geimpft.

Ein Grund für die hohe Erkrankungszahl 2017 könnte den Forschern zufolge das Wetter gewesen sein, mutmaßt Mackenstedt. „Im Sommer 2017 gab es eine große Kältewelle. Zwei Wochen später wurde es sehr warm und wieder zwei Wochen später gab es einen großen Krankheitsausbruch. Vermutlich lag das daran, dass es nach den kalten Tagen Menschen gerade zu dem Zeitpunkt massiv ins Freie trieb, als die jahreszeitlich höchste Aktivität von Ixodes ricinus als der am weitesten verbreiteten Zeckenart stattfand“, sagte sie. Insgesamt stelle die Fülle der Phänomene – neue Arten, wechselnde Hot-Spots und jährlich stark schwankenden Erkrankungszahlen – die Forschung zunehmend vor Rätsel. Antworten sollen unter anderem zwei Forschungsprojekte bringen.

Künftige Computermodelle sollen Risikoabschätzung erlauben

Anstatt nachträglich Statistiken auszuwerten, soll künftig ein Computermodell erlauben, Prognosen zum Zecken-Risiko an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten abzugeben. Grundlage sind Beobachtungsdaten, die erstmals bundesweit erhoben werden. „Insgesamt haben wir fast 100 Standorte ausgesucht, in denen künftig dreimal im Monat Zecken gesammelt und untersucht werden. Dabei handelt es sich um ganz unterschiedliche Landklassen wie Mischwälder, Laub- und Nadelwälder, Agrarflächen oder Siedlungsräume“, berichtete Mackenstedt.

An der Veterinärmedizinischen Universität in Wien würden diese Daten zusammengeführt und ergänzt – zum Beispiel mit Klimadaten und anderen Phänomenen wie etwa, ob es ein Jahr mit Buchenmast war, in dem ein großes Nahrungsangebot auch den Wildtierbestand ansteigen lässt. „Die Auswertung soll uns Aufschluss geben, wie sich die Situation in Deutschland ändert, ob wir aus der Zeckendichte auch ein Krankheitsrisiko ableiten können oder wann und wo die FSME-Gefahr im kommenden Jahr besonders hoch sein könnte“, erklärte die Parasitologin.

Neben der Universität Hohenheim und der Veterinärmedizinischen Universität Wien bringen sich auch die TU Hannover, die Universität Leipzig, das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr und die Firma Tick-radar in die Feldstudie zur Bestimmung und Modellierung der Zeckendichte in Deutschland ein.

© dpa/afp/may/aerzteblatt.de

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