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Ärzteschaft

Kassenmilliarden nicht für Beitragssenkungen, sondern für Versorgung einsetzen

Montag, 7. Mai 2018

Andreas Gassen/Gebhardt

Erfurt – „Zechprellerei“ von knapp drei Milliarden Euro allein im vergangenen Jahr hat der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, den Krankenkassen in Deutschland vorgeworfen. „Die Rücklagen der Kassen wachsen von Monat zu Monat, der Gesundheitsminister plant deshalb ein Gesetz, das die Kassen zwingt, die Beiträge zu senken. Besser wäre aber, das Geld dafür zu verwenden, wofür es die Versicherten gezahlt haben – für die Versorgung“, sagte Gassen heute auf der Vertreterversammlung (VV) der KBV im Vorfeld des 121. Deutschen Ärztetages in Erfurt. Er forderte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dazu auf, diese „Zechprellerei" zu beenden.

Die Rücklagen der Krankenkassen belaufen sich laut Gassen im Augenblick auf rund 31 Milliarden Euro. „Die Krankenkassen bilden diese Rücklagen, weil sie seit vielen Jahren ihre Rechnung an uns schlichtweg nicht vollständig bezahlen beziehungsweise diese Teile der Zeche prellen. Trotzdem versorgen wir unsere Patienten hervorragend“, sagte der KBV-Chef. In der Versichertenbefragung 2017 hätten 91 Prozent der Befragten angegeben, ihren Ärzten zu vertrauen, und 92 Prozent bescheinigten ihnen eine qualitativ gute oder sehr gute Arbeit. Auch eine Umfrage des Krankenkassenverbandes vdek komme zu ähnlichen Ergebnissen.

Klammheimlicher Paradigmenwechsel

Der KBV-Vorstandsvorsitzende sprach von einem „klammheimlich vollzogenen Paradigmenwechsel“ der Politik. Bislang sei gesetzlich festgeschrieben, dass medizinische Leistungen wirtschaftlich und nur in medizinisch angemessenem Umfang erbracht werden sollen. Aus diesem Grund sei zu Beginn der 1990er-Jahre die Budgetierung und damit Quotierung ärztlicher Leistungen eingeführt worden.

Jetzt aber würden die Regierungsparteien den Patienten laut Koalitionsvertrag mehr versprechen. „Jetzt lesen wir im Koalitionsvertrag, dass diese Beschränkung nicht mehr gewünscht ist. Im Gegenteil: Leistungsausweitung sei angesagt. Wir kommen weg vom Budgetsystem – einem eher planwirtschaftlichen Ansatz – hin zu einem eher nachfrageorientierten Konsumsystem“, so Gassen.

Budgetierung abschaffen

Das umfasse mehr, schnellere und ortsnahe Termine und am besten Ansprechpartner aller Fachrichtungen an sieben Tagen die Woche 24 Stunden lang. Mehr Konsum könne man ja noch verstehen, so der KBV-Chef. Allerdings hätten die Partner der Großen Koalition in ihrem Koalitionsvertrag einen Satz vergessen: „Mit den vorgenannten Änderungen – 25 Stunden Sprechstunde, Erweiterung der Terminservicestellen – lässt sich die Budgetierung nicht mehr aufrechterhalten, deshalb wird mit Umsetzung dieser Maßnahmen mit der Teil-Entbudgetierung begonnen“, so der Ergänzungsvorschlag von Gassen.

Er warnte die Politik davor, der Bevölkerung Versprechungen zu machen, die nur zu halten sind, „wenn wir Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten auf die Streckbank kommen“. „Sollte jemand glauben, so mit uns umspringen zu können, könnte das schneller als erwartet ein Rendezvous mit der Realität werden“, sagte er. „Wenn die Politik die Ärzte um mehr Versorgung bittet, dann kostet das Geld. Unter den geltenden Budgetbedingungen wird auch nicht nur eine Stunde umsonst mehr angeboten. Wer mehr bestellt, muss auch mehr bezahlen“, so der KBV-Chef. Ansonsten mache „die Politik die Rechnung ohne den Lieferanten“.

Konsummodell auch bei der Notfallversorgung

Auch bei der Notfallversorgung favorisiere die Politik ein Konsummodell, allerdings sage sie es nicht so deutlich wie bei der 25-Stunden-Präsenzzeit. „Aber das Prinzip ist dasselbe: Unbegrenzte Inanspruchnahme von Leistungen im Bereitschaftsdienst, egal zu welcher Uhrzeit und aus welchem Anlass – auch das auf unsere Kosten, denn der ärztliche Bereitschafts- oder Notdienst wird aus der gedeckelten Gesamtvergütung bezahlt“, so Gassen.

Der KBV-Chef erneuerte seine Forderung nach einer „monetären Patientenbeteiligung“. „Dieser Gedanke liegt auf der Hand und ist folgerichtig. Es traut sich nur niemand, das umzusetzen“, so der KBV-Chef. „Die ärztliche Selbstverwaltung muss sich also selber helfen“, so seine Folgerung.

Gassen erinnerte an ein Gutachten, das die KBV zusammen mit dem RWI für Wirtschaftsforschung Essen vorgestellt hat. Danach sei es Unsinn, Portalpraxen an jeder Klinik einzurichten. Richtig sei aber, Bereitschaftsdienstpraxen an Kliniken zu konzentrieren. „Wir müssen sie vernünftig ausstatten, sie im 24/7-Betrieb mit einem einheitlichen Ersteinschätzungsverfahren laufen lassen, sie mit einem Tresen gemeinsam mit den Klinikkollegen betreiben und mit der 116117 koppeln“, so Gassen.

Er lobte die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses, nach welchen Kriterien die Zuschläge für Notfallversorgung verteilt werden sollen. „Das ist eine Festlegung, die eine Größenordnung von etwa 700 Kliniken zeigt. Das ist realistisch, das kommt der Qualität der Versorgung zu Gute und das ist auch im Interesse der Patienten“, sagte Gassen. Der KBV-Vorsitzende berichtete auch von Stimmen aus dem Lager der Krankenhäuser, die sich ebenfalls für weniger Notfallzentren einsetzen. Bei einer geringeren Anzahl von Zentren, die personell und technisch dann aber besser ausgestattet werden könnten, würde die Versorgung der Patienten besser.

Er sprach in seiner Rede vor der VV auch auf die Situation der niedergelassenen Psychotherapeuten an. Deren Vertreter würden daran arbeiten, die wirtschaftliche und berufliche Lage der Psychotherapie im ambulanten Bereich langfristig zu verbessern. Hierfür sicherte der KBV-Vorstandsvorsitzende ausdrücklich die Unterstützung seiner Organisation zu. © bee/aerzteblatt.de

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