Politik
Berlin-Neukölln: Soziale Probleme triggern gesundheitliche Probleme
Donnerstag, 7. Juni 2018
Berlin – Die Säuglingssterblichkeit und die Zahl der totgeborenen Kinder sind im Berliner Bezirk Neukölln unter der gesamten Bevölkerung so hoch wie in keinem anderen Berliner Bezirk und bei Ausländern noch einmal erhöht. Das geht aus einem neuen Bericht zur gesundheitlichen Lage der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Neukölln hervor. Der von der Stadtverwaltung vorgelegte Bericht wirft Schlaglichter auf die gesundheitliche Lage der Bevölkerung und leitet Handlungsempfehlungen daraus ab.
In Neukölln haben dem Bericht zufolge 44 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund. Jeder zweite Neuköllner mit Migrationshintergrund hat nur einen niedrigen Bildungsstand, 21 Prozent sind erwerbslos und 41 Prozent leben in Familien, die auf Hartz IV angewiesen sind. „Damit ist der Anteil jeweils etwa dreimal höher als in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund“, so die Autoren. „Menschen mit Migrationshintergrund leben unter schwierigeren sozioökonomischen Bedingungen als Menschen ohne Migrationshintergrund“, folgern sie.
Unterschiede bei Risikofaktoren
„Menschen mit Migrationshintergrund nutzen weniger häufig Vorsorgeangebote“, berichten die Autoren. Übergewicht sei bei Kindern und Frauen insbesondere türkischer, arabischer und russischsprachiger Herkunft häufiger verbreitet. Für Kinder werde das auch in Neukölln deutlich. Als Risikofaktoren gelten ein abweichendes Verständnis von gesunder Ernährung, ein überdurchschnittlicher Verzehr ungesunder Lebensmittel und eine geringe körperliche Aktivität.
Tabak wird von Jugendlichen und Frauen mit Migrationshintergrund im Schnitt seltener konsumiert als in der deutschen Bevölkerung – von Männern jedoch häufiger. Alkoholkonsum sei insbesondere bei Menschen mit muslimischem Hintergrund weniger verbreitet. Junge Menschen mit Migrationshintergrund konsumierten außerdem seltener illegale Drogen als Deutsche.
„Insbesondere die hohe Säuglingssterblichkeit ist für mich ein Grund zu handeln. Denn die schlechte soziale Lage kann mit Blick auf andere soziale Brennpunkte nicht die einzige Ursache sein“, kommentierte Gesundheitsstadtrat Falko Liecke die Ergebnisse des Berichtes. Auch die Verfügbarkeit von Ärzten und die Häufung von Verwandtenehen könnten Ursachen sein, die intensiv untersucht werden sollen. „Erst dann können wir geeignete Maßnahmen ableiten, damit jedes Kind in unserem Neukölln die Chance auf ein gesundes Aufwachsen hat“, sagte Liecke.
Im Verlaufe des Berichts wird wiederholt deutlich, dass ein Großteil der erhöhten Erkrankungsrisiken weniger darauf beruht, dass Menschen mit Migrationshintergrund kränker sind, sondern dass sie medizinische Leistungen, Vorsorgeuntersuchungen und Präventionsangebote seltener und später nutzen. Eine wesentliche Ursache dafür scheint zu sein, dass den Betroffenen die Orientierung im deutschen Gesundheitssystem schwer fällt.
Gesundheitslotsen hilfreich
Die Autoren des Berichtes empfehlen daher, verstärkt mehrsprachiges und leicht verständliches Informationsmaterial bereitzustellen. Wünschenswert wären außerdem Gesundheitslotsen, die zielgruppengerechte Informationen über das Gesundheitssystem bereitstellen, möglichst sogar als aufsuchendes Angebot.
„Ein besonders wichtiges Thema, um Menschen mit Migrationshintergrund den Zugang und die Orientierung im Gesundheitssystem zu ermöglichen, ist die Sprachmittlung“, berichten die Autoren weiter. Allerdings gebe es für gesetzlich versicherte Patienten bisher keinerlei Regelung, die die Übernahme der Kosten regle, kritisieren sie. © hil/aerzteblatt.de

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