Politik
Vorratsdatenspeicherung zum Kinderschutz gefordert
Mittwoch, 6. Juni 2018
Berlin – Die Deutsche Kinderhilfe hat gestern zusammen mit dem Bundeskriminalamt (BKA) und dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs vor der Presse Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik 2017 zu kindlichen Gewaltopfern vorgestellt. Danach wurden im vergangenen Jahr 143 Kinder unter 14 Jahren getötet – fast 78 Prozent dieser Kinder war jünger als sechs Jahre.
Opfer schwerer körperlicher Misshandlungen wurden 4.208 Kinder, davon 43 Prozent unter sechs Jahren. Diese Zahl blieb auf dem Niveau des Vorjahres. Opfer sexueller Gewalt wurden 13.539 Kinder unter 14 Jahren – die Statistik weist hier einen Rückgang von 3,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf.
Viele Taten bleiben unentdeckt
Der Präsident des BKA, Holger Münch, verwies auf die potenziell hohe Zahl von Verbrechen, die nicht in der offiziellen Kriminalitätsstatistik der Polizei erfasst würden: „Wir müssen davon ausgehen, dass viele Taten unentdeckt bleiben.“ Die meisten der erfassten Kinder seien von ihnen nahestehenden Menschen misshandelt und missbraucht worden.
Sorge bereitet dem BKA-Präsidenten der Anstieg der Fälle, die wegen Besitz von Kinderpornografie im Internet in 2017 strafverfolgt wurden. Diese stiegen um 18 Prozent auf 2.921 Fälle. „Für die betroffenen Kinder bedeutet dies ein dauerhafter Missbrauch im Netz“, betonte Münch.
Kinderschutz vor Datenschutz
Mehr als jeder zweite Verfolgungsversuch von Kinderpornografie im Internet scheiterte laut Münch daran, dass die Vorratsdatenspeicherung ausgesetzt ist. 2017 hätten bei 8.400 Hinweisen auf Kinderpornografie die Ermittlungen eingestellt werden müssen. „Das Entdeckungsrisiko für Täter ist nicht groß genug“, erklärte er. Deshalb plädierte er für die Vorratsdatenspeicherung.
Auch der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, betonte, dass Datenschutz nicht vor Kinderschutz gehen darf. Unter diesem Aspekt müsse man die Vorratsdatenspeicherung neu diskutieren. Die Täter dürften sich nicht mehr sicher vor einer Strafverfolgung fühlen. Darüber hinaus forderte Rörig eine Anhebung der Höchststrafe für den Besitz von Kinderpornografie von drei auf fünf Jahre Haft.
Der Missbrauchsbeauftragte zeigte sich erschüttert über den Anstieg der Zahlen zum Besitz von Kinderpornographie. „Niemand kann den schweren Kampf gegen sexuelle Gewalt von Kindern alleine gewinnen – wir brauchen eine konzertierte Aktion für mehr Kinderschutz in der analogen aber auch in der digitalen Welt“, forderte er.
Meldepflicht zu verdächtigen Inhalten für Provider
Die deutschen Behörden erhalten laut BKA-Präsident Münch die meisten Hinweise auf Kinderpornografie im Internet aus den USA, wo es für die Provider eine Meldepflicht für verdächtige Inhalte gibt. 2017 gab es rund 35.000 solcher Hinweise mit Bezug zu Deutschland. Die Zahl sei in der vergangenen fünf Jahren deutlich angestiegen, erklärte Münch. Prävention und Strafverfolgung müssten zum Schutz der Kinder zusammenwirken, forderte der BKA-Präsident. „Wer wegschaut trägt auch Mitverantwortung.“
Dieser Aussage schloss sich Rainer Becker von der Deutschen Kinderhilfe an. Die Verantwortung im Kinderschutz liege bei vielen Akteuren aus der Kinder- und Jugendhilfe, der Medizin, aus Kitas, Schulen, Fachberatungsstellen und der Polizei. „Um ihrer Verantwortung gerecht zu werden, müssen die Institutionen aber auch personell und finanziell entsprechend ausgestattet sein“, forderte Becker.
Systematisches Monitoring der Missbrauchsfälle gefordert
Der Leiter des Kompetenzzentrums Kinderschutz in der Medizin in Baden-Württemberg (Com.Can), Jörg M. Fegert, forderte den „Aufbau eines systematischen Monitorings“ über Misshandlungs- und Missbrauchsfälle, um die Daten aus dem Hell- und dem Dunkelfeld zusammen zu bringen. „Die Daten des BKA geben eine Orientierung, aber genaues wissen wir nicht“, sagte der Direkter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm. Auch in der Medizin würden Zahlen über Misshandlung und Missbrauch immer noch „zu unzuverlässig dokumentiert“.
Aktuelle bevölkerungsrepräsentative Studien machten jedoch das tatsächliche Ausmaß von Misshandlung in Deutschland deutlich, erklärte Fegert: Danach haben knapp 14 Prozent der Bevölkerung in Deutschland über 14 Jahren „irgendeine Form sexueller Übergriffigkeit“ im Kindes- und Jugendalter“ erlebt. Bei einer engeren Definition „für erlebte Taten“ sexuellen Missbrauchs liege die Häufigkeit bei 7,6 Prozent.
Als besonderen Risikofaktor für Kindesmisshandlung zeigte Kinderhilfevertreter Becker auf Trennungssituation der Eltern: „Dabei kommen besonders häufig die Kinder zu Schaden.“ Auch psychische Erkrankungen von Eltern müssten frühzeitig erkannt und ihnen eine Behandlung zugänglich gemacht werden, um Kindesmisshandlung vorzubeugen, forderte er.
Kinder- und Jugendschutz im Internet
An die Realität von Kindern und Jugendlichen angepasst werden müsste nach Meinung des Missbrauchsbeauftragten Rörig auch der Jugendmedienschutz. „Von Cybergrooming und Sexting sind heute viele Kinder und Jugendliche betroffen, doch Kinderschutz findet im Internet nicht statt“, sagte Rörig. Die IT-Wirtschaft müsse stärker in die Pflicht genommen werden und sich auch beim Kinder- und Jugendschutz engagieren. Darüber hinaus hält der Missbrauchsbeauftragte ein eigenes Schulfach, das den Umgang mit digitalen Medien beziehungsweise Medienkompetenz vermittelt, für notwendig.
© PB/aerzteblatt.de

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