Ausland
ICD-11: WHO stellt neuen Diagnoseschlüssel vor
Dienstag, 19. Juni 2018
Genf – Die Weltgesundheitsorganisation hat einen Entwurf für die neue elfte Version ihres Klassifikationssystems für medizinische Diagnosen (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, kurz ICD) vorgestellt. Die ICD-11 soll im nächsten Jahr auf der Weltgesundheitsversammlung verabschiedet und offiziell ab Januar 2022 gelten.
„Der ICD ist ein Produkt, auf das die WHO wirklich stolz ist. Es ermöglicht uns, so viel darüber zu verstehen, was Menschen krank macht und sterben lässt, und Maßnahmen zu ergreifen, um Leiden zu verhindern und Leben zu retten“, sagte der WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus bei der Vorstellung des ICD-11 in Genf. Der ICD sei die Grundlage für die Identifizierung von Gesundheitstrends und Statistiken weltweit und biete eine gemeinsame Sprache, die es den Angehörigen der Gesundheitsberufe ermögliche, Gesundheitsinformationen weltweit auszutauschen.
Die ICD wird in der elften Version rund 55.000 Codes für Verletzungen, Krankheiten und Todesursachen enthalten.
Zu den Neuerungen gehört eine Angleichung der Angaben zu Antibiotika-Resistenzen an das „Antimicrobial Resistance Surveillance System“. Es gibt zudem eine neue Abteilung für „traditionelle medizinische Störungen“, die sich an der Nosologie der chinesischen, japanischen und koreanischen Naturheilkunde orientieren soll (bisher aber nicht mit Inhalt gefüllt wurde).
Eine weitere neue Abteilung beschäftigt sich mit Störungen der sexuellen Gesundheit. Dazu gehören neben Libido- und anderen sexuellen Funktionsstörungen auch Geschlechtsidentitätsstörungen, die bisher unter den mentalen Störungen eingeordnet werden, was nicht mehr zeitgemäß ist. Auch Paraphilien, zu denen auch die Pädophilie und andere Formen der Sexualität gehören, die vom Gegenüber nicht erwidert werden oder sozial geächtet sind, zählen jetzt zu den Störungen der sexuellen Gesundheit.
Für Aufregung sorgte im Vorfeld die Aufnahme der Spielstörung („gaming disorder“) in den ICD 11-Katalog. So warnte der Psychologe Andy Przybylski von der Universität Oxford in einem offenen Brief mit rund 30 Kollegen vor dem WHO-Schritt. „Es besteht das Risiko, dass solche Diagnosen missbraucht werden“, schrieben sie. Geprüft werden müsse, ob bei exzessiv spielenden Patienten nicht eher zugrundeliegende Probleme wie Depression oder soziale Angststörungen behandelt werden müssten.
Vladimir Poznyak vom WHO-Programm Suchtmittelmissbrauch sieht das anders. „Es gibt klare Grenzen zwischen normalem Spielen und Spielsucht“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Im ICD-11 würden drei Kriterien genannt: entgleitende Kontrolle etwa bei Häufigkeit und Dauer des Spielens, wachsende Priorität des Spielens vor anderen Aktivitäten und Weitermachen auch bei negativen Konsequenzen.
Definiert wird Spielstörung als ein „Muster anhaltenden oder wiederkehrenden Spielverhaltens“, das online oder offline erfolgen kann. Gekennzeichnet ist die Spielstörung erstens durch eine „beeinträchtigte Kontrolle über Beginn, Häufigkeit, Intensität, Dauer, Beendigung und Kontext des Spielens“, zweitens durch eine zunehmende Priorität für das Spielen in einem Maße, dass das Spielen „Vorrang vor anderen Lebensinteressen und täglichen Aktivitäten“ gewinnt und drittens durch die Fortsetzung oder Eskalation des Spielens trotz des Auftretens von negativen Folgen. Die Aufnahme erfolgte offenbar in Überstimmung mit dem DSM-5, der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft, die die „Gaming disorder“ ebenfalls als Krankheit einstufen. © rme/hil/aerzteblatt.de

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