Medizin
Wie Komasaufen die Gedächtnisleistungen auf Dauer beschädigt
Dienstag, 19. Juni 2018
Bristol und New York – Jugendliche, die mit 15 Jahren bereits häufiger einen Vollrausch hatten, wiesen in einer prospektiven Beobachtungsstudie in Alcohol and Alcoholism (2018; 53: 251–258) im Alter von 18 Jahren häufiger Störungen des Arbeitsgedächtnisses auf, was langfristig ihre kognitiven Fähigkeiten einschränken könnte. Tierexperimentelle Studien im Journal of Neuroscience (2018; doi: 10.1523/JNEUROSCI.0550-18.2018) zeigen, zu welchen neurologischen Schäden es im Gehirn kommen kann.
Ein Alkoholkonsum von Jugendlichen ist auch in Deutschland weit verbreitet. In der KiGGS-Studie gaben 23,2 % der männlichen Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren an, sich regelmäßig bis zum Vollrausch zu betrinken. Bei den weiblichen Teenagern waren es 16,5 %. Welche Folgen dies haben kann, zeigt eine aktuelle Auswertung der „Avon Longitudinal Study of Parents and Children“ (ALSPAC), die eine Stichprobe des Geburtsjahrgangs 1991/92 begleitet. Im Alter von 15 Jahren wurden die Jugendlichen gefragt, wie häufig sie einen Vollrausch hatten („binge drinking“). Immerhin 10 % gaben an, dass dies in den letzten 2 Jahren mehr als 20-mal vorgekommen sei.
Im Alter von 18 Jahren wurden die Kinder zu psychometrischen Tests eingeladen. Dazu gehörte der „n-back-Test“, ein Belastungstest für das Arbeitsgedächtnis. Auf dem Bildschirm erscheinen in zufälliger Folge Buchstaben. Beim „2-back-Test“ sollen die Probanden klicken, wenn nach einem anderen Buchstaben wieder der gleiche Buchstabe erscheint (z. B. „C S C“). Beim anspruchsvolleren „3-back-Test“ sollen sie klicken, wenn der dritte vorherige Buchstabe sich (z. B. „C H S C“) wiederholt.
Wie Liam Mahedy von der Universität Bristol und Mitarbeiter berichten, schnitten die Jugendlichen mit Erfahrungen im Rauschtrinken beim leichteren „2-back-Test“ noch nicht schlechter ab als Jugendliche, die wenig oder keinen Alkohol trinken. Im anspruchsvolleren „3-back-Test“ häuften sich jedoch die Fehler. Dies ist laut Mahedy ein Hinweis auf eine Schwächung des Arbeitsgedächtnisses, das für viele kognitive Leistung benötigt wird. Die Ergebnisse lassen befürchten, dass Jugendliche mit Erfahrungen im „Komatrinken“ als Erwachsene Nachteile haben könnten.
zum Thema
- PDF der prospektiven Studie in Alcohol and Alcoholism
- Abstract der Studie im Journal of Neuroscience
- Pressemitteilung der Society of Neuroscience
- RKI zum Alkoholkonsum Jugendlicher
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aerzteblatt.de
Experimente, die Michael Salling von der Columbia Universität in New York durchgeführt hat, zeigen, welche Schäden das Rauschtrinken im Gehirn verursacht. Männliche Mäuse, die sich im heranwachsenden Alter nach Belieben betrinken konnten, wiesen Auffälligkeiten im präfrontalen Cortex auf. Diese Region ist nicht nur für exekutive Aufgaben (Verstand) zuständig, sie ist auch entscheidend am Arbeitsgedächtnis beteiligt, das für exekutive Leistungen unentbehrlich ist.
Salling fand heraus, dass die Pyramidenzellen, die eine Verbindung zu anderen Hirnzentren herstellen, durch die Alkoholexzesse in mehrfacher Weise in ihrer Funktion gestört waren. Die Störungen blieben auch nach einer Abstinenz der Tiere bestehen und sie waren bei den Tieren – wie bei den Teilnehmern der ALSPAC-Studie, wenn auch in anderen Tests – mit Defiziten im Arbeitsgedächtnis verbunden. Die frühen Alkohlexzesse hatten auch das Konsumverhalten der Mäuse verändert. Wenn sie später wieder Gelegenheit zum Alkoholkonsum erhielten, tranken sie rasch und viel. Die frühen Erfahrungen mit dem Rauschtrinken haben die Mäuse offenbar für ihr späteres Leben geprägt. © rme/aerzteblatt.de

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