Medizin
Sind Herpesviren am Morbus Alzheimer beteiligt?
Freitag, 22. Juni 2018
New York – US-Forscher sind bei der Suche nach neuen Therapieansätzen für den Morbus Alzheimer auf ein genetisches Netzwerk gestoßen, dass eine alte Hypothese stützt, nach der Infektionen mit Herpesviren an der Pathogenese der degenerativen Hirnerkrankung beteiligt sind. Ihre in Neuron (2018; doi: 10.1016/j.neuron.2018.05.023) vorgestellten Ergebnisse entwerfen ein neues Bild von der Pathogenese der Erkrankung, ohne allerdings abschließende Beweise zu liefern.
Genomanalysen bestimmen derzeit in vielen Bereichen die Richtung der medizinischen Forschung. Die Entschlüsselung des Erbguts wird als Chance gesehen, die Entstehung und die Mechanismen von Krankheiten besser zu verstehen und Ansätze für neue Therapie zu finden. Das US-National Institute on Aging (NIA) fördert mit dem „Accelerating Medicines Partnership - Alzheimer's Disease“ derzeit mit 182,5 Millionen US-Dollar recht großzügig auch die Genomanalyse von Patienten mit Morbus Alzheimer, für den es bisher keine effektive Therapie gibt.
Ein Team um Joel Dudley von der Icahn School of Medicine in New York hatte zunächst die RNA in 4 Gehirnregionen von mehr als 600 Menschen analysiert, von denen einige an Morbus Alzheimer gestorben waren. Bei den anderen hatten die Pathologen keine Hinweise auf degenerative Hirnerkrankungen gefunden. Die RNA wird analysiert, da sie häufig von der Messenger-RNA stammt. Sie zeigt an, welche Gene in den Zellen zuletzt aktiviert wurden.
Zu ihrer Überraschung stellten die Forscher fest, dass sich in den Hirnzellen nicht nur menschliche Gene befanden, sondern auch solche von humanen Herpesviren (HHV). Vor allem HHV-6A und HHV-7 hatten sich nicht nur in das Erbgut der Hirnzellen von Alzheimerpatienten geschlichen, sondern auch als RNA die Aktivität der Zellen bestimmt. HHV-6A und HHV-7 sind Erreger von Roseola subitum, auch 3-Tage-Fieber genannt, an dem die meisten Menschen (häufig von den Eltern unbemerkt) im Säuglingsalter erkranken.
zum Thema
- Abstract der Studie in Neuron
- Pressemitteilung der Arizona State Universität
- Pressemitteilung der Arizona State Universität
- Pressemitteilung der National Institute of Aging
- Pressemitteilung der Icahn School of Medicine
- Accelerating Medicines Partnership – Alzheimer's Disease
aerzteblatt.de
Nach den jetzt von Dudley vorgestellten Ergebnissen würden die Grundlagen für den Morbus Alzheimer bereits in den ersten Lebensjahren gelegt. Wie andere Herpesviren bleiben HHV-6 und HHV-7 nach der Primärinfektion zunächst stumm. Sie legen jedoch ihre Gene im Erbgut ab. Jahrzehnte später könnte es (vergleichbar mit dem Varizella-Zoster-Virus) zu einer erneuten Aktivierung kommen. Beim Windpockenvirus kommt es zum Herpes Zoster. Bei HHV-6A und HHV-7 könnte es zu einer langsamen Ablagerung von Beta-Amyloiden kommen, wenn sich die jetzigen Hypothesen bestätigen sollten.
Die Idee, dass ein langsames Virus („slow virus“) der Auslöser des Morbus Alzheimer sein könnte, ist nicht neu. Die Vermutung wurde bereits 1952 von Henrik Sjögren geäußert. Als Beispiel wird auch das Masernvirus angeführt, das Jahrzehnte nach der akuten Infektion eine subakute sklerosierende Panenzephalitis auslösen kann. Der Morbus Alzheimer wurde in den letzten Jahren immer wieder mit Herpesviren in Verbindung gebracht (auch mit HHV-6A und HHV-7). Ernsthafte Beweise für die Virushypothese gab es jedoch nicht.
Dudley kann jetzt zeigen, dass die beiden Viren in den Hirnzellen von Alzheimerpatienten doppelt so häufig aktiv sind wie bei gesunden Menschen (oder auch solchen mit anderen degenerativen Hirnerkrankungen). Die Untersuchung von 2 weiteren Kohorten der Mayo Clinic und des Rush Alzheimer's Disease Center mit 800 Teilnehmern bestätigten die Ergebnisse: HHV-6A und HHV-7 waren auch hier in den von Morbus Alzheimer befallenen Hirnregionen vermehrt aktiv.
Dies beweist allerdings nicht, dass die Viren die Ursache sind. Es könnte auch sein, dass die Störung der Zellfunktion durch die Ablagerung von Beta-Amyloiden den Anstoß für die Aktivierung der Virusgene liefert („Henne-Ei-Problem“).
Die Forscher haben deshalb untersucht, auf welche Weise die Virusgene die Ablagerung von Beta-Amyloiden fördern könnten. Zunächst fanden sie heraus, dass HHV-6A in die Regulierung von 6 Genen eingreift, die an der Pathogenese des Morbus Alzheimer beteiligt sind. Dazu gehören das Gen für die Beta-Sekretase, die bereits als Ansatzpunkt für Medikamente untersucht wird, oder das Gen für Presenilin-1, dessen Mutanten das Erkrankungsrisiko erhöhen.
Weitere Hinweise lieferten Experimente an genmodifizierten Mäusen. Die Entfernung des Gens miR155, das als Mikro-RNA in das Krankheitsgeschehen eingreift, beschleunigte bei den Tieren die Ablagerung von Beta-Amyloiden. Es ist bekannt, dass die HHV-6A-Gene den Abbau von miR155 beschleunigen. Sie verhindern dadurch, dass die Viren vom Immunsystem der Zellen erkannt und zerstört werden.
Auch dies ist kein Beweis, dass eine Reaktivierung der Herpesviren für die Erkrankung verantwortlich ist. Ein solcher wäre erst erbracht, wenn Medikamente, die die Virusreaktivierung stoppen, die Krankheit verhindern würden, was erst noch gezeigt werden müsste. Sollte die Hypothese jedoch zutreffen, dann könnte die Erkrankung in letzter Konsequenz durch einen Impfstoff gegen HHV-6A und HHV-7 verhindert werden. © rme/aerzteblatt.de
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