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Politik

Gewalt gegen Frauen oft ein Tabuthema

Donnerstag, 19. Juli 2018

/Drobot Dean, stockadobecom

Köln – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ als „Facette der Menschlichkeit“ gewürdigt. „Die Beraterinnen hier machen einen hervorragenden Job“, sagte Merkel gestern nach einem Besuch des Hilfetelefons in Köln gemeinsam mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD). Gewalt gegen Frauen sei oft ein Tabuthema, sagte Merkel. Deshalb sei die Telefonnummer 08000 116016 „eine ganz wichtige Nummer für Frauen, die in Not sind“. Giffey kündigte an, das Hilfetelefon noch aufzustocken.

Vor fünf Jahren ist das Hilfetelefon gegründet worden, weil Studien gezeigt hatten, dass sich viele Frauen ein niederschwelliges, vertrauliches Angebot wünschen, das rund um die Uhr erreichbar ist. Mehr als 143.000 telefonische Beratungen haben seither stattgefunden, 70 Beraterinnen sind für das Hilfetelefon tätig. „Wir sehen, dass die Zahl der Beratungskontakte kontinuierlich ansteigt“, berichtet die Leiterin des Hilfetelefons, Petra Söchting. Was übrigens nicht auf eine Zunahme der Gewalt zurückgeführt wird, sondern auf die gestiegene Bekanntheit des Angebots.

Gewalt oft zu Hause

Etwa jede dritte Frau in Deutschland wird in ihrem Leben mindestens einmal Opfer von Gewalt – das zeigte zuletzt im Jahr 2014 eine EU-Untersuchung. Aber nur jede Fünfte dieser Frauen nimmt daraufhin Hilfe in Anspruch – ein Grund für die Einrichtung des Beratungstelefons. „Das Schockierende ist, dass wir 60 Prozent unserer Anrufe aus dem häuslichen Bereich haben“, berichtet die Präsidentin des Bundesamtes, Helga Roesgen. Die Frauen suchen zunächst Entschuldigungen für die Gewalt. Es dauere oft lange, bis sich die Frauen eingestehen, dass das System habe. „Und dann ist es nochmal ein großer Schritt, Hilfe zu suchen“, so Roesgen.

Das bestätigt Martin Rettenberger, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden: „Außenstehende denken oft: Wem Schlechtes widerfährt, wer geschlagen, wer verletzt wird, der tut doch alles, um aus der Situation herauszukommen. Aber genau dieser logische Schluss trifft im Bereich von häuslicher Gewalt nicht zu.“ Die Gründe dafür seien oft ganz pragmatisch: Es gibt Kinder, die nicht ohne Vater aufwachsen sollen; das Eigenheim müsste verkauft werden. Dazu kämen psycholo­gische Mechanismen. Zum Beispiel sagten Frauen: „Ich habe versprochen, auch in schlechten Zeiten bei ihm zu bleiben.“ Der Partner wird oft auch als krank erlebt, zum Beispiel alkoholkrank.

Dunkelfeld-Erhebungen zeigten, dass sich die Gewalt durch alle sozialen Schichten ziehe, sagt Rettenberger. Gerade für eine Ärztin oder Anwältin könne es besonders schwer sein, gegenüber anderen einzugestehen, dass sie geschlagen wird. Auch Petra Söchting betont: „Die Gewalt betrifft Frauen jeglichen Alters aus allen sozialen Schichten, mit und ohne Migrationshintergrund.“ Dem Hilfetelefon stehen Dolmetscherinnen für 17 Sprachen ständig zur Verfügung.

In den Gesprächen werden keine Patentlösungen oder Standardantworten angeboten. „Ganz wichtig ist, dass die Beraterinnen Zeit haben und zuhören und damit den Frauen Mut machen, über das zu sprechen, was ihnen passiert ist“, sagt Söchting. „Das ist schon ein großer erster Schritt. Ganz häufig sind es dann im weiteren Verlauf wichtige konkrete Informationen, die wir geben können.“ Zum Beispiel: anonyme Spuren­sicherung. Spuren eines Übergriffs werden anonym dokumentiert und aufbewahrt, und die Frau kann sich in Ruhe überlegen, ob sie Anzeige erstatten will oder nicht.

Die Beraterinnen sehen sich als Lotsen ins Hilfesystem. Es geht um eine Erstberatung – andere Stellen müssen dann übernehmen. Wenn es diese Hilfe nicht gibt – weil das Frauenhaus überfüllt ist oder es vor Ort gar kein Frauenhaus gibt – dann ist das ein großes Problem. „Wenn man diesen Schritt tut, ist es ganz wichtig, dass eine Weitervermittlung in Hilfsangebote erfolgt“, betont Rettenberger. „Sonst ist das kontraproduktiv, und dann kann es sein, dass sich Menschen in ihr Schicksal ergeben.“ © dpa/aerzteblatt.de

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