Medizin
Wohngegend als Diabetesrisiko
Dienstag, 24. Juli 2018
Helsinki – Jüngere Menschen, die in sozioökonomisch benachteiligten Stadtteilen wohnten, erkrankten fast viermal häufiger frühzeitig an einem Typ-2-Diabetes als Menschen in besseren Wohngegenden. Die Ergebnisse der bevölkerungsbasierten Kohortenstudie wurden in Lancet Public Health publiziert (2018; doi: 10.1016/S2468-2667(18)30111-7).
Die soziale Umgebung hat deutliche Einflüsse auf die Gesundheit. Es gibt in vielen Städten Gegenden, in denen es schwierig ist, sich gesund zu ernähren, weil die Supermärkte kaum noch Obst und Gemüse anbieten, in denen keine Grünanlagen zu körperlicher Bewegung motivieren und in denen viele Menschen mangels Bildung anfällig sind für gesundheitliche Risikofaktoren wie Rauchen und mangels Geld nur selten ihren Stadtteil verlassen.
Die möglichen Folgen zeigt eine Analyse der „Young Finns Study“, die 3.467 Finnen seit ihrem Kindes- und Jugendalter begleitet. Die Studie begann 1980, als die Teilnehmer zwischen 6 und 18 Jahre alt waren. Seither sind sie achtmal untersucht worden, wobei neben einer Befragung auch Blutuntersuchungen durchgeführt wurden einschließlich einer Bestimmung von Blutzucker und Insulin.
Die Ergebnisse zeigen, dass in den sozioökonomisch benachteiligten Gegenden die Kinder und Jugendlichen deutlich weniger Obst und Gemüse verzehrten, sich weniger bewegten und später häufiger zu Rauchern wurden. Dies führte bereits im Kindesalter zu höheren Triglyzeriden. Der Body-Mass-Index stieg etwa ab dem 20. Lebensjahr und der Blutdruck ab etwa dem 30. Lebensjahr stärker an als in reicheren Gegenden. Beim Cholesterin (dessen Höhe weniger von der Ernährung abhängt als vielfach vermutet) zeigen die Trajektorien in Abbildung 2 der Studie dagegen keine Unterschiede zwischen Arm und Reich an.
Mehr Diabetes Typ 2, Adipositas, Bluthochdruck und Fettlebern
Inzwischen sind die Teilnehmer zwischen 33 und 48 Jahre alt und die ersten chronischen Erkrankungen, die Folge eines ungesunden Lebensstils sind, machen sich bemerkbar. Mika Kivimäki von der Universität Helsinki und Mitarbeiter ermitteln für die sozioökonomisch benachteiligten Gegenden eine um 44 % höhere Anzahl von adipösen Menschen (Odds Ratio OR 1,44; 95-%-Konfidenzintervall 1,01-2,06), eine um 83 % höhere Zahl von Menschen mit Hochdruckerkrankungen (OR 1,83; 1,14-2,93) und einen um 73 % höheren Anteil von Personen mit Fettleber (OR 1,73; 1,11-2,71). Am deutlichsten waren die Folgen jedoch bei der Zahl der Diabetes-Erkrankungen (vom Typ 2), die in den sozial benachteiligten Stadtteilen fast viermal häufiger auftraten (OR 3,71; 1,77-7,75).
Die Frage lautet, wie den Menschen in den ärmeren Stadtteilen geholfen werden könnte, ihre Gesundheit zu erhalten. Reicht es aus, Parks anzulegen oder werden diese in den ärmeren Gegenden nur von Drogendealern bevölkert? Werden Radwege und Bürgersteige angenommen oder werden diese zum Übungsgelände von Skateboardern? Kann eine Änderung des Sortiments im Supermarkt die Menschen zu gesünderem Essen motivieren oder greifen die Bewohner weiterhin zu den vermeintlich kostengünstigeren Chips und Fertiggerichten. Die Editorialisten Karien Stronks und Mary Nicolaou vom Academisch Medisch Centrum in Amsterdam sind im Editorial skeptisch, dass gezielte Maßnahmen in den Städten einen Wandel herbeiführen werden.
Eine Alternative, die im „Moving to Opportunity“ MTO-Projekt in den 1990er-Jahren in den USA erprobt wurde, wäre die Umsiedlung von Teilen der Bevölkerung. Im MTO-Projekt hatte ein Teil der Einwohner finanzielle Hilfen erhalten, die sie zum Umzug in andere Stadtteile bewegen sollten. Tatsächlich kam es unter den Menschen, die in einen weniger armen Stadtteil zogen, seltener zu einem Anstieg des Body-Mass-Index auf über 35 (minus 4,61 % Punkte) oder zu einem Anstieg des Body-Mass-Index auf über 40 (minus 3,38 % Punkte) und es erkrankten auch weniger Menschen am Typ-2-Diabetes (minus 4,31 % Punkte), wie Forscher der Universität von Chicago vor Jahren im New England Journal of Medicine (2011; 365: 1509–19) berichteten.
Ähnliche Erfahrungen wurden 1987 bis 1991 in Schweden gemacht, wo die Verteilung von Geflüchteten auf Stadteile mit sozioökononischem Hintergrund die spätere Rate von Diabetes-Erkrankungen beeinflusste (Lancet Diabetes Endocrinol 2016; 4: 517–24). © rme/aerzteblatt.de
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