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Politik

Patientensicherheits­offensive gefordert

Donnerstag, 16. August 2018

/dpa

Berlin – Deutschland braucht nach Ansicht des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS) und des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) eine neue Patientensicherheits­offensive. Gemeinsam forderten sie heute in Berlin ein erweitertes Verständnis von Patientensicherheit, eine von der Führungsebene geförderte Patientensicherheitskultur in allen Einrichtungen des Gesundheitswesens sowie eine aktive Einbindung der Patientinnen und Patienten in die Bemühungen um Patientensicherheit.

Dabei stellten sie das von dem Internisten Matthias Schrappe von der Universität Köln verfasste, vom APS begleitete und vom vdek geförderte „Weißbuch Patienten­​sicherheit“ vor, das konkrete Vorschläge für eine neue Patientensicherheitsoffensive enthält. „Wir brauchen ein neues Verständnis von Patientensicherheit, damit wir bessere Interventionen erstellen können“, erläuterte Schrappe. Patientensicherheit sei mehr als nur die Vermeidung bestimmter Komplikationen. „Sie muss auch als Eigenschaft von Teams, Organisationen und sogar des gesamten Gesundheitswesens verstanden werden.“

Perspektive erweitern

Bislang werde Patientensicherheit fast ausschließlich aus der Perspektive der Einrichtungen und für operative Akuterkrankungen, wie zum Beispiel der Kompli­kationen einer „Hüft-OP“, diskutiert, kritisierte er. Fokussiert werden müsse jedoch beispielsweise auch auf chronisch Kranke, die Koordination der Behandlung, die Übergabe von Befunden sowie auch auf das Unterlassen von Maßnahmen.  

„Wir müssen bei unseren Bemühungen um Patientensicherheit die Patienten­perspektive in den Mittelpunkt stellen“, verdeutlichte auch Hedwig François-Kettner, Vorsitzende des APS. Patienten und Angehörige müssten verstärkt als aktive Partner in die Verbesserung der Patientensicherheit einbezogen werden.

Aus- und Weiterbildung verbessern

Konkret fordert das APS unter anderem, die Bemühungen um die Patientensicherheit zum festen Bestandteil der Aus- und Weiterbildung aller im Gesundheitswesen Tätigen werden zu lassen. Nur bei wenigen Berufen stehe sie bereits auf der Agenda, bedauerte François-Kettner. Das APS habe einen Lernzielkatalog entwickelt, der in der Ausbildung aller Medizinberufe prominent umgesetzt werden sollte.

Nach Ansicht des APS sollten Verantwortliche für Patientensicherheit benannt werden. „Es muss allen klarwerden, dass Patientensicherheit Führungsverantwortung ist“, erläuterte die APS-Vorsitzende. „Delegieren reicht nicht.“ Patientensicherheit werde immer noch oft fälschlicherweise als Kostenfaktor gesehen, bedauerte sie. Tatsächlich sei sie jedoch ein Erfolgsfaktor. Kliniken, Pflegedienste, Arztpraxen und Medizinische Versorgungszentren (MVZ) benötigten einen Verantwortlichen, der die erforderlichen Veränderungen anstößt, durchsetzt, koordiniert und dauerhaft begleitet.

Zwar sei in Sachen Patientensicherheit in den vergangenen Jahren schon einiges erreicht worden, betonten die Beteiligten: OP-Checklisten, Aktion Saubere Hände, Fehlermelde­systeme oder ein verpflichtendes Qualitätsmanagement in deutschen Krankenhäusern seien gute Beispiele für ein wachsendes Bewusstsein und Engagement. Dennoch gebe es erheblichen weiteren Verbesserungsbedarf in allen Bereichen des Gesundheitswesens.

Verschiedene Maßnahmen notwendig

„Für die Verbesserung der Versorgungsqualität und Patientensicherheit setzen sich die Ersatzkassen seit Jahren ein“, sagte Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des vdek. Weiteren Handlungsbedarf sieht sie insbesondere im Bereich der Hygiene und Infektionsprävention.

Im Forderungspapier von APS und vdek finden sich dazu Maßnahmen von einer bundeseinheitlichen Hygienerichtlinie bis zu einer Aufklärungskampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur Sepsis als Notfall. Zudem forderte Elsner die verpflichtende Einführung von einrichtungs­übergreifenden Fehlermelde­systemen an allen Krankenhäusern sowie die Einbeziehung der Erfahrungen von Patienten und Angehörigen durch Fragebögen, um Fehlerquellen aufzudecken. Darüber hinaus sei die Einführung eines Implantateregisters für Hochrisikomedizinprodukte überfällig.

Zur Veröffentlichung des Weißbuchs Patientensicherheit kommen bereits erste Reaktionen. So erklärte Maria Klein-Schmeink, Sprecherin für Gesundheitspolitik der Grünen, dass es höchste Zeit dafür sei, alle Einrichtungen des Gesundheitswesens zu verpflichten, Strukturen zur Fehlervermeidung und Patientensicherheit einzuführen und darüber in den gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätsberichten in verständlicher Form zu berichten. Zudem forderte sie ein öffentlich zugängliches Monitoring, das Anzahl und Anlass von Verfahren, festgestellte Fehler und Haftungsentscheidungen auswertet.

Der Vorsitzende der Linken, Bernd Riexinger, sieht im fehlenden Personal eine Gefahr für Patienten. „Der massive Personalmangel in den Krankenhäusern macht es für Pflegekräfte häufig unmöglich, die Hygienevorschriften einzuhalten", sagte er und forderte eine gesetzliche Personalbemessung für Pfleger in Krankenhäusern und 100.000 zusätzliche Pflegekräfte in den Kliniken.

SPD: Weißbuch gibt Impulse

Martina Stamm-Fibich, Patientenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, unterstützt das Anliegen des Aktionsbündnisses. „Das Weißbuch Patientensicherheit gibt uns wichtige Impulse in der Diskussion, wie wir mehr Patientensicherheit schaffen können. Ein nachrangig einspringender Entschädigungs- und Härtefallfonds gehört für mich unbedingt dazu“, sagte sie.

Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen gebe es leider immer wieder Situationen, in denen Entschädigungsleistungen zwar nicht juristisch einklagbar, aber moralisch eigentlich zwingend seien. „Deshalb möchte ich, dass wir die Debatte möglichst zügig aufnehmen. Das ist auch im Koalitionsvertrag vereinbart“, betonte sie.

DKG: Patientensicherheit ist Leitschnur des Handelns

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft bezeichnete das Thema Patientensicherheit heute als „Leitschnur des Handelns“ in deutschen Krankenhäusern. Patientensicherheit und Hygiene seien Teil des Qualitätsmanagements, das verpflichtend von den Kliniken einzurichten und ständig weiterzuentwickeln sei, sagte DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum. Gerade bei der Hygiene sei in den vergangenen Jahren extrem viel erreicht worden.

Baum betonte zugleich, man wünsche sich „mehr Unterstützung“ von den Krankenkassen – und dies „nicht nur durch Weißbücher, sondern auch durch praktisches Handeln. Denn zwischen Kassenerwartungen an die Krankenhäuser und Unterstützung durch die Krankenkassen klafften „riesige Lücken“. „Tatsache ist, wenn es um die Bereitstellung der Geldmittel für Sicherheitseinrichtungen in den Krankenhäusern geht, stehen die Krankenkassen auf der Bremse“, monierte Baum. Ob Einstellung von Hygienebeauftragten oder Patientenbeauftragten oder der Installierung von Fehlermeldesystemen, überall würden nur begrenzte Mittel bereitgestellt.

Weißbuch gute Grundlage

Günther Jonitz, Vorsitzender der Qualitätssicherungsgremien der Bundesärztekammer (BÄK), begrüßte die Monographie. Es sei eine „sehr gute Grundlage“, um darüber nachzudenken, wie Patientensicherheit weiter verbessert werden könnte, erläuterte er dem Deutschen Ärzteblatt. Der Präsident der Ärztekammer Berlin appellierte zugleich an alle Akteure, dies in gemeinsamer Verantwortung umzusetzen. Er rief dazu auf, die systemimmanenten Grabenkämpfe im Gesundheitswesen zu überwinden. Nur dann sei die Patientensicherheit wirklich zu verbessern.

Konkret müssen laut Jonitz beispielsweise Kosten für Schulungen zur Patientensicherheit in die staatlichen Gebührenordnungen wie DRG, EBM und PEPP aufgenommen werden. Krankenkassen finanzierten zwar neue Arzneimittel oder technische Verfahren, Personalentwicklungskosten wie beispielsweise die Schulung von neuem Wissen über Patientensicherheit werde aber nicht bezahlt. „Wir müssen mehr in die Qualifikation von Menschen investieren“, so Jonitz.

Entschließungen zum Tagesordnungspunkt I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

Die Patientinnen und Patienten müssen im Mittelpunkt gesundheitspolitischer Entscheidungen stehen – Positionen der Ärzteschaft zur Steuerung unseres Gesundheitswesens ein Jahr nach dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) Der 108. Deutsche Ärztetag stellt ein Jahr nach InKraft-Treten des GMG fest: Die Gesundheitsreform trägt nicht dazu bei, die finanzielle Situation der Gesetzlichen [...]

Zudem sei die Sicherheitskultur in Deutschland dringend zu verbessern. Auch wenn auf nationaler Ebene dahingehend ein Paradigmenwechsel stattgefunden habe, so herrsche im Versorgungsalltag weiterhin Angst vor Sanktionen. Jonitz warnte auch vor dem Irrglauben, ein spezieller Beauftragter würde per se die Patientensicherheit erhöhen. Sollte es einen Beauftragten in Krankenhäusern analog zum Hygienebeauftragten geben, müssten zuvor Handlungsbefugnisse, Freiräume und Finanzierung geklärt sein, um nicht einer „Alibipolitik Tür und Tor zu öffnen“.

Deutliche Worte fand Jonitz zum Vorschlag, Patienten im Nachgang von Behandlungen zu befragen. Ob es nicht besser wäre, wenn im Klinikalltag Ärzte und Schwestern Zeit hätten, mit Patienten zu sprechen?, fragte Jonitz. Er halte es nicht für den richtigen Ansatz bei dieser Ausgangslage Patienten zwei Wochen nach einem Klinikaufenthalt einen Fragebogen zuzusenden, um ihn zur Patientensicherheit zu befragen. Patientensicherheit geschehe vor Ort und nicht per Fragebogen oder Messungen. Mit wichtigen Aspekten der Patientensicherheit hatte sich bereits 2005 der Deutsche Ärztetag befasst.

MDS für Meldepflicht von schwerwiegenden Fehlern

Der Medizinische Dienst des GKV-Spitzenverbandes (MDS) forderte heute einen transparenteren Umgang mit Behandlungsfehlern und eine Meldepflicht in bestimmten Fällen. Um Behandlungsfehler zu vermeiden, müsse das vielzitierte „Lernen aus Fehlern“ erheblich intensiviert werden. „Jeder Fehler, aus dem heute nicht gelernt wird, kann sich morgen wiederholen und erneut Schaden verursachen", sagte Stefan Gronemeyer, Leitender Arzt und stellvertretender Geschäftsführer des MDS.

Er fordert mehr Transparenz über die Ursachen und Zusammenhänge, die zu einem Behandlungsfehler oder einem vermeidbaren unerwünschten Ereignis in der Versorgung von Patienten geführt haben. „Es kann nicht sein, dass offensichtliche und gravierende Fehler bestenfalls entschädigt werden, dann aber im Aktenschrank verschwinden“, betonte er. Es müsse sichergestellt sein, dass auch andere – zum Beispiel Krankenhäuser und Arztpraxen – von der Häufigkeit und den Umständen, die zu einem fehlerbedingten Schaden geführt hätten, „genauso selbstverständlich erfahren wie von dringend erforderlichen Präventionsmaßnahmen“.

Der MDS sprach sich heute wiederholt für eine Meldepflicht von Ereignissen aus, die zu schweren Schäden beim Patienten geführt haben und die sicher zu vermeiden gewesen wären. „Nur so können Risiken und Sicherheitsmängel erkannt und zukünftige Schadensfälle verhindert werden", so Gronemeyer. Behandlungsfehler sollten verpflichtend erfasst und für die Entwicklung von Schutzmaßnahmen genutzt werden. Dies geschehe seit Jahrzehnten bei Arbeitsunfällen in Deutschland. Seit 1996 habe sich die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle dabei mehr als halbiert. © ER/may/afp/aerzteblatt.de

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