Politik
IQWiG kritisiert Intransparenz bei Vakuumwundtherapien
Dienstag, 28. August 2018
Köln – Rund ein Jahrzehnt nach ihrer ersten Nutzenbewertung sind Nutzen und Schaden bei der Vakuumversiegelungstherapie (VVS) bei intendierter sekundärer Wundheilung weiterhin unklar. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in einem Vorbericht. Das Institut kritisiert mit deutlichen Worten die Intransparenz von Forschungsergebnissen.
Hatte es 2006 nur wenige und zudem kaum aussagefähige Studien gegeben, gibt es laut IQWiG mittlerweile mehr als 100 klinische Vergleiche mit mehreren Tausend Patienten. Doch nur von einem Teil dieser Studien sind die Ergebnisse öffentlich zugänglich, so das Institut. Nicht nur Hersteller, sondern auch Wissenschaftler hielten Daten unter Verschluss. „Damit verstoßen sie gegen ethische und wissenschaftliche Standards der Wissenschaft“, zeigt sich das IQWiG empört.
Nutzen und Schaden der Therapie allein auf Basis der veröffentlichten Daten zu bewerten, hätte zu einem hochgradig verzerrten Ergebnis führen können, heißt es weiter. Somit fehle „weiterhin eine valide Grundlage für die Bewertung von Nutzen und Schaden dieser Behandlung“.
Das Institut bewertet im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) die Therapie, um zu klären, ob es einen Zusatznutzen gibt und sie für die ambulante Versorgung von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet werden kann. Derzeit wird die Therapie vielfach bei Klinikaufenthalten eingesetzt.
Ohne wissenschaftliche Grundlage setzen Ärzte laut IQWiG demnach die teils deutlich teureren Vakuumtherapien basierend auf womöglich trügerischen Erfahrungswerten ein, obwohl sie offenbar selber nicht immer so überzeugt sind – wie man anhand der großen Studienzahl sehen könne. „Wenn die Therapie so große Erfolge erzielen und Wunden nach ein paar Wochen verschließen könnte, würden Kliniker keine Studien machen“, sagt Stefan Sauerland, IQWiG-Ressortleiter Nichtmedikamentöse Verfahren.
Für ihre Analyse haben Mitarbeiter des IQWiG versucht, alle Studien zusammenzutragen, die den Einsatz der Vakuumwundtherapien bei sekundärer Wundheilung untersuchen. Es handelt sich dabei um schwere Wunden etwa bei Patienten mit einem Druckgeschwür (Dekubitus) oder nach Operationen, bei denen die Wunde nicht zugenäht werden kann. Für die Analyse waren Studien relevant, bei denen Patienten zufällig entweder die Unterdrucktechnik oder eine Vergleichsbehandlung erhielten und bei denen für Patienten wichtige Größen untersucht wurden – etwa zu Schmerzen, der Länge des Klinikaufenthalts oder der Sterblichkeit.
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Doch für viele der Studien hätten die IQWiG-Experten keine Ergebnisse gefunden, sagte Sauerland. „Wir wissen aus vergleichbaren Fällen, warum Studien manchmal nicht veröffentlicht werden – nämlich weil die Ergebnisse nicht den Erwartungen entsprechen.“ Um verlässliche Aussagen treffen zu können, sei es unabdingbar, die Ergebnisse aller Studien in die Bewertung einzubeziehen.
In Sachen Intransparenz fiel Sauerland und seinem Team insbesondere die Firma KCI Medizinprodukte auf. Obwohl der Hersteller sich vertraglich verpflichtet habe, vollständige Daten vorzulegen, habe die US-amerikanische Firma „trotz mehrfacher Nachfragen“ nicht ausreichend geliefert. „Aufgrund der unzureichenden Kooperation von KCI lagen für einen erheblichen Teil der Patientinnen und Patienten keine verwertbaren Daten vor“, heißt es im IQWiG-Bericht. Um auf Basis womöglich verzerrter Ergebnisse keine falschen Schlüsse zu ziehen, habe sein Institut die KCI-Studien nicht berücksichtigt, erklärt Sauerland. Bei der Bewertung von Medizinprodukten sei das ein bislang einmaliger Vorgang.
Das Unternehmen würde sich für die Veröffentlichung von Studiendaten „unabhängig vom Ergebnis“ einsetzen, versichert hingegen eine KCI-Sprecherin. Das Unternehmen habe versucht, möglichst viele Daten zügig zur Verfügung zu stellen, doch einige seien aus den frühen 2000er-Jahren – oder die Firma sei nicht beteiligt gewesen.
Scharfe Kritik an Forschern
Laut Sauerland war die Datenlage auch bei Studien nicht wesentlich besser, die von Universitätsforschern gestartet wurden. In Hinblick auf die sekundäre Wundheilung fehlten für mindestens 1.703 von 4.251 Teilnehmern verwertbare Studienergebnisse – das sind immerhin 40 Prozent. Da auch bei dieser Größenordnung die Ergebnisse nicht mehr sinnvoll interpretiert werden könnten, verzichtet man auch hier auf die Bewertung, schreibt das IQWiG.
„Nun gibt es zwar Studien mit mehreren Tausend Patientinnen und Patienten, wir können aber immer noch nicht sagen, ob die Vakuumtherapie besser, gleichwertig oder womöglich sogar schlechter ist als die herkömmliche Wundbehandlung“, stellte Sauerland frustriert fest. Ursache sei, dass sowohl Unternehmen als auch Forscher Daten unter Verschluss hielten. „Damit verstoßen sie gegen ethische und wissenschaftliche Standards“, so Sauerland. „Und sie schaden damit Patienten und Ärzten ebenso wie der Versichertengemeinschaft – für mich als Arzt und Wissenschaftler ist das ein bestürzender Befund.“
Über die Beweggründe der Forscher ist nichts bekannt. Eigene Forschungsinteressen oder Abhängigkeiten könnten eine Rolle spielen. „Die Studien werden oft mit Geld vom Hersteller finanziert“, sagte Sauerland. „Vielleich werden die Studienautoren gebeten, die Ergebnisse nicht so an die große Glocke zu hängen – oder sie machen es in vorauseilendem Gehorsam.“
Gesetzesänderungen gefordert
In Deutschland verstoßen Mediziner eigentlich gegen die Regeln des Berufsstandes, wenn sie Ergebnisse von Forschung an Menschen nicht veröffentlichen. Ethikkommissionen prüfen zwar vor Studienstart, ob Richtlinien eingehalten werden – aber sie stellen kaum sicher, dass die Resultate publiziert werden.
Das IQWiG fordert daher Gesetzesänderungen in Deutschland, die Transparenz erzwingen. Bei Arzneimitteln gab es hier in den vergangenen Jahren Verschärfungen. „Ohne vergleichbare Vorschriften werden wir auch in zehn Jahren über Interventionen wie die Vakuumtherapie kein gesichertes Wissen haben“, sagte Sauerland. © dpa/may/aerzteblatt.de

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