Medizin
„Systemnavigatoren“ könnten HIV-Ausbreitung bei intravenösen Drogenkonsumenten verhindern
Montag, 3. September 2018
Columbus/Ohio – Eine psychosoziale Betreuung und die Unterstützung durch „Systemnavigatoren“, die HIV-infizierte intravenöse Drogenkonsumenten zur Therapie motivieren und ihnen helfen, sich im Gesundheitswesen zu orientieren, haben in einer klinischen Studie im Lancet (2018; doi: 10.1016/S0140-6736(18)31487-9) die Behandlungsergebnisse verbessert und Infektionen der Lebenspartner verhindert.
Intravenöse Drogenkonsumenten sind in Osteuropa und in Südostasien die wichtigste Triebfeder der HIV-Epidemie. Besonders gravierend ist die Situation derzeit in der Ukraine, in Indonesien und in Vietnam, wo mehr als 30 % der intravenösen Drogenkonsumenten HIV-positiv sind. Viele der Betroffenen sind für normale Hilfsangebote nicht empfänglich, da sie den Helfern misstrauen. Die meisten brechen die Therapie vorzeitig ab, da sie sich im System des Gesundheitswesens nicht zurechtfinden.
Das US-amerikanische HIV Prevention Network (HPTN) hat für diese Gruppe eine spezielle Intervention entwickelt, die aus 3 Komponenten besteht. Die 1. Komponente waren sogenannte „Systemnavigatoren“. In der Regel sind dies Sozialarbeiter, die den HIV-Infizierten helfen, die Therapieangebote zu finden und trotz der Drogenabhängigkeit ihre Medikamente regelmäßig einzunehmen und an die Untersuchungstermine einzuhalten. Die 2. Komponente bestand aus einer psychosozialen Betreuung. In wenigsten 2 Therapiesitzungen sollten die Drogenkonsumenten von den Vorteilen der Therapie überzeugt werden. Die 3. Komponente bestand aus einer antiretroviralen Therapie, die alle HIV-infizierten Drogenabhängigen unabhängig vom Immunstatus (CD4-Zellzahl) erhalten sollten.
Das Therapiekonzept wurde zwischen Februar 2015 und Juni 2016 in Kiew (Ukraine), Thai Nguyen (Vietnam) und Jakarta (Indonesien) an 502 HIV-infizierten intravenösen Drogenkonsumenten erprobt, die wenigstens eine nicht infizierte Person benennen konnten, mit der sie gemeinsam Drogen konsumierten und die bereit war, an den Nachuntersuchungen teilzunehmen. Die Studienteilnehmer wurden im Verhältnis 3 zu 1 auf die Intervention oder auf eine normale Betreuung vor Ort randomisiert. Diese normale Betreuung umfasste die vor Ort vorhandenen Angebote zum Drogenentzug, eine freie Abgabe von Injektionsnadeln oder auch Angebote zur HIV-Therapie.
Die HPTN-074-Studie war als Machbarkeitsstudie geplant, die in erster Linie prüfen sollte, ob sich das Konzept im schwierigen Umfeld einer städtischen Drogenszene in einem weniger entwickelten Land umsetzen lässt. William Miller von der Ohio State University in Columbus und Mitarbeiter können mit den Ergebnissen mehr als zufrieden sein, denn die Intervention hat einigen Teilnehmern das Leben gerettet.
Während in der Vergleichsgruppe mittlerweile 15 % der Drogenkonsumenten gestorben sind, betrug die Mortalität in der Interventionsgruppe nur 7 %. Etwa 26 % der Todesfälle waren direkt auf eine HIV-Infektion zurückzuführen, und bei den 42 % der Todesfälle mit unbekannter Ursache traten 24 % bei Menschen mit einem stark geschwächtem Immunsystem auf.
Diese Ergebnisse lassen sich laut Miller auf die höhere Akzeptanz und Inanspruchnahme der Therapie zurückführen: In der Interventionsgruppe nahmen nach einem Jahr noch 72 % der Teilnehmer regelmäßig ihre Medikamente ein gegenüber 43 % in der Kontrollgruppe (Probability Ratio PR 1,7, 95-%-Konfidenzintervall 1,3 bis 2,2). Bei 41 % versus 24 % lag die Viruskonzentrationen unter der Nachweisgrenze (PR 1,7; 1,3–2,2). Auch der Anteil der Infizierten, die an Therapien ihrer Drogenabhängigkeit teilnahmen, war mit 41 gegenüber 25 % in der Kontrollgruppe größer.
Die Intervention scheint auch das Ansteckungsrisiko der Partner zu senken. Während sich in der Kontrollgruppe 7 Partner neu mit HIV infizierten, kam es in der Interventionsgruppe zu keiner einzigen Neuinfektion. Der Unterschied war allerdings nicht signifikant, was aufgrund der niedrigen Zahl von Infektionen bei der für eine Präventionsstudie relativ kleinen Teilnehmerzahl auch nicht zu erwarten war. © rme/aerzteblatt.de

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