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Politik

Neue Debatte um Widerspruchslösung bei Organspende

Montag, 3. September 2018

/dpa

Berlin – Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich für die Widerspruchslösung bei der Organspende ausgesprochen und damit eine erneute Diskussion angeschoben. Künftig solle jeder Deutsche automatisch ein Spender sein, solange er oder die Angehörigen nicht ausdrücklich widersprechen würden, hatte er der Bild gesagt. Nur so könne die Organspende zum Normalfall werden.

Eine solche Neuregelung stelle zwar einen Eingriff des Staates „in die Freiheit des Einzelnen“ dar, sagte Spahn. Doch seien alle bisherigen Versuche der Politik, die stark zurück­gehende Zahl der Organspender wieder zu erhöhen, „leider ohne Erfolg“ geblieben. „Deshalb brauchen wir eine breite gesellschaftliche Debatte über die Widerspruchslösung“, sagte der Minister.

Einen eigenen Gesetzentwurf will er dazu aber nicht vorlegen. „Diese Diskussion sollten wir im Bundestag führen. Dort gehört das Thema hin“, sagte Spahn. Er sei bereit, diese Debatte „zu organisieren“. Spahn forderte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dazu auf, in die Diskussion über die Organspende einzusteigen. „Ich bin sehr gespannt auf ihre Meinung“, sagte der CDU-Politiker. Er selbst verfüge seit Jahren über einen Organspendeausweis und habe dort „das ‚Ja’ angekreuzt“.

Erst am vergangenen Freitag hatte Spahn einen Gesetzentwurf vorgelegt, der bessere Organisationsstrukturen und mehr Vergütung in den Kliniken vorsieht. Die Transplantationsbeauftragten in den Kliniken sollen demnach mehr Zeit für ihre Arbeit und intern eine stärkere Stellung erhalten. Ein flächendeckendes Berichtssystem soll offenlegen, ob die Kliniken tatsächlich die Chancen für Organspenden wahrnehmen. Das Hauptproblem sei nicht die Spendenbereitschaft der Bevölkerung, hieß es aus dem Ministerium.

Die Bundesärztekammer (BÄK) begrüßte den Gesetzentwurf am Freitag im Grundsatz. Es sei höchste Zeit, dass der Gesetzgeber endlich die strukturellen Hürden beseitige, die für die niedrigen Organspendezahlen verantwortlich seien, sagte BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery. Bisher blieben die Krankenhäuser häufig auf den Entnahmekosten sitzen. Daher sei es besonders wichtig, dass die Organentnahme in Zukunft ausreichend finanziert werden solle. Er betonte, dass der Gesetzgeber mit den neuen Vergütungsregeln eine zentrale Forderung der Ärzteschaft aufgreift.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bezeichnete es unterdessen als „unverständlich“, warum Spahn die Widerspruchslösung nicht in den Gesetzentwurf integriert habe, sagte er der Passauer Neuen Presse. „Ohne die Widerspruchslösung aber wird die Zahl der Organspender nicht weiter steigen. Sie ist notwendig, um viel Leid abzuwenden.“ Lauterbach sprach sich gegen den Vorschlag aus, die Spendenbereitschaft auf dem Führerschein zu markieren, wie es in den USA üblich ist.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte, Spahn irre, wenn er behaupte, dass „wir alles versucht hätten“. Viel Geld für Werbung auszugeben, könne nicht alles sein. „Vielmehr hat der Staat alles unternommen, um keine Verantwortung zu übernehmen. Weder bei den Richtlinien der Organentnahme noch bei der Organisation der Verteilung oder der Aufsicht.“

Nach wie vor liege alles in den Händen privater Akteure, so Brysch. „Bis heute ist das Transplantationssystem die staatlich organisierte Verantwortungslosigkeit.“ An diesen „elementaren Fehlern“ wolle Spahn nichts ändern. „Stattdessen setzt er die Axt an den Grundrechten an. Aber Schweigen ist nicht Zustimmung. Die Mitglieder der Bundes­tages werden sich bei einer offenen Diskussion dazu bekennen müssen, ob sie sich für oder gegen die Freiheitsrechte entscheiden wollen.“

Organabgabepflicht statt Organspende?

Die Einführung einer Widerspruchslösung würde „einen fundamentalen Paradigmenwechsel“ bedeuten, sagte der Sozialethiker Peter Dabrock, der auch Vorsitzender des Deutschen Ethikrates ist. „Die bisherige Organspende trägt den Charakter von Freiwilligkeit und von wohltätiger Solidarität mit Schwerkranken“, betonte der evangelische Theologe. Jetzt würden Verpflichtung und Abgabe in den Mittelpunkt gestellt. Es wäre ehrlich, dann von Organabgabepflicht statt von Organspende zu sprechen.

Die bisher als selbstverständlich erachtete Integrität des Körpers würde in Frage gestellt. Dabrock fügte hinzu, eine solche Lösung, in diesem allerhöchst persönlichen Bereich eine Aussagepflicht zu verlangen, widerspreche dem Geist, mit dem Gesetzgeber und Gerichte bisher die Verfassung ausgelegt hätten. „Es muss aber auch möglich sein, sich mit dieser Frage nicht beschäftigen zu wollen“, erklärte er.

Fraktionsübergreifende Debatte notwendig

Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Christine Aschenberg-Dugnus, sprach sich gegen die Widerspruchslösung aus. Diese missachte das Selbstbestimmungsrecht der Bürger. Es mangele nicht am Willen der Bürger, sondern am Organisationsablauf in den Kliniken.

Die Grünen-Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther, Mitglied im Ausschuss für Gesundheit, forderte heute eine fraktionsübergreifende Debatte zur Widerspruchsregelung im Bundestag. Sie mahnte aber zugleich, die von Spahn vorgelegten Reformen in den Krankenhäusern schnell zu verbessern. „Das hilft allen Menschen, die händeringend auf ein Organ warten, bedeutend mehr als alle Menschen pauschal zu Organspendern zu erklären“, sagte sie. Sie nannte es „fahrlässig“ dringend notwendige Reformen kleinzureden, weil man meine in der Widerspruchsregelung die zentrale Lösung für die bestehenden Probleme gefunden zu haben.

Andere Länder machen es vor

Die Landesärztekammer Rheinland-Pfalz begrüßte heute den Vorstoß des Ministers. „Dieser Systemwechsel ist ein richtiger und notwendiger Schritt“, erklärte der Präsident der Landesärztekammer Günther Matheis. Zwar gebe es bundesweit ein sehr großes Engagement vieler Partner, um die Organspende zu fördern. „Doch so sehr wir uns um Aufklärung bemühen. Und so sehr wir viele Verbesserungen initiieren: Die Zahl der Organspender geht seit Jahren immer mehr zurück. Und das stimmt sehr bedenklich“, fügte er hinzu.

Die Landesärztekammer verwies darauf, dass die Widerspruchsreglung in den meisten europäischen Staaten die Regel sei. Es gebe diese bereits in Belgien, Bulgarien, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Kroatien, Lettland, Luxemburg, Norwegen, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Slowenien, Slowakei, Spanien, Tschechien, Türkei, Ungarn und Zypern. In all diesen Ländern seien automatisch alle volljährigen Bürger Organspender – wenn sie dem nicht ausdrücklich widersprechen.

Matheis stellte klar, dass dies auch zu höheren Spenderzahlen führe. In Spanien beispielsweise seien 2016 auf eine Million Einwohner rund 43,4 Organspender realisiert worden. Das Land sei zum wiederholten Mal das Land mit den meisten Organspenden. In Portugal waren es 32,6 und in Frankreich 28,7. Zum Vergleich: In Deutschland lag diese Rate 2016 bei 10,4. Im vergangenen Jahr sank sie weiter auf 9,7 Spender.

Zeit für Auseinandersetzung

Aus medizinischer Sicht wäre die Widerspruchslösung eine hilfreiche Lösung, damit Schwerstkranken auf der Warteliste rascher geholfen werden kann und damit weniger Patienten während ihrer Wartelistenzeit sterben, forderte Matheis: „Ich finde, es ist Zeit, darüber offen und ehrlich zu reden und für eine transparente Debatte über die Organspende und die Einführung der erweiterten Widerspruchslösung bereit zu sein.“

Ähnlich beurteilt das die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Nur durch eine gesellschaftlich geführte Diskussion könne dauerhaft ein Klima erzeugt werden, in dem die Bereitschaft zur Organspende zunehme und zeitgleich Ängste vor der Organspende abgebaut würden.

„Ich persönlich befürworte die Widerspruchslösung, weil sie dazu führen wird, dass sich die Menschen frühzeitig gemeinsam mit ihren Angehörigen mit der Entscheidung für oder gegen die Organspende auseinandersetzen“, sagte DKG-Präsident Gerald Gaß. Die heutige Situation, in der vielfach die Angehörigen mit dieser Frage erst konfrontiert würden, wenn der Patient unheilbar erkranke oder bereits hirntot sei, sei für viele eine Überforderung. © kna/may/aerzteblatt.de

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