Politik
Kassenrücklagen steigen auf mehr als 20 Milliarden Euro
Dienstag, 4. September 2018
Berlin – Die Rücklagen der Krankenkassen sind bis Ende Juni dieses Jahres auf 20,1 Milliarden Euro angewachsen. Das hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) heute bekannt gegeben. Demnach erzielten die Kassen im ersten Halbjahr 2018 einen Überschuss von 720 Millionen Euro. Die Summe entspreche mehr als dem Vierfachen der gesetzlichen Mindestreserve und mehr als einer Monatsausgabe der Krankenkassen, hieß es.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte heute, die Reserven der Krankenkassen stiegen wegen der guten wirtschaftlichen Lage immer weiter an. Davon sollten auch die Beitragszahler profitieren. Spahn verwies auf einen Gesetzentwurf des Versichertenentlastungsgesetz, den das Bundeskabinett kürzlich verabschiedet hatte. Der sieht vor, dass die Krankenkassen mit zu hohen Finanzreserven künftig einen Teil ihrer Rücklagen über geringere Zusatzbeiträge abbauen. Der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz lag bei 1,07 Prozent und damit um 0,04 Prozentpunkte unterhalb des Vergleichsquartals.
Die Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem und Eberhard Wille hatten zuletzt vor diesem Schritt gewarnt. Sie hatten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gesagt, das Vorhaben könne die Mitgliederwanderung von Krankenkassen mit hohen Zusatzbeiträgen zu solchen mit niedrigeren beschleunigen. Die von der Abwanderung betroffenen Kassen müssten ihre Zusatzbeiträge weiter erhöhen, was eine „Todesspirale“ in Gang setzen könne.
Wie in jedem Jahr zeigen die Details der sogenannten KV45-Zahlen, dass die Überschüsse in den einzelnen Kassenlagern sehr unterschiedlich ausfallen. So verzeichneten die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKen) im 1. Halbjahr einen Überschuss von rund 371 Millionen Euro, die Ersatzkassen von 151 Millionen Euro, die Betriebskrankenkassen (BKKen) von 80 Millionen Euro, die Innungskrankenkassen (IKKen) von 40 Millionen Euro und die Knappschaft-Bahn-See von 84 Millionen Euro. Lediglich die Landwirtschaftliche Krankenversicherung erzielte ein geringes Defizit von 6 Millionen Euro.
Der Gesundheitsfonds, der zum Stichtag 15. Januar 2018 über eine Liquiditätsreserve in einer Größenordnung von rund 9,1 Milliarden Euro verfügte, verzeichnete im 1. Halbjahr 2018 einen saisonüblichen Ausgabenüberhang von rund 3,05 Milliarden Euro. Dem BMG zufolge können daraus keine Rückschlüsse auf eine ähnliche Entwicklung im weiteren Jahresverlauf gezogen werden.
Während die Ausgaben des Gesundheitsfonds als monatlich gleiche Zuweisungen an die Krankenkassen fließen, unterlägen die Einnahmen unterjährig erheblichen Schwankungen. Denn die Einnahmen aus der Verbeitragung von Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeldzahlungen würden dem Gesundheitsfonds weitestgehend in der zweiten Jahreshälfte zufließen. Hinzu kämen weitere Zusatzeinnahmen, aus den Rentenanpassungen zur Jahresmitte.
aerzteblatt.de
- Krankenkassen: Finanzreserven steigen auf rund 20 Milliarden
- Versichertenentlastungsgesetz im Bundeskabinett
- Kabinett vertagt Versichertenentlastungsgesetz und Pflegeberufeverordnung
- Krankenkassen: Gesundheitsökonom sagt Zusammenbrüche voraus
- Kassenmilliarden für Versorgung einsetzen
- Krankenkassenrücklagen: Experten warnen Spahn vor Zwangsabbau
„Durch die äußerst günstige Entwicklung der Beitragseinnahmen des Gesundheitsfonds bei einem Anstieg der beitragspflichtigen Einnahmen im 1. Halbjahr von 4,0 Prozent profitiert die gesetzliche Krankenversicherung wie die anderen Sozialversicherungszweige auch weiterhin von der ausgezeichneten Wirtschaftslage mit einer positiven Lohn- und Beschäftigungsentwicklung“, schreibt das BMG.
Das untermauert der Blick auf die Zahlen. Alles in allem standen im 1. Halbjahr Einnahmen in Höhe von rund 120,3 Milliarden Euro Ausgaben von rund 119,6 Milliarden Euro gegenüber. Damit sind die Einnahmen der Krankenkassen um 3,3 Prozent gestiegen. Die Ausgaben für Leistungen und Verwaltungskosten verzeichneten bei einem Anstieg der Versichertenzahlen von knapp 0,9 Prozent einen Zuwachs von 3,8 Prozent.
In den einzelnen Leistungsbereichen gab es unterschiedliche Kostenzuwächse. Den Zahlen des Ministeriums zufolge sind die Ausgaben für Krankenhausbehandlung im 1. Halbjahr 2018 „moderat“ um 3,0 Prozent gestiegen. Die Krankenhäuser monierten heute, der Zuwachs liege deutlich niedriger als der allgemeine Ausgabenzuwachs und vor allen Dingen auch unter der Entwicklung der Einnahmen. Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) entwickele sich „immer mehr zur Kapitalsammelstelle“.
3,9 Prozent mehr für Arzneimittel
Die Arzneimittelausgaben stiegen um 3,9 Prozent. Bei den Rabattvereinbarungen zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmern gab es eine Erhöhung des Erstattungsvolumens von 6,5 Prozent. In der vertragsärztlichen Vergütung stiegen die Ausgaben um rund 2,6 Prozent.
„Bei den Ausgaben für ärztliche Behandlung ist zu beachten, dass es bereits im Jahr 2017 bei einer Reihe von Kassenärztlichen Vereinigungen mit vergleichsweise niedrigen Leistungsausgaben auf Grund der sogenannten „Konvergenzregelung“ zu höheren Vergütungsabschlüssen gekommen ist“, erläutert das Ministerium. Diese haben dazu geführt, dass der Ausgabenzuwachs im vergangenen Jahr mit 4,3 Prozent deutlich höher gelegen habe. Erhebliche Zuwächse verbuchten im 1. Halbjahr 2018 die Hochschulambulanzen, deren Ausgaben um 19 Prozent gestiegen sind.
Überproportional gestiegen sind die Ausgaben für Heilmittel (7,4 Prozent). Dabei machen sich laut BMG vor allem die schrittweise erfolgten Honorarerhöhungen auf Grund des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes bemerkbar, die zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Heilmittelerbringer beitragen. Der Zuwachs bei Hilfsmitteln betrug 4,0 Prozent.
Hohe Verwaltungskosten
Die Netto-Verwaltungskosten der Krankenkassen sind nach deutlich unterproportionalen Anstiegen in den Vorjahren im 1. Halbjahr 2018 um 6,5 Prozent gestiegen. Rechnet man die erhöhten Zuführungen zu den Alterungsrückstellungen im Vergleich zum Vorjahreshalbjahr heraus, lag der Anstieg der Netto-Verwaltungskosten bei rund 3,4 Prozent.
Für das gesamte Jahr 2018 geht das BMG von einem deutlichen Überschuss für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die Krankenkassen aus. Mit der Einnahmen- und Ausgabenentwicklung 2019 soll sich Mitte Oktober der GKV-Schätzerkreis der Finanzexperten von Bundesversicherungsamt, Bundesministerium für Gesundheit und GKV-Spitzenverband befassen. Nach Auswertung der Ergebnisse des GKV-Schätzerkreises wird das BMG bis zum 1. November den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz für das kommende Jahr bekanntgeben.
© may/aerzteblatt.de

Nachrichten zum Thema

Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.