Medizin
Unterdrückte Erinnerungen könnten bei postraumatischen Belastungsstörungen von Nachteil sein
Mittwoch, 12. September 2018
Bochum/Birmingham – Hinweise darauf, welche Prozesse im Gehirn ablaufen, wenn Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) versuchen, Erinnerungen willentlich zu unterdrücken, hat ein internationales Forscherteam um Gerd Waldhauser von der Ruhr-Universität Bochum analysiert. Die Arbeit ist in Scientific Reports erschienen (2018; doi: 10.1038/s41598-018-31400-x).
An dem Versuch nahmen 24 geflüchtete Männer und Frauen teil. Elf von ihnen hatten infolge ihrer traumatischen Erlebnisse eine PTBS entwickelt, das heißt, sie erlebten die auslösende emotionale Situation gedanklich immer wieder. Die übrigen Probanden hatten zwar vergleichbar viele schwerwiegende traumatische Ereignisse erlebt, aber keine PTBS entwickelt.
Bei einem Gedächtnistest zeichneten die Wissenschaftler mittels Magnetenzephalografie (MEG) die Hirnaktivität der Geflüchteten auf und verglichen die Ergebnisse bei Teilnehmern mit und ohne PTBS. Bei diesem Test sollten die Probanden Assoziationen zwischen Bildern von emotional neutralen Alltagsgegenständen lernen. Aufgabe war es anschließend, einige der Assoziationen aktiv zu vergessen, andere zu behalten.
Mit der MEG erfassten die Forscher die sensorischen Gedächtnisspuren, die dabei entweder unterdrückt oder verstärkt wurden. Sie analysierten dazu die Signalstärke von sehr hohen Gammafrequenzen in Hirnregionen, die mit dem Gedächtnisabruf und der sensorischen Verarbeitung zusammenhängen.
Die Daten zeigen, dass das willentliche Unterdrücken von Erinnerungen bei Probanden mit PTBS eher einen gegenteiligen Effekt hat. Simon Hanslmayr, University of Birmingham
Probanden ohne PTBS konnten Assoziationen erfolgreich unterdrücken. Bei ihnen waren die sensorischen Gedächtnisspuren für die willentlich vergessenen Assoziationen geringer ausgeprägt als für erinnerte Assoziationen. Anders sah es bei Probanden mit PTBS aus. Je ausgeprägter die Krankheitssymptome waren, desto schwieriger war es für die Teilnehmer, Assoziationen zu unterdrücken.
Forscher stellen therapeutische Strategie infrage
„Die Daten zeigen, dass das willentliche Unterdrücken von Erinnerungen bei Probanden mit PTBS eher einen gegenteiligen Effekt hat“, erläuterte Simon Hanslmayr von der University of Birmingham. Die sensorischen Gedächtnisspuren von unterdrückten Erinnerungen blieben erhalten und wurden tendenziell sogar verstärkt. „Diese Ergebnisse liefern einen Hinweis auf die neuronalen Grundlagen von wiederkehrenden traumatischen Erinnerungen und auf die fehlende Gedächtniskontrolle bei PTBS-Patienten“, so Waldhauser.
Die Forscher weisen jedoch darauf hin, dass sie nur eine kleine Stichprobe für ihre Studie untersuchen konnten. „Diese experimentell und diagnostisch aufwendige Studie ließ sich nur mit wenigen so stark belasteten Probanden durchführen. Wir konnten allerdings dafür sorgen, dass andere Faktoren, die das Ergebnis hätten beeinflussen können – wie die Stärke von depressiven Symptomen oder die Anzahl an schweren traumatischen Erlebnissen –, in den beiden Gruppen vergleichbar waren“, erläuterte der Bochumer Neuropsychologe.
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Von den Ergebnissen erhoffen sich die Forscher Hinweise auf neue Strategien zur Therapie der PTBS. So sollte das Unterdrücken von unerwünschten Erinnerungen nicht leichtfertig als therapeutische Strategie empfohlen werden, da es offenbar genau den gegenteiligen Effekt haben könne: Die Erinnerung verstärke sich oder bleibe zumindest erhalten. „Diese Phänomene müssen weiter erforscht werden, um in präventiven oder therapeutischen Strategien münden zu können“, so die Wissenschaftler.
© hil/aerzteblatt.deLiebe Leserinnen und Leser,
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