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„Wir brauchen eine Vielfalt evidenzbasierter Psychotherapie­verfahren und keine Monokultur“

Dienstag, 18. September 2018

Berlin – Die Behandlungsoptionen für psychische Erkrankungen zeigen nur begrenzte Erfolge und die Erfolgsraten stagnieren seit Jahren. Dieser ernüchternde Befund gelte für die Psychotherapie und Psychopharmakotherapie und für alle psychischen Störungen einschließlich der Depression, berichtete Falk Leichsenring jüngst bei einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin (DGPM). Er fordert ein Umdenken.

Fünf Fragen an Falk Leichsenring, Professor für Psychotherapieforschung in der Abteilung Psychosomatik und Psychotherapie der Universitätsklinik Gießen, zu Erfolgsraten, Verhaltenstherapie und Forschungsförderung.

DÄ: Die Behandlungsoptionen für psychische Erkrankungen zeigen nur begrenzte Erfolge und die Erfolgsraten stagnieren seit Jahren. Wie belegen Sie das?
Falk Leichsenring: Die aktuellsten Meta-Analysen zeigen, dass die Erfolgsraten relativ begrenzt sind und seit Jahren stagnieren oder sogar abnehmen. Je nachdem, wie man misst, liegen sie bei nicht mehr als 50 Prozent, oft eher darunter. Psychotherapie und Psychopharma­kotherapie nehmen sich dabei im Direktvergleich nichts, wenn man sie im Vergleich unmittelbar nach Therapieende testet. Die Psychotherapie hat allerdings langfristigere Effekte. Das bezieht sich auf alle psychischen Störungen und speziell auch auf die häufigste, nämlich die Depression. Die aktuellste Meta-Analyse zur Psychopharma­kotherapie bei Depression, die 523 Studien und 116.572 Patienten umfasst, zeigt sogar nur einen geringen Mehrwert gegenüber Placebo.

Die Ergebnisse sind erschreckend, vor allem, wenn man bedenkt, dass dabei nur die Response-Rate gemessen wird. Und Response heißt ja, dass die Symptomatik um 50 Prozent zurückgeht, das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Betroffenen dann gesund sind. Response ist also ein sehr schwaches Kriterium und selbst da profitieren nicht mehr als 50 Prozent von Psychotherapie oder Psychopharmakotherapie. Misst man den Langzeitverlauf sind die Ergebnisse für die Psychopharmakotherapie schlechter. In Katamnesen nach einem Jahr gehen die Erfolgsergebnisse runter, im Vergleich zur Psychotherapie.

DÄ: Wie könnte man gegensteuern?
Leichsenring: In der Psychotherapieforschung wird immer wieder das gleiche gefördert. Die Mittel gehen überwiegend in die Forschung von Kurzzeittherapien mit Sitzungen zwischen 12 und 16 Stunden. Kurzzeittherapien lassen sich zudem leichter beforschen lassen als Langzeittherapien. Deshalb fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sie ja auch überwiegend.

Insbesondere bei chronischen psychischen Störungen sind aber meist mehr Sitzungen erforderlich. Speziell bei Depression steigt der Therapieerfolg mit der Sitzungszahl. Aus diesem Grund sollten in Zukunft länger dauernde Psychotherapien untersucht werden. Mehr Langzeittherapien zu erforschen hieße deshalb auch, sich von der grund­sätzlichen Idee der Verhaltenstherapeuten zu verabschieden, dass kurze Therapien für alle ausreichend seien.  Außerdem sollte untersucht werden, wie man den Patienten helfen kann, die bisher nicht ausreichend profitieren (non-responder). Deshalb fordere ich ein Umdenken. Es macht keinen Sinn, immer wieder auf das Gleiche zu setzen, das sich seit Jahrzehnten nicht bewährt hat.

DÄ: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang, dass an Universitäten von 60 Lehrstühlen für Klinische Psychologie und Psychotherapie 59 mit Verhaltens­therapeuten besetzt sind?
Leichsenring: Eine große Rolle, denn diese Professoren stellen Gutachter und Kollegiaten der DFG. Das hat zur Folge, dass kaum Verfahren wie psychoanalytische oder systemische Therapie beforscht werden. Das ist ein großes Problem, weil wir ja drei Richtlinien-Verfahren haben. Doch nur für eines dieser Verfahren, die Verhaltens­therapie, werden Wirksamkeitsstudien ausreichend gefördert. Und für die anderen beiden Verfahren, die Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TP) und die analytische Psychotherapie (AP), ist es extrem schwierig, an Geld zu kommen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.

In den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war das noch anders. Es gab Psychoanalytiker, Gesprächspsychotherapeuten und Verhaltens­therapeuten an den Universitäten. Die Psychotherapielandschaft war vielfältiger und bunter. Über einen langen Zeitraum hat sich dann quasi eine Monokultur entwickelt. Und Monokulturen, das weiß man aus anderen Bereichen, sind nicht günstig.

DÄ: Was bedeutet das langfristig für die beiden anderen Richtlinien-Verfahren? Der Gemeinsame Bundesausschuss prüft ja noch einmal deren sozialrechtliche Anerkennung.
Leichsenring: Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie – ich bin selbst Mitglied – hat die psychodynamischen Therapie schon vor Jahren wissenschaftlich anerkannt. Es ist nicht so, dass es gar keine Studien über die Wirksamkeit der psychodynamischen Therapie gibt – trotz dieser schwierigen Situation. Diese Studien, die die Wirksamkeit klar belegen, kommen aus der Psychosomatik oder von den Fachgesellschaften, die sie selbst finanzieren. Es sind aber viel weniger Studien als für die Verhaltenstherapie.

Für die Weiterentwicklung der Psychotherapie braucht man Drittmittel, denn in der Psychotherapie haben wir nicht die Pharmaindustrie als Sponsor. Daten aus Großbritannien belegen die einseitige Förderung der Verhaltenstherapie. Zwischen 2008 und 2013 ist Forschung zu psychodynamischen Therapien mit 1,53 Millionen Pfund gefördert worden, Forschung zu Verhaltenstherapie mit 30,42 Millionen Pfund. Das ist das 20-fache.

Für Deutschland gibt es entsprechende Zahlen nicht. Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie hat eine offizielle Anfrage an die DFG gestellt, die nicht beantwortet werden konnte. Als Begründung wurden Datenschutzgründe genannt, die Namen der Antragsteller dürften nicht offengelegt werden. Die Namen brauchen wir aber gar nicht, wir brauchen nur die Zahlen: die Anzahl der Anträge, die für die jeweiligen Verfahren gestellt wurden und die entsprechenden Bewilligungen. Meiner Ansicht nach ist der Datenschutz eine vorgeschobene Begründung, denn die Zahlen aus Großbritannien zeigen ja, dass es geht. Die DFG verteilt Steuergelder und arbeitet trotzdem wie ein privater Verein. Es gibt Seilschaften, die sich bedienen und andere von den Töpfen abschneiden.

DÄ: Sie fordern also mehr Diversität in der Psychotherapie, mehr Fördermittel für die Erforschung von Langzeittherapien und für weitere Therapieverfahren als die Verhaltenstherapie?
Leichsenring: Ich fordere eine gleichere Verteilung von Forschungsgeldern, und zwar auch für psychodynamische Therapien, Gesprächstherapie oder die Systemische Therapie. Wir brauchen eine Vielfalt evidenzbasierter Verfahren, da Patienten die von einem Ansatz nicht profitieren, durchaus von einer anderen profitieren könnten. Die Verteilung der Mittel sollte ausschließlich nach der Qualität der Anträge gehen.

Wichtig ist aber auch die Ausbildung von Psychotherapeuten. Wenn an den Universitäten nur Verhaltenstherapie gelehrt wird, dann hat das große Auswirkungen. Die meisten Absolventen werden sich dann nur noch in Verhaltenstherapie ausbilden lassen. Das ist ein ganz besorgniserregender Zustand. Hier ist die Politik gefordert, sowohl das Bundesforschungsministerium, was die Transparenz bei der DFG angeht als auch das Bundesgesundheitsministerium, da es um Patientenversorgung geht.

© PB/aerzteblatt.de

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