Politik
Heilmittelerbringer fordern Direktzugang des Patienten
Freitag, 28. September 2018
Berlin – Der Spitzenverband der Heilmittelverbände (SHV) hat sich bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dafür eingesetzt, Patienten den Direktzugang zum Heilmittelerbringer zu ermöglichen. „Wir fordern den Direktzugang ohne den Umweg über den Arzt. Denn wir Heilmittelerbringer wollen die Kompetenzen anwenden, die wir gelernt haben“, sagte der Vorsitzende des Deutschen Verbands der Ergotherapeuten (DVE), Andreas Pfeiffer, gestern anlässlich des 1. Therapiegipfels des SHV in Berlin. Ein Direktzugang würde den Patienten helfen, da er die Wartezeiten verkürze. Und die Therapeuten könnten autonom auf Augenhöhe mit den Ärzten arbeiten.
Auch die Haftung sei in diesem Zusammenhang kein Problem, meinte Pfeiffer. Die Heilmittelerbringer hätten Haftpflichtversicherungen, in denen der Direktzugang schon eingeschlossen sei. „Zudem gibt es internationale Studien“, so der DVE-Vorsitzende. „Wir sind eine Low-risk-Profession. Da wird nicht viel passieren.“
Spahn will keinen Direktzugang
Spahn erteilte der Forderung nach einem Direktzugang allerdings eine Absage. „Der Direktzugang zieht eine Budgetverantwortung nach sich. So etwas ist nicht von heute auf morgen umsetzbar. Und es ist ein Punkt, der Ihnen auch nicht nur Freude machen würde“, meinte Spahn auf dem Therapiegipfel. Zwar habe er keine Sorge, dass die Patienten durch einen Direktzugang zum Heilmittelerbringer zu Schaden kommen könnten. „Mein Hauptthema ist eher, wie wir gemeinsam eine vernünftige Versorgungssteuerung hinbekommen können“, so der Minister.
Etwas gegen die versammelte Ärzteschaft zu entscheiden, sei schwierig. „Ich halte es für besser, keine Angst davor zu haben, was der eine vom anderen klauen könnte, sondern zu überlegen, wie jeder seine Kompetenzen am besten in die Versorgung einbringen kann“, sagte Spahn.
Politik will Blankoverordnung einführen
Mitte September hatte Spahn kurz nach Gesprächen mit dem SHV ein Eckpunktepapier vorgelegt, in das er viele Forderungen des Verbandes aufgenommen hatte. So ist zum Beispiel die Einführung einer sogenannten Blankoverordnung vorgesehen. Dabei „nehmen die Ärztinnen und Ärzte auch weiterhin die Indikationsstellung und die Verordnung eines Heilmittels vor, die konkrete Auswahl der Heilmittelleistung sowie die Bestimmung der Behandlungsfrequenz und Behandlungsdauer erfolgt aber durch den Heilmittelerbringer“, heißt es in dem Papier. Damit die Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit nicht bei den Vertragsärzten liegt, haben der GKV-Spitzenverband und der SHV „in ihrer Vereinbarung auch die höhere Verantwortung der Heilmittelerbringer für die künftigen Mengenentwicklungen zu berücksichtigen“.
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Auch die Vergütung der Heilmittelerbringer soll erhöht werden. Zunächst sollen die Preise für die verschiedenen Leistungspositionen zum 1. Januar 2020 jeweils bundeseinheitlich auf den höchsten von einer Krankenkasse in einer Region vereinbarten Preis angehoben werden. Spahn zufolge entspricht dies einem Volumen von 600 bis 700 Millionen Euro. Ab 2020 sollen der GKV-Spitzenverband und der SHV dann Budgetverhandlungen durchführen.
Spahn will keine ausschließliche Akademisierung
Hintergrund der geplanten Gesetzesänderungen im Heilmittelbereich ist ein Fachkräftemangel in der Branche, den der SHV unter anderem auf die schlechte Vergütung zurückführt. „Wir müssen die Vergütung auf ein Niveau bringen, das die Existenz der Heilmittelerbringer sichert“, sagte die stellvertretende Vorsitzende des SHV, Jeannette Polster. „Aktuell ist eine weitere Erhöhung der Vergütung der freiberuflich tätigen Heilmittelerbringer um 30 Prozent notwendig, um auf das Niveau des öffentlichen Dienstes zu kommen. Die schlechte Vergütung ist der Hauptauslöser für den Fachkräftemangel.“
Der Verband fordert zudem einen Bürokratieabbau und die Ablösung der grundständigen durch eine Hochschulausbildung. Spahn zeigte Verständnis für den Wunsch, den bürokratischen Aufwand zu reduzieren. „Es muss natürlich alles ordnungsgemäß ablaufen, aber es darf auch nicht im Irrsinn enden“, sagte er. „Wir müssen dieses Problem zusammen mit den Ärzten, den Krankenkassen und Ihnen lösen.“ Bis Mitte 2019 sollen entsprechende Vorschläge entwickelt werden, heißt es in den Eckpunkten. Und weiter: „In diesem Prozess sind auch die Ursachen für das regional unterschiedliche Verordnungsverhalten der Ärztinnen und Ärzte zu klären.“
Der Forderung nach einer ausschließlichen akademischen Ausbildung von Heilmittelerbringern erteilte Spahn jedoch eine Absage. „Ich möchte nicht, dass es in allen Gesundheitsberufen nur noch Bachelor und Master gibt“, sagte er. „Ich bin offen für eine ergänzende Akademisierung. Es braucht auch Kapazitäten in der Lehre und in der Forschung. Aber ich möchte die grundständische Ausbildung erhalten.“
Therapiegipfel ist „ein historisches Zeichen“
Die Heilmittelerbringer stehen derzeit vor einem ähnlichen berufspolitischen Emanzipationsprozess, wie ihn vor Kurzem auch die Pflege erlebt hat. In diesem Zusammenhang hat sich im Jahr 2014 der Spitzenverband der Heilmittelverbände aus dem Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten, dem Deutschen Verband für Physiotherapie, dem Verband Physikalische Therapie und dem DVE gegründet. Heute vertritt der Verband nach eigenen Angaben 90 Prozent des Gesamtumsatzes im Heilmittelbereich und mehr als 75.000 Mitglieder. Insgesamt gibt es etwa 230.000 Therapeuten in Deutschland, wie die Vorsitzende des SHV, Ute Repschläger, gestern erklärte.
Auf dem Therapietag führte es zu vereinzelter Kritik, dass der SHV im Eckpunktepapier als Verhandlungspartner für die Budgetverhandlungen mit den Krankenkassen genannt wurde. Er muss jedoch, wie es weiter heißt, das Einvernehmen mit den Heilmittelverbänden herstellen, die dem SHV nicht angehören. Der Bundestagsabgeordnete und gelernte Physiotherapeut Roy Kühne rief die Heilmittelerbringer vor diesem Hintergrund zur Geschlossenheit auf. „Viele Therapeuten sind die Verbandsstreitereien satt“, sagte er unter dem Applaus der Anwesenden. Schließlich säßen alle Therapeuten in einem Boot. Den 1. Therapiegipfel nannte er ein „historisches Zeichen“. Er zeige, dass alle Heilmittelerbringer zusammenarbeiten müssten. © fos/aerzteblatt.de

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