Politik
Patienten in Hausarztverträgen geht es besser
Dienstag, 9. Oktober 2018
Berlin – Patienten, die in einen Hausarztvertrag eingeschrieben sind, leben länger, werden seltener ins Krankenhaus eingewiesen und erhalten eine bessere Arzneimittelversorgung. Das sind einige der Ergebnisse einer Evaluation der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) in Baden-Württemberg, die vom Universitätsklinikum Heidelberg und der Goethe-Universität Frankfurt am Main vorgenommen wurde.
Demnach verstarben von den 692.000 HzV-Versicherten 1.700 Menschen weniger in dem untersuchten Zeitraum zwischen 2012 und 2016 als in der Kontrollgruppe aus ebenso vielen Versicherten, die nicht in die HzV eingeschrieben sind. Dies erklärte einer der Autoren der Evaluation, Joachim Szecsenyi, ärztlicher Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg, heute vor Journalisten in Berlin.
Bei 119.000 Diabetikern, die in beiden Gruppen untersucht wurden, kam es bei den HzV-Versicherten zudem in etwa 4.000 Fällen zu weniger schwerwiegenden Komplikationen in den Jahren 2011 bis 2016. Zu den schwerwiegenden Komplikationen zählte Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt am Main, eine Dialyse, eine Erblindung, Amputationen, Herzinfarkte und Schlaganfälle.
Weniger Krankenhaustage
Bei jeweils 166.000 untersuchten Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit (KHK) verbrachten die HzV-Versicherten innerhalb von fünf Jahren circa 46.000 Tage weniger aufgrund der KHK in einem Krankenhaus. Bei 89.000 untersuchten Patienten im Alter von über 65 Jahren wurden in der HzV-Gruppe zudem 5.400 Arzneimittel aus der Priscus-Liste weniger pro Jahr verordnet als in der Kontrollgruppe. Die Priscus-Liste enthält Arzneimittel, die für Menschen ab 65 Jahren als potenziell inadäquat gelten.
Gerlach nannte noch weitere Beispiele: In der HzV-Gruppe seien im Jahr 2016 etwa 20.000 Versicherte ab dem 60. Lebensjahr mehr gegen Influenza geimpft worden, so wie es die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) vorsehen. „Und beim Thema Rückenschmerzen gibt es fast keine unkoordinierte Inanspruchnahme von Facharztleistungen mehr“, sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR). „Fast immer gibt es eine gezielte Überweisung.“
Es gebe in der HzV weniger Schnittbildgebungen, so wie es auch in den Leitlinien vorgesehen sei. Und in der HzV-Gruppe seien 8,5 Prozent weniger Versicherte infolge von Rückenbeschwerden krankgeschrieben worden als in der Kontrollgruppe. „Wir können mit zunehmender Sicherheit sagen, dass HzV-Patienten in vielen Bereichen besser versorgt sind“, resümierte Gerlach.
Hausarztverträge rechnen sich finanziell
Die hausarztzentrierte Versorgung wurde vom Gesetzgeber im Jahr 2004 auf den Weg gebracht. 2008 schlossen die AOK Baden-Württemberg, der Hausärzteverband und der Mediverbund Baden-Württemberg einen HzV-Vertrag ab, zu dem später auch Facharztverträge hinzukamen. Heute sind knapp 5.000 Hausärzte und etwa 2.500 Fachärzte und Psychotherapeuten in entsprechende Selektivverträge eingeschrieben sowie 1,6 Millionen Patienten. 60 Prozent der Patienten sind chronisch krank.
Der Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg, Christopher Hermann, erklärte, dass sich die haus- und facharztzentrierte Versorgung für die Kasse auch finanziell lohne. „Wir haben im Jahr 2017 681 Millionen Euro in diese Versorgung investiert“, sagte er. „442 Millionen Euro in die HzV und 141 Millionen Euro in die Facharztverträge. Dazu kommen 35 Millionen Euro durch die Zuzahlungsbefreiung der HzV-Versicherten.“
Die Einsparungen überwögen jedoch. So erhalte die AOK Baden-Württemberg 349 Millionen Euro infolge der Budgetbereinigung. Weitere Entlastungen in Höhe von 319 Millionen Euro entständen unter anderem durch entfallene Einzelleistungen, Einsparungen in der Arzneimitteltherapie und vermiedene Krankenhausausgaben. Insofern bleibe der AOK Baden-Württemberg am Ende ein Gewinn von 50 Millionen Euro.
1,2 Millionen weniger unkoordinierte Facharztkontakte
Der Vorsitzende des Hausärzteverbands Baden-Württemberg bezeichnete die HzV als „freiwilliges Primärarztsystem“, das die Voraussetzung für eine wirksame Versorgungssteuerung liefere. So gebe es 2,1 Millionen Hausarztkontakte mehr und zugleich 1,2 Millionen unkoordinierte Facharztkontakte weniger in der HzV im Vergleich zur Regelversorgung. „Das zeigt, dass die Koordination funktioniert“, sagte Berthold Dietsche. „Ich verstehe nicht, warum die Gesundheitspolitik dieses Beispiel ignoriert.“
„Die Zusammenarbeit zwischen Haus- und Fachärzten im Rahmen der Facharztverträge ist in Deutschland einzigartig“, lobte Gerlach. „Hier wird der ansonsten starken Fragmentierung der Versorgung gezielt entgegengewirkt.“ Erstmals gebe es gezielte Versorgungspfade und interdisziplinäre Fallkonferenzen. © fos/aerzteblatt.de

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