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Politik

Interoperabilität im Gesundheitswesen ist eine große Baustelle

Dienstag, 9. Oktober 2018

/Kzenon, stockadobecom

Berlin – Standardisierung als ein komplexes Thema bei der digitalen Transformation des Gesundheitswesens steht häufig noch in der „Technik-Ecke“, obwohl die versorgungspolitische Relevanz zunimmt. Darauf verwies Sebastian Zilch vom Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) gestern beim 3. Deutschen Interoperabilitätstag (DIT) in Berlin.

Veranstalter des DIT sind neben dem bvitg die Standardisierungsorganisationen HL7 Deutschland und IHE-Deutschland sowie die ZTG Zentrum für Telematik und Telemedizin GmbH. Letztlich gehe es darum zu klären, welche Regelungen und Weichenstellungen nötig sind, um das Ziel einer vernetzten Patientenversorgung in Deutschland umzusetzen, meinte Zilch.

Fragen der Standardisierung und Interoperabilität betreffen ihm zufolge beispielsweise auch die Gesundheitsforschung. Sie beinhalten zudem wirtschaftspolitische Aspekte insbesondere im Hinblick auf internationale Perspektiven, und sie stellen sich bei der Vernetzung der verschiedenen Gesundheitsaktenprojekte, die mehrere Anbieter­konsortien in diesem Jahr gestartet haben.

Nordrhein-Westfalen arbeitet an einer Digitalstrategie

Während auf Bundesebene die Diskussionen um eine E-Health-Strategie gerade erst begonnen haben, ist man in Nordrhein-Westfalen (NRW) schon weiter: Noch in diesem Jahr will das Bundesland eine Digitalstrategie als ein „Gesamtpaket“ für das Gesund­heitswesen verabschieden, berichtete Mathias Redders, Referatsleiter im NRW-Gesundheitsministerium und Leiter der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Telematik im Gesundheitswesen.

Zudem hat NRW eine eigene Projektgruppe zur Begleitung des Aufbaus der Telematikinfrastruktur (TI) mit Beteiligung von Selbstverwaltung und Industrie aufgebaut, um die vielen Probleme beim Ausrollen der technischen Infrastruktur zu bewältigen. „Zu sagen, die Komponenten sind da, fertig – das ist ein absoluter Trugschluss. Das ist ein Riesenkraftakt“, betonte Redders. Aber: „Wir werden in NRW bis 2020 die Vernetzung schaffen.“

Das Notfalldatenmanagement, der elektronische Medikationsplan und die Kommunikation der Leistungserbringer (KOM-LE) werden in NRW erprobt. Weitere Themen sind laut Redders das IHE-konforme Krankenhaus und das elektronische Gesundheitsberuferegister, ein länderübergreifendes Register für sämtliche nichtapprobierten Gesundheitsberufe. Hierfür ist ein Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern nötig, der sich nach einer Abstimmung von zwei Jahren jetzt „in den allerletzten Zügen“ befinde, so Redders.

Zudem gibt es das Forum elektronische Patientenakten (ePA), an dem sich laut Redders alle großen Aktenprojekte beteiligen. NRW unterstütze die per E-Health-Gesetz vorgesehene ePA-Spezifikation durch die gematik, die als neutrale Institution verpflichtende Vorgaben für alle mache, um wirkliche Interoperabilität herzustellen. Letztlich seien Strukturveränderungen nur möglich, wenn Ärzte in die Akte in einer bestimmten Struktur und mit bestimmten technischen Vorgaben schreiben müssten. Daneben setze NRW zusätzlich auf die arztgeführte sektorenübergreifende Kommunikation über den elektronischen Arztbrief und per elektronischer Fallakte (eFA). Bei der eFA seien inzwischen drei Provider aktiv und mehr als 100.000 Akten im Feld.

„Der TI-Aufbau ist grausame ,Kellerarbeit‘, aber ohne die geht es nicht“, betonte Redders. Auch habe man sich in NRW bereits sehr früh mit Interoperabilität beschäftigt. Die Forderungen: bundesweite Festlegung der semantischen und organisatorischen Interoperabilität, Schnittstellen zwischen IT-Anwendungen, die sich an internationalen Standards orientieren, Festlegung der semantischen Interoperabilität medizinischer Inhalte gemeinsam mit Fachgesellschaften, Standardisierungsorganisationen und Selbstverwaltung, mehr Rechtssicherheit im Sozialgesetzbuch (SGB), systematische Förderung der Interoperabilitäts- und Standardisierungsorganisationen sowie die Integration des Themas in Ministerien, Selbstverwaltung und Fachgesellschaften.

Zu viele Interpretationsspielräume

Derzeit beinhalte das E-Health-Gesetz sehr viele Interpretationsspielräume für die Akteure, kritisierte Stefan Hennecke, gematik. Auch gebe es einerseits das Interoperabilitätsverzeichnis „vesta“ nach Paragraf 291e SGB V mit sektoren­übergreifenden Festlegungen, andererseits den Paragrafen 291d SGB V, in dem es um sektorenspezifische Schnittstellenfestlegungen geht. Zudem seien Interoperabilität und Kompatibilität der gematik nach Paragraf 291b SGB V zwar ins Gesetz geschrieben. Fakt sei aber, dass dies nicht von allen Akteuren beachtet wird, meinte Hennecke. Es gelte daher, das Gesetz zu präzisieren und die Rolle der gematik zu klären.

Auch in der Podiumsdiskussion ging es um die Aufgabenverteilung und Kompetenzen bei Fragen der Standardisierung im Gesundheitswesen. Heike Moser vom Fachausschuss Medizinische Informatik im Deutschen Institut für Normung (DIN) verwies auf die 100-jährige Tradition des DIN in diesem Bereich und die internationale Erfahrung. Dies habe gezeigt, dass das DIN als Player eine neutrale Dialogplattform für Standardisierungsfragen bieten könne. Mit der gematik habe man hingegen eine neue Institution geschaffen. Der DIN-Fachbereich stellt jedoch einen runden Tisch zur Verfügung, an dem sich inzwischen auch die gematik beteilige, ebenso wie etwa HL7 und Industrievertreter.

Aus Sicht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gibt es zwei Ansprechpartner für Interoperabilität bei der TI: Die gematik kümmere sich um die technische Vernetzung und die Kommunikationswege in der TI, wohingegen die KBV für die semantische Interoperabilität zuständig sei, betonte Willi Roos, KBV. „Wir werden das sicherlich nicht alleine machen und im Elfenbeinturm entwickeln, sondern mit Standardisierungsorganisationen, medizinischen Berufsverbänden und IT-Verbänden gemeinsam. Aber es muss jemanden geben, der das Thema voranbringt, und wir wollen uns dieser Aufgabe annehmen und haben dafür auch die notwendige Kompetenz.“

Wie Deutschland sich bei Standardisierungsfragen etwa bei der ePA oder bei der digitalen Kommunikation im Gesundheitswesen auf internationalem Parkett positioniert, ist jedoch derzeit nicht klar. Der Druck zur Zusammenarbeit innerhalb Europas werde jedoch stärker, wenn die europäische Kommission ihr Vorhaben forciere, ein einheitliches Patientenakten-Austauschformat zu definieren, meinte Andreas Grode, gematik. „An der Stelle ist Deutschland noch nicht so aufgestellt, dass es genau weiß, wie es sich dazu verhält.“ Allerdings sei die gematik auf fachlicher Ebene inzwischen erfolgreich international etabliert.

Der Gesetzgeber ist gefragt

Der Gesetzgeber sollte festlegen, dass alle telemedizinischen Anwendungen, die von den Kostenträgern bezahlt werden, IHE verwenden und in den entsprechenden internationalen Formaten wie DICOM, HL7, FHIR et cetera verfügbar sein müssen, regte Gernot Marx von der Uniklinik Aachen an. Nur dann sollten ihm zufolge beispielsweise entsprechende Projekte aus dem Innovationsfonds auch in die Regelversorgung gelangen, forderte er.

Durch die Medizininformatik-Initiative sei man in Deutschland immerhin auf dem Weg, die Interoperabilität auf Ebene der Universitätsklinika herzustellen. Darüber hinaus müssten jedoch auch Medizingerätehersteller, Laboranbieter, App-Hersteller ihre Schnittstellen entsprechend offenlegen. „Wenn man als Industrie an der Regelversorgung teilnehmen möchte, muss man auch die Schnittstellen öffnen“, sagte Marx. Bei innovativ aufgestellten Unternehmen setze sich diese Einsicht auch allmählich durch.

Wenn die „Kellerarbeiten“ erledigt sind

Am Beispiel der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) in Österreich lässt sich darstellen, wie Entwicklungen ein eigenes Tempo aufnehmen, sobald erst einmal die „Kellerarbeiten“ erledigt sind und die Basisinfrastruktur steht. Stefan Sabutsch von der ELGA GmbH berichtete über den Stand im Projekt.

Die Akte basiert auf dem 2012 erlassenen ELGA-Gesetz. Danach sind dort die öffentlich finanzierten Gesundheitsdiensteanbieter, wie Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte und Pflegeeinrichtungen, zur Teilnahme an der gemeinsamen interoperablen Gesundheitsakte verpflichtet. Auch die Bürger sind initial dabei, können sich aber jederzeit von dem System abmelden (Opt out).

Seit 2014 haben etwa 283.000 Personen davon Gebrauch gemacht. Experten rechnen mit einem Potenzial von circa zehn bis zwölf Prozent der Bürger, die sich abmelden. Der Rollout hat Ende 2015 begonnen. Die Gesundheitsakte basiert auf internationalen Standards wie IHE XDS und HL7/CDA. „Die Notwendigkeit der semantischen Interoperabilität ist in Österreich mittlerweile unstrittig“, betonte Sabutsch.

Inzwischen seien 118 von 260 Krankenhäusern angeschlossen, berichtete der Experte. Der Rollout der Pflegeeinrichtungen beginne gerade. Im ambulanten Bereich seien wegen offener Finanzierungsfragen erst sechs Prozent der Einrichtungen angeschlossen. Bis Ende August waren 18 Millionen CDA -(Clinical Document Architecture-)Befunde über ELGA abrufbar, 72 Prozent der Befunde dabei technisch gut strukturiert (vor allem Labor- und Radiologiedokumente), wohingegen ärztliche und pflegerische Dokumente vorwiegend als PDF-Dokumente mit CDA-Header vorliegen. Der Anteil der strukturierten Dokumente steige jedoch vor allem in den Spitälern, meinte Sabutsch.

Im niedergelassenen Bereich hat der Rollout für die interoperable elektronische Medikation 2017 begonnen und soll im nächsten Jahr abgeschlossen werden. Sie umfasst die elektronische Verordnung und die Abgabedaten in den Apotheken. Eine kleine Gruppe von 120 Ärzten erproben inzwischen auch den elektronischen Befund. „In der Vergangenheit habe es hier große Vorbehalte von der Ärztekammer und von den Standesvertretungen der Ärzte dagegen“, erläuterte Sabutsch. Dies werde derzeit evaluiert.

Alle Ärzte, die mit der E-Medikation arbeiten, haben bereits auch die technischen Voraussetzungen, um E-Befunde abzurufen. Insgesamt sei der Rollout in den Krankenhäusern gut gelaufen. Im ambulanten Bereich verlaufe der Umstellungsprozess wegen des hohen Aufwands in jeder Ordination „zäh“.

Patient Summeries in Vorbereitung

Derzeit werden erst vier verschiedene Dokumente in ELGA gespeichert: ärztliche und pflegerische Entlassbriefe sowie Labor- und Radiologiebefunde. Geplant ist eine Erweiterung durch Patient Summeries als grundlegende hochstrukturierte Zusammenfassung medizinischer Daten zum aktuellen Zustand des Patienten, die für alle Fachrichtungen und Situationen geeignet sein sollen. Sie sollen entweder „automationsunterstützt“ oder ärztlich ediert ausgewertet werden. Der Leitfaden für die Patient Summeries orientiert sich an internationalen Vorgaben und wird auf HL7 und SNOMED-CT basieren.

Gearbeitet wird außerdem am Laborbefund Mikrobiologie speziell zur Abbildung mikrobiologischer Untersuchungen – auch hierfür wird laut Sabutsch SNOMED-CT und der LOINC-Standard benötigt. Ab 2020 soll zudem der elektronische Impfpass eingeführt werden, der den Papierausweis ablösen wird. © KBr/aerzteblatt.de

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