Ärzteschaft
KBV: Umwandlung defizitärer Krankenhäuser wäre eine Win-win-Situation
Mittwoch, 10. Oktober 2018
Berlin – Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat vorgeschlagen, kleine, unrentable Krankenhäuser in strukturschwachen Regionen in sogenannte Intersektorale Gesundheitszentren (IGZ) umzuwandeln. „Dabei geht es nicht darum, Krankenhausstandorte zu schließen. Im Gegenteil: Wir wollen die Standorte erhalten und zukunftsfest machen“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der KBV, Andreas Gassen, heute vor Journalisten in Berlin.
Insbesondere kleine Krankenhäuser in ländlichen Regionen seien heute wirtschaftlich nicht überlebensfähig. Vielfach müssten die Kommunen die Defizite der Häuser ausgleichen. „Die Menschen in den Regionen haben Angst, dass die Versorgung vor Ort wegfällt, wenn ein Krankenhaus schließt“, sagte Gassen. „Mit unserer Idee würden die Strukturen in der Region erhalten bleiben. Und die Qualität der Versorgung würde sogar noch verbessert – bei niedrigeren Preisen.“
„Wir erhoffen uns von den IGZ eine Win-win-Situation für alle Beteiligten: die Erhaltung von Standorten sowie Arbeitsplätzen in den Kommunen, eine finanzielle Entlastung der Träger, die keine Defizite mehr ausgleichen müssen, sowie eine bedarfsgerechtere Versorgung der Bürgerinnen und Bürger“, betonte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KBV, Stephan Hofmeister.
Das IGZ würde nach den Vorstellungen der KBV eine allgemeinmedizinische, internistische sowie chirurgische Grundversorgung anbieten, die bei Bedarf modular erweitert werden kann, etwa durch Kooperationen mit niedergelassenen Ärzten. Denkbar sei dies zum Beispiel im Bereich des ambulanten Operierens und weiterer Fachgebiete wie HNO, Dermatologie oder Urologie, so Hofmeister.
75 Krankenhäuser eignen sich für eine Umwandlung
„Wir konnten 190 Krankenhausstandorte in Deutschland identifizieren, die sich grundsätzlich für eine Umwandlung in ein IGZ eignen würden“, erklärte Andreas Schmid von der Universität Bayreuth, die im Auftrag der KBV zusammen mit der Oberender AG, einer Unternehmensberatung, die vor allem Krankenhäuser berät, ein Gutachten zu IGZ erarbeitet hat.
Die für eine Umwandlung geeigneten Standorte gehören dem Gutachten zufolge der Grund- und Regelversorgung an, verfügen zumindest über eine internistische Fachabteilung, sind im ländlichen Raum angesiedelt und haben weniger als 200 Betten. Manche dieser Krankenhäuser könnten sich jedoch über Sicherstellungszuschläge finanzieren, da sie für die Versorgung der jeweiligen Region notwendig seien, sagte Schmid: „Rechnet man diese heraus, bleiben 75 Krankenhäuser mit einer Bettenzahl zwischen 51 und 150, die idealtypisch für eine Umwandlung in ein IGZ wären.“
Die Intersektoralen Gesundheitszentren sollen im ambulanten Sektor angesiedelt sein. Ihr Angebot soll aber über das klassische ambulante Leistungsportfolio hinausgehen. Im Rahmen einer erweiterten ambulanten Versorgung (EAV) sollen die Zentren auch über Bettenabteilungen verfügen, in denen Patienten bei Bedarf über Nacht bleiben können. Denn „die Menschen nur deshalb in eine Klinik zu schicken, weil es kein anderes niederschwelliges Angebot der ärztlichen Überwachung und Pflege gibt, ist nicht nur wirtschaftlich absurd“, betonte Gassen. „Es entspricht auch nicht den heutigen medizinischen Möglichkeiten oder den Wünschen der Patienten.“
Hofmeister nannte als Beispiel einen alleinstehenden älteren Herrn mit entgleistem Diabetes. „Er kann noch nicht nach Hause zurückkehren, weil dort niemand ist“, sagte Hofmeister. „Er braucht aber auch auf keinen Fall in ein Krankenhaus eingeliefert zu werden.“ Das Konzept der EAV sieht vor, dass Patienten für maximal fünf Tage eine pflegerische Rund-um-die-Uhr-Betreuung erhalten. Ärzte wären immer vor Ort beziehungsweise außerhalb der Sprechzeiten in Rufbereitschaft.
Abschlag auf die DRG-Vergütung
Betrieben werden können die IGZ nach der Vorstellung der KBV von unterschiedlichen Akteuren, zum Beispiel den Kommunen, den Kassenärztlichen Vereinigungen oder auch von privaten Unternehmen. „Da gibt es keine Denkverbote“, so Gassen. Finanziert werden könnten die IGZ über Verträge, die die Betreiber mit den Krankenkassen vor Ort abschließen.
„Für eine solche Versorgung, die zwischen dem ambulanten und dem stationären Bereich angesiedelt ist, brauchen wir ein neues Vergütungsmodell“, erklärte Jan Hacker von der Oberender AG. „Wir schlagen ein Modell vor, das einen Abschlag auf die heutige DRG-Vergütung vorsieht, zum Beispiel in Höhe von 30 Prozent.“ Ein so finanziertes Unternehmen könne medizinisch und ökonomisch funktionieren – wenn man Partner bei den Krankenkassen finde, die bereit sind, es zu bezahlen.
Interesse bei den Krankenkassen
„Ich glaube, dass es ein großes Interesse bei den Krankenkassen gibt, eine solche Versorgung zu finanzieren“, meinte Gassen. Denn sie sei günstiger als die teure Krankenhausbehandlung.
Bei den Krankenkassen bestehe die Bereitschaft, über die finanzielle Unterstützung von IGZ nachzudenken, meinte auch Schmid. Gewiss komme es auf die Höhe des zu vereinbarenden Abschlages an. Aber es bestehe das Bewusstsein bei den Kassen, dass es einen Bedarf für IGZ gebe.
Um die IGZ in Deutschland zu etablieren, bedürfe es allerdings langfristig rechtlicher Anpassungen, so Gassen. Diese beträfen zum Beispiel die Honorierung und die Bedarfsplanung: „Wenn bisher stationäre Leistungen künftig in einem IGZ ambulant erbracht werden, müssen auch die Budgets und Arztkapazitäten entsprechend angepasst werden. Es gilt: Das Geld muss der Leistung folgen.“
Kritik von Krankenhäusern
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) ließ kein gutes Haar an den Vorschlägen. „Wer ländliche Krankenhausstandorte zu ambulanten Behandlungszentren mit betreutem Schlafen umbauen möchte, der zeigt, wie wenig Verständnis er für den tatsächlichen Versorgungsbedarf dieser Regionen mitbringt“, erklärte DKG-Präsident Gerald Gaß.
Nachdem es die Kassenärztlichen Vereinigungen über viele Jahre hinweg versäumt hätten, im Rahmen ihrer Sicherstellungsverantwortung auch in den ländlichen Regionen für eine ausreichende ambulante Haus- und fachärztliche Versorgung zu sorgen, versuchten sie nun, diese Versäumnisse zu kaschieren.
Die ländlichen Krankenhausstandorte würden heute neben der akutstationären Krankenhausbehandlung auch die ambulante Notfallversorgung und überwiegend auch die ambulante fachärztliche Regelversorgung für die Bevölkerung erbringen, meint die DKG. Ohne diesen Beitrag der Krankenhäuser sähe es in vielen Regionen Deutschlands bereits sehr düster aus. Darüber hinaus seien diese Klinikstandorte in aller Regel auch die Basis für die Notarztversorgung.
„Wenn die KBV nun in ihrem Gutachten feststellt, dass man dies alles durch eine Großpraxis mit angeschlossener Patientenübernachtung ersetzen könnte, macht sie sich völlig unglaubwürdig und ignoriert den tatsächlichen Bedarf an Gesundheitsinfrastruktur im ländlichen Raum“, so Gaß.
Der Marburger Bund (MB) betonte, die Grundidee entspreche einem alten MB-Vorschlag, wie mit Krankenhäusern umgegangen werden könne, die zu klein geworden seien, um dauerhaft bestehen zu können. „Für die betroffenen Häuser kann das Modell ein Ausweg sein und einen sonst drohenden Abbau von notwendigen medizinischen Versorgungskapazitäten verhindern“, sagte der 1. Vorsitzende des MB, Rudolf Henke.
Er betonte, es sollte aber auch die Möglichkeit einer gemeinsamen Trägerschaft von Krankenhausträgern mit Vertragsärzten und die Möglichkeit einer gegebenenfalls kombinierten ambulant-stationären Versorgungsleistung geben. Die Einzelheiten des von der KBV vorgestellten Modells wolle man „sorgsam prüfen“. © fos/aerzteblatt.de

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