Medizin
Erhöhen ACE-Hemmer das Lungenkrebsrisiko?
Donnerstag, 25. Oktober 2018
Montreal – Britische Hausarztpatienten, denen dauerhaft ein ACE-Hemmer verordnet wurde, erkrankten in der Folge häufiger an Lungenkrebs. Nach den im britischen Ärzteblatt (BMJ 2018; 363: k4209) vorgestellten Ergebnissen einer prospektiven Kohortenstudie wäre das Risiko für den einzelnen Patienten gering. Wegen der häufigen Verordnung der Substanzgruppe könnten ACE-Hemmer jedoch die Gesamtzahl der Lungenkrebserkrankungen erhöhen.
Wirksstoffe, die das angiotensinkonvertierende Enzym (ACE) hemmen, wurden in den 1980er-Jahren zunächst als Blutdrucksenker entwickelt. Seit den 1990er-Jahren werden sie zunehmend auch zur Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz sowie bei chronischen Nierenerkrankungen eingesetzt. Die Mittel gelten als gut verträglich, wenn man von der gelegentlichen Induzierung eines trockenen Hustens absieht.
Seit einiger Zeit gibt es Bedenken, dass ACE-Hemmer das Risiko von Lungenkrebs erhöhen könnten. Sie gründen sich auf den Wirkungsmechanismus. Das Angiotensin-konvertierende Enzym metabolisiert neben Angiotensin 1 auch Bradykinin, einen aktiven Vasodilatator. ACE-Hemmer erhöhen deshalb die Konzentration von Bradykinin. Die Zellen verschiedener Karzinome einschließlich dem Lungenkrebs exprimieren Bradykininrezeptoren, und es konnte gezeigt werden, dass Bradykinin die Freisetzung von vaskulären endothelialen Wachstumsfaktoren stimuliert. Es könnte deshalb die Angiogenese und damit das Tumorwachstum fördern.
In den zahlreichen randomisierten Studien wurde zwar niemals eine erhöhte Rate von Krebserkrankungen beobachtet. Dies schließt allerdings ein langfristiges Risiko nicht aus, da die Studien die Patienten in der Regel nur wenige Jahre (1,3 bis 5,1 Jahre) beobachtet haben. Krebserkrankungen entwickeln sich jedoch häufig erst nach einer längeren Latenzzeit.
Es wurde deshalb in den letzten Jahren in epidemiologischen Studien bereits mehrfach nach Hinweisen auf ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko gesucht. Die Ergebnisse waren bisher inkonsistent.
Ein Team um Laurent Azoulay von der McGill University in Montreal hat jetzt einen erneuten Versuch unternommen. Die Forscher analysierten die Daten der UK Clinical Practice Research Datalink (CPRD), die die elektronischen Krankenakten von britischen Hausarztpatienten verwaltet.
In den Jahren 1995 bis 2015 wurde bei 992.061 Patienten mit der Behandlung einer Hypertonie begonnen. Bei insgesamt 335.135 Patienten gehörte ein ACE-Hemmer zu den neu eingesetzten Wirkstoffen. In den folgenden median 6,4 Jahren erkrankten 7.952 Patienten an Lungenkrebs. Bei den Patienten, die ACE-Hemmer erhalten hatten, betrug die Inzidenz 1,6 pro 1.000 Personenjahre gegenüber 1,2 pro 1.000 Personenjahre bei den anderen Hochdruckpatienten. Azoulay ermittelte eine Hazard Ratio von 1,14, die mit einen 95-%-Konfidenzintervall von 1,01 bis 1,29 statistisch signifikant war. Die Behandlung erhöhte das Risiko damit relativ um 14 Prozent, ein in epidemiologischen Studien relativ geringer Anstieg.
Das Risiko war allerdings dosisabhängig: Nach einer Einnahmedauer von mehr als 10 Jahren war es um 31 % erhöht (Hazard Ratio 1,31; 1,08-1,59). Wenn die erste Einnahme mehr als 10 Jahre zurücklag, war das Risiko um 29 % erhöht (Hazard Ratio 1,29; 1,10-1,51).
Die Gefahr für den einzelnen Patienten ist angesichts des absoluten Unterschieds von 0,4 Lungenkrebsfällen auf 1.000 Patientenjahre gering. Da die ACE-Hemmer jedoch zu den am häufigsten verschriebenen Medikamentenklassen gehören, könnte es auf Bevölkerungsebene zu einem relevanten Anstieg der Erkrankungszahlen kommen, den die Forscher in ihrer Studie allerdings nicht berechnet haben.
Andererseits ist die Aussagekraft von Beobachtungsstudien beschränkt. Die Forscher konnten nicht alle möglichen anderen Einflussfaktoren wie sozioökonomische Unterschiede, Ernährung und eine familiäre Häufung ausschließen. Es bleibt deshalb abzuwarten, ob weitere Studien die Ergebnisse bestätigen. Die Verordnung von ACE-Hemmern würde durch ein leicht erhöhtes Lungenkrebsrisiko nicht infrage gestellt. Der Nutzen der ACE-Hemmer ist durch zahlreiche randomisierte klinische Studien gut belegt. © rme/aerzteblatt.de
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Re: Primum non nocere
Der statistische Zusammenhang zwischen ACE-Hemmer-Therapie und Lungenkrebsrisiko ist zunächst einmal rein deskriptiv und ohne Aussage zu einer Kausalität. Und selbst wenn eine Kausalität bestünde, müsste man Nutzen und Risiko gegeneinander abwägen. Wenn das Medikament dazu führt, dass Patienten lange genug leben, um überhaupt ein Karzinom zu entwickeln - sollte man sie dann lieber an den Folgen einer Hypertonie frühzeitig sterben lassen als sie dem (kleinen) Risiko eines späteren Lungenkrebses auszusetzen?

Primum non nocere
Dabei ist eine alternative Therapie gerade hochwirksam. Nur wenige Ausnahmen bedürfen wirklich einer "medikamentösen" Therapie nach Durchführung integrativer Medizin.
Ernährungsumstellung und Darmsanierung würden mindestens 90% in kürzester Zeit sofort heilen. Beim Diabetes Typ2 das gleiche.
Unabhängig von den nicht genutzten und aus Unkenntnis belächelten Alternativen wird bei der Weiterverordnung der oben genannte Leitsatz verletzt. Was, wenn doch in späteren prospektiven Studien herauskommt, dass doch ACE-Hemmer Lungenkrebs auslösen?!
Es gibt doch auch "schulmedizinische" Alternativen zu ACE-Hemmern. Im Zweifel stelle ich konsequent um, bis Klarheit herrscht.
Bei 80+ ist der neurohumorale Effekt ohnehin fraglich, da tut es auch ein Kalziumantagonist.
Bei den Sartanen gibt es ja jetzt die Übergangsregelung mit Grenzwerten; das erinnern mit stark an den Abgasskandal in der Automobilbranche.
Es wird Zeit, dass Ärzte und Patientinnen wieder mehr Eigenverantwortung übernehmen und kritischer mit pharmazeutischen Produkten umgehen. An dieser Stelle sei auf die steigenden Inzidenzen der Zivilisations-, Autoimmun-, Neurodegenerations- sowie Krebserkrankungen hingewiesen. Hier gibt es schulmedizinisch keine vernünftigen Strategien. Auch die prognostizierte Lebenserwartung wird kontrovers diskutiert und wird in der Zukunft noch für Überraschungen sorgen.
Gestalten Sie durch Ihre Neugier und Offenheit den begonnenen Wandel in der Medizin und Gesellschaft mit!
Tom Splettstösser
Internist, Geriater, Palliativmediziner

Keine prospektive Studie!
BMJ 2018; 363 doi: https://doi.org/10.1136/bmj.k4209 (Published 24 October 2018)
Cite this as: BMJ 2018;363:k4209
von Blánaid M Hicks et al. behauptet an keiner Stelle, eine prospektive Studie zu sein.
Dennoch schreibt das Deutsche Ärzteblatt irreführend: "Nach den im britischen Ärzteblatt (BMJ 2018; 363: k4209) vorgestellten Ergebnissen einer prospektiven Kohortenstudie wäre das Risiko für den einzelnen Patienten gering."
In Wahrheit handelt es sich um eine Bevölkerungsbasierte Kohortenstudie im "follow-up"-Design:
"Design - Population based cohort study." Am Studiendesign - "Setting United Kingdom Clinical Practice Research Datalink - erkennt man sofort, worin der erkenntnistheoretische Fehler liegt.
Patienten/-innen, die regelmäßig ACE-Hemmer als Anti-Hypertonie-Medikamente einnehmen, suchen wesentlich häufiger Hausärzte auf, achten mehr auf allgemeine Krankheitssymptome und werden häufiger untersucht als jede andere Vergleichsgruppe. Dabei werden automatisch mehr Fälle von Lungenkrebs detektiert, als dies in der Vergleichsgruppe ohne ACE-Hemmer-Medikationen möglich wäre.
Entsprechend vorsichtig äußern sich die wissenschaftlichen Autoren:
"Conclusions - In this population based cohort study, the use of ACEIs was associated with an increased risk of lung cancer. The association was particularly elevated among people using ACEIs for more than five years. Additional studies, with long term follow-up, are needed to investigate the effects of these drugs on incidence of lung cancer."
Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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