Medizin
Bedeutung der Mikroglia im Gehirn lange unterschätzt
Freitag, 9. November 2018
Berlin/Paris – Die Mikrogliazellen im Gehirn gelten weithin als Immunzellen des zentralen Nervensystems, die in erster Linie Krankheitserreger aufspüren, insbesondere Bakterien. Doch jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass sie für die Gesundheit des Gehirns offenbar noch weit wichtiger sind. „Die Hinweise verdichten sich, dass Fehl- oder Überaktivierungen der Mikroglia zur Entstehung einer Reihe neuropsychiatrischer Erkrankungen beitragen“, sagte Jochen Herms bei der sogenannten Neurowoche in Berlin. Herms ist Direktor des Zentrums für Neuropathologie und Prionforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Mikrogliazellen bevölkern laut Herms das sich entwickelnde Gehirn im Mutterleib bereits sehr früh. Sie nehmen aktiv an der Einwanderung, Selektion und Ausdifferenzierung von Nervenzellen und anderen Zellen des Gehirns teil. „Mikrogliazellen lernen während der Gehirnentwicklung körperfremde Produkte aus dem mütterlichen Blutkreislauf kennen, etwa Virusbestandteile oder Bestandteile von Bakterien aus dem mütterlichen Darm.
Diese Programmierung, man spricht auch von einer epigenetischen Prägung, kann fehlerhaft ablaufen, wenn die Mutter während der Schwangerschaft zum Beispiel an einer Infektionserkrankung leidet“, erläuterte Herms, der auch Tagungspräsident der Deutschen Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie (DGNN) auf der Neurowoche ist.
Diese fehlerhafte Prägung könne möglicherweise lebenslange Konsequenzen haben. „Am konkretesten sind die Hinweise, dass falsch geprägte Mikrogliazellen eine Ursache für die Entwicklung der Schizophrenie sind“, so der Wissenschafter. Diese Erkrankung manifestiere sich typischerweise bei jungen Erwachsenen zu einem Zeitpunkt, an dem die Mikroglia sehr aktiv sei und überschüssige synaptische Verbindungen zwischen Nervenzellen abbaue.
Deutliche Hinweise gebe es auch darauf, dass die Funktion der Mikroglia bei zahlreichen neurologischen Erkrankungen eine Rolle spiele, darunter bei Multipler Sklerose, Amyotropher Lateralsklerose sowie der Parkinsonerkrankung. „Fehlfunktionen der Mikroglia erhöhen außerdem die Wahrscheinlichkeit, eine Alzheimer-Demenz zu entwickeln“, sagte Herms. Abbauprodukte des Stoffwechsels würden schlechter abgeräumt, was zu Ablagerungen von körpereigenen Eiweißen im Gehirn führe, zum Beispiel in Form von sogenannten Amyloidplaques.
Die Neurowoche in Berlin ist die gemeinsame wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), der Deutschen Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie (DGNN) und der Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP). © hil/aerzteblatt.de
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