Medizin
Niedrigere Behandlungsschwelle bei Bluthochdruck nicht sinnvoll
Dienstag, 4. Dezember 2018
München – „Die neue US-Richtlinie für Bluthochdruck bietet keine Vorteile für Betroffene.“ Dieser Meinung sind Wissenschaftler um Karl-Heinz Ladwig von der Technischen Universität München (TUM) und dem Helmholtz Zentrum München auf Grund der Daten von rund 12.000 Patienten in Deutschland. Sie kommen zu dem Schluss, dass eine niedrige Blutdruckschwelle für eine Behandlung nicht vor tödlichen Herzerkrankungen schützt – sie könnte sich sogar negativ auf die Psyche der Betroffenen auswirken. Die Arbeit ist im European Heart Journal erschienen (2018; doi: 10.1093/eurheartj/ehy694).
Seit 2017 gibt es in den Leitlinien des American College of Cardiology eine zusätzliche Kategorie für Bluthochdruck: „Stage 1 Hypertension“. Patienten sollen demnach behandelt werden, wenn bei ihnen die entsprechenden Werte (130-139 mmHg / 80-89 mmHg) gemessen werden. Die European Society of Cardiology sieht bei diesen Werten hingegen noch einen „erhöht normalen Blutdruck“ und keinen zwingenden Handlungsbedarf.
„Wir haben untersucht, wie hoch innerhalb eines Zeitraumes von 10 Jahren das Risiko für Menschen in den verschiedenen Blutdruckkategorien war, an einer Herz-Kreislauferkrankung zu sterben und welche anderen Risikofaktoren jeweils vorlagen“, erläutert Seryan Atasoy, Erstautorin der Studie und Epidemiologin am Helmholtz Zentrum München und der Ludwig-Maximilians-Universität München.
In der neugeschaffenen Kategorie „Stage 1 Hypertension“ war das Risiko an einer Herz-Kreislauferkrankung zu sterben nicht signifikant höher als bei normalem Blutdruck.
Gleichzeitig sei der Motivationseffekt, aufgrund der Diagnose den Lebensstil umzustellen, äußerst fraglich. Denn bei Patienten mit gefährlichem Bluthochdruck, die sowohl nach US- als auch nach europäischen Leitlinien mit Medikamenten behandelt werden sollen, seien Risikofaktoren wie Rauchen und Bewegungsmangel besonders ausgeprägt. „Das zeigt, dass viele trotz Diagnose ihren Lebensstil nicht umstellen“, so Ladwig.
Wird man offiziell mit dem Etikett 'krank' versehen, wirkt sich das auf die psychische Gesundheit aus. Karl-Heinz Ladwig, Technische Universität München
Nicht-Behandelte seltener depressiv
Bei der Betrachtung der Patienten mit gefährlichem Bluthochdruck fiel den Forschern außerdem auf: Bei rund der Hälfte derjenigen, die wegen des gefährlichen Bluthochdrucks Medikamente nahmen, wurden depressive Stimmungslagen festgestellt. Das war nur bei etwa einem Drittel der Nicht-Behandelten der Fall. „Wir nehmen an, dass es sich um einen Labeling-Effekt handelt“, sagt Ladwig. „Wird man offiziell mit dem Etikett 'krank' versehen, wirkt sich das auf die psychische Gesundheit aus.“
zum Thema
- Studie im European Heart Journal 2018
- Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Technische Universität München
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- Hypertonie in der Schwangerschaft: Das Risiko für Bluthochdruck ist selbst 20 Jahre nach der Entbindung noch erhöht
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„Das American College of Cardiology selbst hat errechnet, dass der Anteil der Erwachsenen mit der Diagnose Bluthochdruck durch die neue Leitlinie von 32 auf 46 % steigt“, so der Wissenschaftler. „14 % werden also zusätzlich psychischem Druck ausgeliefert – ohne dass für sie eine signifikant höhere Gefahr bestehen würde, eine tödliche Herz-Kreislauferkrankung zu entwickeln und ohne, dass eine Motivationswirkung der Diagnose zu erwarten wäre.“ Eine Übernahme der US-Leitlinien in Europa wäre daher aus Ladwigs Sicht grundsätzlich falsch.
© hil/aerzteblatt.deLiebe Leserinnen und Leser,
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