Politik
Antrag gegen Widerspruchslösung bei Organspende steht
Dienstag, 18. Dezember 2018
Berlin – In der Diskussion um die Organspende hat sich eine fraktionsübergreifende Gruppe von Bundestagsabgeordneten auf Eckpunkte für eine Entscheidungsregelung verständigt. Die Gruppe um den CSU-Politiker Stephan Pilsinger und Grünen-Chefin Annalena Baerbock stellt sich damit gegen den Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der eine Widerspruchslösung einführen will, berichten die Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Bis Ende Januar soll ein Gesetzentwurf vorliegen.
Der Vorschlag sieht vor, dass die Deutschen sich alle zehn Jahre bei der Ausgabe des Personalausweises zu ihrer Organspendebereitschaft äußern sollen. „Aber: Man muss seine Entscheidung jederzeit ändern können, und es muss möglich sein, sich gar nicht zu entscheiden“, sagte Pilsinger den Zeitungen.
Auslöser für die Debatte war der Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Spahn. Danach soll jeder Mensch automatisch potenzieller Organspender sein, wenn er zu Lebzeiten nicht widerspricht oder dessen Angehörige nach dem Tod nicht widersprechen. Derzeit ist es umgekehrt: Ein Organspender oder seine Angehörigen müssen der Spende aktiv zustimmen.
Die Parlamentarier lehnen eine stärkere rechtliche Verpflichtung der Bürger zur Organspende ab. „Dass jeder automatisch zum Spender wird, wenn er nicht widerspricht, ist rechtlich problematisch“, so Baerbock. „Es greift zudem die Würde jedes Einzelnen an.“ Klar sei aber auch, dass der Bundestag angesichts sinkender Spenderzahlen handeln müsse.
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Laut Baerbock sehen die Eckpunkte vor, dass Bürger bei der Beantragung eines Ausweises ausführliche Informationen zur Organspende von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) erhalten.
Bei der Ausweisabholung muss sich die Person dann entscheiden und dies an einem Gerät vor Ort eintragen. Jeder Bürger erhält gleichzeitig einen Zugangscode und eine separate PIN, um eine Entscheidung jederzeit ändern zu können. Die Entscheidungen sollen in einem zentralen Organspenderegister eingetragen werden.
Unterstützt werde dieser Antrag, so die Zeitungen, unter anderem von den ehemaligen Gesundheitsministern Hermann Gröhe (CDU) und Ulla Schmidt (SPD). Auch die gesundheitspolitischen Expertinnen Karin Maag (CDU) und Hilde Mattheis (SPD), die komplette Fraktionsspitze der Grünen sowie die Parteichefin der Linke, Katja Kipping, gehörten dazu. © kna/aerzteblatt.de

Glanz und Elend der Transplantationsmedizin
Animierte Avatare?
Fachärzte-Teams, die den Hirntod feststellen, bzw. Ex-, und Implanteure bewegen sich auf schmalem Grat zwischen Leben und Tod, zwischen Hirntodfeststellung, Entscheidungsfindung und Transplantations-Geschehen. Hirntote Organspender/-innen erscheinen den Explantations-Teams als künstlich belebte "Avatare", deren endgültiger Tod erst nach Organentnahmen besiegelt ist.
Widerspruchslösung konterkariert "Mehr Organspende-Bereitschaft wagen"
"Mehr Organspende-Bereitschaft wagen" geht nur mit Selbst-Reflexion, Nachhaltigkeit, Mut und Offenheit. Transplantationsmedizin ist keine "Wiedergeburt", sondern einseitige Lebensverlängerung. Demnach gibt es keine "moralisch-ethische Pflicht zur Organspende", sondern nur eine Rationale mit freiwilliger Entscheidung dafür oder dagegen. Deshalb ist die von Fachminister Jens Spahn und Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel propagierte "Widerspruchslösung", nach der Jede(r) von Geburt an potenzieller Organspender sein müsse, kontraproduktiv. Sie wird z.B. in Spanien in dieser Form auch nur im Konsens verwirklicht, wie eine deutsche Parlamentariergruppe 2018 feststellte:
[https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/organspende/article/975345/organspende-spanien-widerspruchsloesung-erfolgreich.html]
Deutscher Ethikrat contra Widerspruchslösung:
- Professor Claudia Wiesemann, Abteilung Ethik und Medizin der Universität Göttingen, sieht kein Spendenproblem, sondern Melde- und Organisationsprobleme. Organisationsethische Konflikte verursachten den Rückgang der Spenderzahlen. Eine perimortale Organspende Hirntoter mit einem lebendig anmutenden Leib sei die größte Herausforderung für Ärzte, Fachpflegekräfte, Angehörige und Betroffene. Es ginge um Achtsamkeit, Aufmerksamkeit und ethische Zielkonflikte besonders bei denen, die im Schatten von strahlend-erfolgreichen Transplanteuren das Maschinen-gestützte Leben von Organspendern nach Organentnahme beenden müssen.
- Dem Kölner Staatsrechtler Professor Wolfram Höfling zufolge ist jede Entscheidung zur Organspende eine existenzielle Entscheidung über das eigene Sterben. "Ein Widerspruchsmodell lässt sich als verfassungskonforme Lösung des Organmangels nur denken auf der Grundlage der Hirntodkonzeption. Diese ist aber nicht tragfähig", so Höfling. Die Einführung eines Widerspruchsmodells bedeute eine verfassungswidrige Beeinträchtigung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit zum Beispiel in den Fällen, in denen vor der Hirntoddiagnose organprotektive Maßnahmen vorgenommen würden. Moralpädagogische Beeinflussung könnten nicht moralisch legitime Gründe für oder gegen eine Organspende ersetzen.
Deutscher Ethikrat pro Widerspruchslösung:
- Die von Reinhard Merkel, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie in Hamburg, geforderte "Pflicht zur gesellschaftlichen Minimalsolidarität" ist scheinheilig und in Wahrheit als "Akt postmortaler Solidarität" eine utilitaristische Maximalforderung. Sie verkennt und bagatellisiert auf allen Entscheidungs-Ebenen den Ernst und die Konsequenzen jeglicher transplantationsmedizinischer Bemühungen. Es ist den Menschen unzumutbar, sich eindeutig für oder gegen Organspende verhalten bzw. sich gar staatlich dazu verpflichten zu müssen, wenn nicht mal Experten zwischen post- und peri-mortaler Organspende differenzieren. "Eine solche Pflicht zur Klärung und Kundgabe ist auch als rechtliche Pflicht ohne weiteres begründbar", so Merkel. "Sie sei sogar rechtsethisch geboten" verkennt die höchstrichterlich gebotene Informationelle Selbstbestimmung.
- Professor Wolfram Henn, Facharzt für Humangenetik, stellt sich hinter das Widerspruchsmodell mit einem m.E. abenteuerlichen verwaltungs- und erbrechtlichen Vergleich: Mit dem Nachlass eines Menschen, der kein Testament abgefasst habe, werde nach allgemeinen Regeln der Vernunft und Logik erst weit jenseits von transplantationsmedizinischen Erwägungen umgegangen. Das kann allein deshalb nicht für die Organspende gelten.
Selektion in Abhängigkeit von Organspende-Bereitschaft?
In den Diskurs gehört auch das immer wieder selbst von einigen Ärztinnen und Ärzten öffentlich vorgetragene Argument, eine Selektion von zur Organspende bereiten und nicht bereiten Personen einzuleiten: In dem Sinne, dass "wer sich nicht selbst zur Organspende bereit erklärt, auch keine fremden Organe bekommen solle". Dies verkennt, dass viele unserer Patientinnen und Patienten auf Grund von wesentlichen, bedrohlich lebensverkürzenden Erkrankungen selbst niemals als potenzielle Organspender, sondern nur als Organempfänger in Frage kämen.
So ist es auch beim Autor selbst: 2000 Erstdiagnose komplexes Non-Hodgkin-Lymphom, Stadium IV a mit Hochdosis-Chemotherapie und autologer Stammzelltransplatation; 2007 Rezidiv des niedrig-maligen Anteils mit 4-fach Chemotherapie und Rituximab-Behandlungszyklen. Für mich selbst kann ich allerdings auch einen Organempfang weitgehend ausschließen.
Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Für mich nicht nachvollziehbar

Immerhin ist das
oder in deutscher Übersetzung:
http://docplayer.org/23196698-Medizin-ideologie-informationsblatt-der-europaeischen-aerzteaktion-34-jahrgang-4-2012-einzelpreis-4-b13915.html )
Daher finde ich die Explantation überlebenswichtiger Organe aus einem solchen lebenden Menschen für einen Arzt eine unzumutbare Tätigkeit. Denn eine solche ist eine an sich tödliche Handlung, auch bei einem gesunden Menschen. Für jede Aktion, die Druck aus dieser Organbeschaffungsideologie nimmt, bin ich dankbar.

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