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Zürich – Seit in der Schweiz Paracetamoltabletten, wenn auch nur auf ärztliches Rezept, in einer verdoppelten Dosis von 1.000 mg angeboten werden, steigt die Zahl der Vergiftungsfälle. Dies kam in einer Analyse in JAMA Network Open (2020; DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2020.22897) heraus.
Paracetamol wird seit seiner Einführung im Jahr 1955 als Analgetikum und Antipyretikum eingesetzt. Es ist heute das weltweit am häufigsten verwendete Schmerzmittel. Anders als bei Acetylsalicylsäure (Aspirin) und den anderen nicht-steroidalen Antiphlogistika sind keine Blutungen, Magen-Darm- oder Nierenschäden zu befürchten. Bei einer Überdosierung kann es jedoch leicht zu Leberschäden kommen, die dann unter Umständen irreversibel sind. In vielen westlichen Ländern ist Paracetamol die häufigste Ursache für ein Leberversagen, das ohne Lebertransplantation tödlich endet.
Üblicherweise enthält eine Tablette 500 mg Paracetamol. Die empfohlene Maximaldosis für Erwachsene von täglich 4.000 Milligramm wird bei 8 Tabletten erreicht. Seit Oktober 2003 sind in der Schweiz Präparate zugelassen, die 1.000 mg enthalten. Dann genügen 4 Tabletten am Tag, um die Maximaldosis zu erreichen.
Die höhere Dosierung hat sich als populär erwiesen, obwohl sie nur auf Rezept erhältlich ist. Nach den Verkaufszahlen des Apothekerverbands pharmaSuisse wurden bereits 2005 mehr 1.000-Milligramm-Tabletten verkauft als 500-Milligramm-Tabletten. Inzwischen werden 10 Mal mehr der höher dosierten Tabletten verkauft.
Die Folge war ein Anstieg der Anrufe bei „Tox Info Suisse“, der nationalen Informationszentrale für Vergiftungsfälle in der Schweiz. Bereits vor 2003 hatte die Zahl der absichtlichen Überdosierungen leicht zugenommen, während die versehentlichen Intoxikationen in etwa konstant geblieben waren.
Wie eine „Interrupted Time Series“-Analyse der Pharmakoepidemiologin Andrea Burden von der ETH Zürich zeigt, ist es seither in beiden Bereichen zu einem kontinuierlichen Anstieg der Anrufe gekommen. Die Anrufe bei versehentlichen Intoxikationen liegen mittlerweile mehr als 3 Mal so hoch wie vor der Einführung der 1.000 mg-Dosis. Gestiegen ist vor allem der Anteil der Vergiftungen mit einer Einnahme von mehr als 10.000 mg.
Burden führt viele Intoxikationen darauf zurück, dass Paracetamol nicht bei allen Patienten gleich gut und gegen alle Schmerzformen wirkt. Bei einer fehlenden Wirkung sei die Versuchung groß, die Dosis ohne Absprache mit den Arzt zu erhöhen. Bei den 1.000-Milligramm-Tabletten werde die Tageshöchstdosis dann bereits mit wenigen zusätzlichen Tabletten überschritten. Bei den 500- Milligramm-Tabletten sei die Gefahr geringer.
Die ETH-Professorin Burden fordert allerdings kein Verbot der 1.000-mg-Tabletten. Sie rät dazu, das Mittel in Packungen mit weniger Tabletten anzubieten. Ausserdem sollten Ärzte ihrer Ansicht nach eher die 500-Milligramm-Tabletten verschreiben, um das Risiko einer versehentlichen Überschreitung der Tageshöchstmenge zu reduzieren. © rme/aerzteblatt.de
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