Hamburg – Die deutschen Fachgesellschaften haben ihre Empfehlungen zur stationären Behandlung von COVID-19-Patienten überarbeitet. Die Veränderungen betreffen die medikamentöse Behandlung mit Kortikosteroiden, Remdesivir, Rekonvaleszentenplasma, Tocilizumab, Bamlanivimab, Ivermectin, Azithromycin und Vitamin D3 sowie die Indikation zur Beatmung und zur Antikoagulation.
Die Mehrheit der Patienten mit COVID-19 zeigt lediglich milde Symptome wie Husten und Fieber. Etwa 10 % benötigen jedoch eine stationäre Behandlung. Bei diesen Patienten sollte laut den Empfehlungen der S3-Leitlinie, auf die sich 14 Fachgesellschaften in Kooperation mit dem Forschungskonsortium CEOsys (Netzwerk Universitätsmedizin) verständigt haben, frühzeitig geklärt werden, ob eine intensivmedizinische Behandlung sinnvoll ist.
Die Gruppe um Stefan Kluge vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf schlägt als Kriterium eine Hypoxämie (SpO2 unter 90 %) trotz Gabe von 2 bis 4 Liter Sauerstoff/min mit Dyspnoe und eine Atemfrequenz von mehr als 25-30/min vor. Die Leitlinie rät zudem zur frühzeitigen Klärung einer Beteiligung von Nieren, Herz, Leber und Gehirn, da Störungen dieser Organe neben der Pneumonie die Prognose der Patienten verschlechtern können.
Eine Intubation und invasive Beatmung sollte bei einem Abfall des Oxygenierungsindex PaO2/FiO2 auf unter 150 mmHg und Atemfrequenzen über 30/min erwogen und bei einem Abfall des PaO2/FiO2 auf unter 100 mmHg regelmäßig begonnen werden.
Die Fachgesellschaften sprechen sich für eine medikamentöse Thromboembolieprophylaxe aller hospitalisierten Patienten aus (sofern keine Kontraindikationen bestehen). Empfohlen wird ein niedermolekulares Heparin, alternativ auch Fondaparinux.
Bei zusätzlichen Risikofaktoren für eine venöse Thromboembolie könnte die Thromboembolieprophylaxe intensiviert werden, etwa mit der halbtherapeutischen Dosis eines niedermolekularen Heparins. Eine therapeutisch dosierte Antikoagulation wird aktuell nicht routinemäßig empfohlen – es sei denn, eine gesicherte venöse Thromboembolie macht dies erforderlich.
Die therapeutische Antikoagulation ist in den letzten Monaten immer wieder diskutiert worden, da Mikrothromben in den kleineren pulmonalen Blutgefäßen ein charakteristischer Befund des Lungenversagens bei COVID-19 sind. Die therapeutische Antikoagulation ist jedoch mit erheblichen Risiken verbunden, weshalb die Fachgesellschaften zunächst die Ergebnisse laufender Studien abwarten wollen.
Eine Behandlung mit Kortikosteroiden gilt seit den Ergebnissen der britischen RECOVERY-Studie als evidenzbasiert – allerdings nur bei schweren Verläufen. Die Leitlinie rät zum Behandlungsbeginn bei schwerer (SpO2 unter 90 %, Atemfrequenz über 30/min) oder kritischer (Lungenversagen, Sepsis, Beatmung, Vasopressorengabe) COVID-19-Erkrankung.
Bei Remdesivir, das eher zu Beginn der Erkrankung wirksam ist, ist die Frage eines Nutzens nach Einschätzung der Expertengruppe noch nicht geklärt. Bei hospitalisierten, nicht beatmeten Patienten mit COVID-19 Pneumonie und Sauerstoffbedarf könne derzeit weder eine Empfehlung für noch gegen eine Therapie mit Remdesivir abgegeben werden, heißt es in der Leitlinie.
Die Gabe von Rekonvaleszentenplasma (sprich Serumtherapie), die zuletzt in klinischen Studien in den ersten Tagen der Erkrankung einen Nutzen gezeigt hat, wird von den Fachgesellschaften derzeit für den stationären Bereich nicht empfohlen. Die Leitlinie verweist hier auf die begrenzten Möglichkeiten, die Behandlung in Deutschland durchzuführen. Die Ressourcen für Logistik der Spende und Verabreichung, Aufarbeitung, Lagerung, Distribution und der finanzielle Rahmen seien begrenzt. Die Herstellung setze zudem eine ausreichende Spenderverfügbarkeit voraus. Eine flächendeckende Verfügbarkeit der Therapie erscheine deshalb fraglich.
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Vom Einsatz monoklonaler Antikörper, die im Prinzip die gleiche Wirkung erzielen wie eine Serumtherapie, wird ebenfalls abgeraten. Ein klinischer Nutzen von Bamlanivimab sei bei hospitalisierten Patienten mit einer moderaten bis schweren SARS-CoV-2-Infektion derzeit nicht belegt, heißt es in der Leitlinie.
Auch für Tocilizumab sehen die Gesellschaften derzeit keinen klinischen Stellenwert. In 5 randomisierten Studien sei bisher kein signifikanter Vorteil gezeigt worden (die vor kurzem bekannt gewordenen Ergebnisse der RECOVERY-Studie, in denen Tocilizumab das Sterberisiko senkte, sind noch nicht in die Empfehlungen eingeflossen).
Ad acta gelegt wurde (nicht zuletzt aufgrund der Ergebnisse der RECOVERY-Studie) eine Antibiotikabehandlung mit Azithromycin, die zu Beginn der Pandemie häufig in Kombination mit Hydroxychloroquin erfolgte, das ebenfalls nicht mehr eingesetzt werden sollte. Für die Wirksamkeit des Antiparasitikums Ivermectin, das in der Fachwelt als mögliches Mittel diskutiert wird – eine Reihe von Studien liegt in Preprint-Form vor – gibt es nach Ansicht der Fachgesellschaften derzeit keine Evidenz.
Auch von der Gabe von Vitamin D3, die zuletzt in den Medien gefordert wurde, halten die Fachgesellschaften mangels Wirkungsbelegen aus randomisierten Studien wenig. Aufgrund der fehlenden therapeutischen Konsequenz wird auch die Kontrolle des Serumspiegels bei COVID-19 Patienten nicht für nötig gehalten. © rme/aerzteblatt.de
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