Berlin – Die Frage, wer sich gegen COVID-19 impfen lassen will, es sollte oder sogar muss, erhitzt seit Monaten die Gemüter. Der neuen erbgutbasierten Technologie der beiden ersten in der Europäischen Union (EU) zugelassenen Impfstoffe von Biontech und Moderna stehen viele skeptsich gegenüber – häufig auch aus Unwissenheit.
Um nicht immer wieder die gleichen Fragen beantworten zu müssen, entwarf der Hausarzt Christian Kröner einen Praxisaushang. Verschwörungstheorien um Bill Gates oder Chip-Implantate erteilt er darin eine knallharte Absage und gibt eine klare Impfempfehlung. Über Umwege gelangte ein Foto des Aushangs ins Internet und löste dort eine riesige Diskussionswelle aus.
5 Fragen an Christian Kröner, Allgemeinmediziner und Verfasser einer Impfempfehlung, die in den Sozialen Medien für Wirbel sorgte.
Deutsches Ärzteblatt: In Ihrem Aushang zur Coronaimpfung nehmen Sie kein Blatt vor den Mund und machen keinen Hehl daraus, dass Sie von Verschwörungstheorien und Impfskeptikern nicht viel halten. Was hat sie dazu motiviert?
Christian Kröner: Motiviert hat mich einfach ein langer Praxistag, an dem ich von nahezu jedem Patienten zur anstehenden Coronaimpfung befragt wurde. Ich beantworte die Fragen gerne, es kostet aber auch viel Zeit.
So kam abends völlig erschöpft die Idee für einen Wartezimmeraushang, der die häufigsten Fragen beantworten sollte. Spontan runtergetippt, ohne viel Planung oder Nachdenken.
In dieser Form war das Schreiben eigentlich nie für die Öffentlichkeit bestimmt. Dafür hätte ich es ganz anders formuliert. Es war ein Rohentwurf, der weder korrigiert noch fertig war und nur für private Zwecke in schlechter Qualität schnell abfotografiert wurde. Dieses Foto wanderte in meinen privaten WhatsApp-Status. Bekannte meinten, es sei super, ich solle das Bild auf meiner privaten Facebook-Seite hochladen. Das habe ich gemacht.
Ein Kumpel sagte mir dann, dass er es gerne teilen würde. Also habe ich Social-Media-Naivling das Bild öffentlich zugänglich gemacht. Beim nächsten Reinschauen war es bereits 2.000 Mal geteilt worden und ließ sich nicht mehr einfangen.
Ich war ziemlich überrascht und überfordert. Das war so nicht geplant, aber die Botschaft hat offensichtlich einen Nerv getroffen und bisher auch sehr viel Positives ausgelöst. Inzwischen hängt der Aushang auch im Wartezimmer.
DÄ: Wie waren die Reaktionen?
Kröner: Das Echo war überwältigend. Weit über 90 Prozent positive Rückmeldungen von mir völlig unbekannten Menschen. Postkarten, SMS, Facebook-Nachrichten, ich habe sogar ein Lehrbuch einer Kollegin als Dank übersandt bekommen. Es haben sich auch sehr viele hausärztliche Fachkollegen gemeldet, die dieses Schreiben für ihre Praxis haben wollten.
Wir haben es mittlerweile als Download auf die Homepage gestellt, weil wir mit dem Versenden nicht mehr nachkamen. Das Dokument wurde inzwischen über 50.000 Mal von unserer Homepage runtergeladen.
Auch Chefärzte diverser Kliniken und hochdekorierte Uniprofessoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben sich gemeldet und mich zu diesem Schreiben beglückwünscht. Ich verstehe bis jetzt nicht, was daran so sensationell ist, aber es scheint vielen aus der Seele gesprochen zu haben.
Es dauerte aber auch nicht lange, bis die Impfgegner und Querdenker auf mich aufmerksam wurden und mich ein veritabler Shitstorm überrollte. Das reichte von negativen Google-Bewertungen meiner Praxis von Menschen, die noch nie bei uns waren, über öffentliche Beschimpfungen auf Facebook als Mörder, Hochverräter, korrupt und Pharmabezahlt, Schande für den Berufsstand, fett und hässlich.
Mir wurde das Abfackeln meiner Praxis angedroht. Ich habe versucht viele Diskussionen sachlich auf Facebook zu führen und aufzuklären − was teils gelang, teils nicht. Eine spannende Erfahrung, die einmal dann auch reicht. Aber ich bereue nichts.
DÄ: Sie haben ein Video von Ihrer eigenen Impfung online gestellt. Soll der Clip auch als Antwort auf einige dieser Reaktionen dienen?
Kröner: Mir wurde von den Impfgegnern gebetsmühlenartig auf Facebook vorgeworfen, dass es ja alles Gift sei, Langzeitschäden verursache und wie man so eine Impfung nur empfehlen könne. Wir Ärzte sollten doch erstmal uns und unsere Familien impfen, am besten die Politiker zuerst und nicht die Menschen als Versuchskaninchen für diese angeblich völlig ungetestete Impfung verwenden.
Das beste und einfachste Argument war die Dokumentation meiner eigenen Impfung. Und mir geht es auch sieben Tage nach der Impfung hervorragend. Bis auf einen Tag etwas Muskelkater im Impfarm keinerlei Beschwerden oder Probleme.
DÄ: Auch im Gesundheitswesen gibt es einige Menschen, die die Sinnhaftigkeit von Impfungen und Masken anzweifeln. Handelt es sich dabei aus Ihrer Sicht eher um Einzelfälle oder macht die Menge an Skeptikern in medizinischen Kreisen Ihnen Sorgen?
Kröner: Ich glaube, dass im Bereich der Alten- und stationären Klinikpflege teils eine erhebliche Impfskepsis herrscht. Das ist kein neues Phänomen, das kenne ich bereits von den jährlichen Grippeimpfungen.
Ich habe beispielsweise in einem großen Altenheim, welches wir betreut haben, versucht, dem Personal eine Impfung anzubieten und habe keinen einzigen Impfwilligen gefunden. Es hieß, das „bisschen Erkältungsimpfung“ sei unnötig, es herrschte völliges Desinteresse und mangelndes Problembewusstsein. Und das bei Betreuung der vulnerabelsten Altersgruppe.
Woher diese Skepsis im Pflegebereich kommt, kann ich nicht nachvollziehen und ich finde sie brandgefährlich. Rational ist das nicht zu begründen. In jedem OP-Bereich oder Infektbereich sind Gesichtsmasken seit Jahrzehnten völliger Standard und unumstritten. Keiner der Skeptiker würde beispielsweise wollen, dass der Chirurg bei einer OP an Ihnen die Maske weglässt.
Der wehrlose Patient braucht Schutz. Privat ist es absolut eine freie Entscheidung und es muss jeder selber wissen, ob er sich impfen lassen möchte oder nicht. Im Klinik- und Pflegebereich aber meiner Meinung nach nicht. Hier plädiere ich ganz klar für eine Impfplicht. Ähnlich wie bei Hepatitis und bei Masern. Ungeimpft sollte dort einfach niemand arbeiten dürfen, weder ohne Grippeimpfung noch ohne Coronaimpfung.
DÄ: Sie finden in ihrem Schreiben, aber auch auf ihren aktuell viel gelesenen Social-Media-Kanälen deutliche Worte. Sollten Ärzte aus Ihrer Sicht stärker Stellung beziehen, wenn es um die Impfung gegen COVID-19 geht?
Kröner: Ärzte sollten unbedingt Stellung beziehen und ihre fachliche Meinung äußern, um ein rationales, wissenschaftlich begründetes Gegengewicht zur Propaganda der Querdenker und Impfgegner zu bilden. Obwohl auch bei manchen Ärzten wohl noch Aufklärungsbedarf besteht, etwa bei den wenigen Kollegen, die von der Impfung abraten, da sie angeblich Genschäden verursachen und unfruchtbar machen könne. Beides wissenschaftlich völliger Nonsense.
Meine Rückmeldungen hatten eine ganz klare Tendenz. Die Beschimpfungen kamen alle öffentlich aus den entsprechenden Kreisen. Die positiven, begeisterten Rückmeldungen ärztlicher Kollegen kamen alle über nicht öffentliche Kanäle.
Denn die Kollegen haben keine Lust mehr, sich öffentlich zu äußern und zu exponieren, da sie sonst umgehend genau so massiv angegangen werden, wie ich angegangen worden bin. Sie haben keine Lust mehr darauf, mit Fanatikern zu diskutieren und in deren Schusslinie zu geraten.
Im Austausch mit ähnlich öffentlich positionierten Kollegen höre ich immer das Gleiche: Impfgegnerzettel an die Praxis geklebt, negative Bewertungen der Praxen im Internet, verbale Angriffe und ähnliches. Man muss sich gut überlegen, ob man das Rückgrat und das Selbstbewusstsein dafür hat.
Aber ich denke, das ärztliche Selbstverständnis sollte dazu anhalten solchen Fehlentwicklungen wie Fake News entschieden entgegen zu treten und trotz gegensätzlicher Meinungen auch öffentlich sachlich zu diskutieren und aufzuklären. © alir/aerzteblatt.de
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