In Bottrop hatte ein möglicherweise psychisch Kranker in der Silvesternacht seinen Wagen gezielt in eine Fußgängergruppen gesteuert. /dpa
Köln – Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) warnt nach der Amokfahrt eines Attentäters im Ruhrgebiet in der Silvesternacht von einem nach ersten Erkenntnissen möglicherweise psychisch Erkrankten vor einer vorschnellen Verknüpfung von Terrorismus und psychischer Krankheit. „Psychosekranke begehen insgesamt selten schwere Gewalttaten“, sagte Norbert Schalast vom Institut für forensische Psychiatrie am LVR-Klinikum der Universität Duisburg-Essen.
„In eigenen Gutachten habe ich zumeist Hinweise auf auffällige Persönlichkeitszüge, auch dissoziale Tendenzen und erhebliche psychosoziale Belastungsfaktoren in der Vorgeschichte gefunden, jedoch nie ernsthafte Anhaltspunkte für eine schwere psychische Erkrankung wie die Schizophrenie“, betonte der Experte.
Die Amokfahrt von Bottrop sei kein Anlass, über eine terroristische Bedrohung durch schizophrene oder andere psychisch erkrankte Täter grundsätzlich neu nachzudenken: „Es handelt sich hierbei um recht ungewöhnliche Tatszenarien, die allerdings verschiedenen Interessengruppen einen willkommenen Anlass boten, sich zu positionieren“, so Schalast.
„Natürlich gibt es psychisch erkrankte Menschen mit erhöhter Gewaltbereitschaft, und es gibt Gewaltverbrechen, die von Menschen mit psychischen Erkrankungen verübt werden. Dennoch ist es nicht gerechtfertigt, angesichts dieser Erkenntnisse in Menschen mit bestimmten psychischen Erkrankungen grundsätzlich potenzielle Terroristen zu sehen und so die Stigmatisierung psychisch Erkrankter zu verstärken“, sagte auch DGSP-Vorstandsmitglied Stefan Corda-Zitzen.
Die häufige mediale Thematisierung des psychischen Zustandes von Attentätern könnte zu der Entwicklung von Vorurteilen gegenüber psychisch Erkrankten beitragen, hieß es weiter. Davor haben britische Psychiater um Simon Wessely vom Royal College for Psychiatrists bereits 2016 im British Medical Journal gewarnt (2016; doi: 10.1136/bmj.i4869).
Während der politische Hintergrund für terroristische Attacken häufig erklärbar sei, bleibe der Prozess der individuellen Radikalisierung in vielen Fällen unklar. In der medialen und öffentlichen Betrachtung gibt es laut Wessely daher die Tendenz, die Taten der Attentäter als Ergebnis einer psychischen Erkrankung zu betrachten. „Die ist jedoch in der Regel eine fehlerhafte Vereinfachung“, so der Psychiater. © hil/aerzteblatt.de
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