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Stockholm – Eine Minderheit von Patienten, die mit Antidepressiva aus der Gruppe der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) behandelt wird, neigt möglicherweise zu kriminellen Handlungen. Dies kam in einer bevölkerungsbasierten Studie in European Neuropsychopharmacology (2020; DOI: 10.1016/j.euroneuro.2020.03.024) heraus.
Menschen mit psychischen (mentalen) Störungen sind häufiger als andere in Gewalttaten verwickelt. Viele Handlungen werden von Personen verübt, die unter dem Einfluss von Medikamenten stehen. Dies hat zu dem Verdacht geführt, dass die Medikamente zumindest mitverantwortlich sind für die erhöhte Kriminalität. Dies gilt vor allem für SSRI, den am häufigsten verordneten Wirkstoffen bei Depressionen, der häufigsten mentalen Erkrankung.
Ein Team um Tyra Lagerberg vom Karolinska Institut in Stockholm hat hierzu die Daten von 785.337 Schweden im Alter von 15 bis 60 Jahren analysiert, denen von 2006 bis 2013 ein SSRI verschrieben wurde. Diese Patienten wurden durchschnittlich etwa 7 Jahre lang nachbeobachtet. Darunter waren Zeiträume, in denen ihnen SSRI verordnet worden waren und solchen, in denen dies nicht der Fall war.
Der Vergleich verschiedener Zeitabschnitte bei denselben Patienten vermeidet eine Reihe von möglichen Verzerrungen, die sich beim Vergleich verschiedener Personen mit möglicherweise unerkannten Unterschieden in den Eigenschaften ergeben.
Ergebnis: Während der Behandlung mit SSRI wurden tatsächlich häufiger Straftaten begangen. Für die ersten 28 Tage der Behandlung ermittelt Lagerberg eine Hazard Ratio von 1,28 (95-%-Konfidenzintervall 1,13 bis 1,45). Sie stieg nach 29 bis 84 Behandlungstagen auf 1,35 (1,22 bis 1,49) und fiel danach auf 1,24 (1,14 bis 1,35).
Auch in den ersten 28 Tagen nach dem Absetzen der SSRI war die Wahrscheinlichkeit von Gewalttaten mit einer Hazard Ratio von 1,37 (1,21 bis 1,55) erhöht. Sie fiel 29 bis 84 Tage nach Absetzen der SSRI auf 1,20 (1,08 bis 1,33) und war danach nicht mehr erhöht.
Lagerberg betont, dass Straftaten bei Patienten, die SSRI einnehmen, insgesamt sehr selten waren. Die Studie kann auch nicht abschließend beweisen, dass die SSRI und nicht die Depression die Neigung zu kriminellen Handlungen erhöht haben.
Es könnte sein, dass die SSRI in Phasen verordnet wurden, in denen die Patienten unter besonders starken Depressionen oder anderen Störungen litten, die sie vielleicht anfälliger für Straftaten werden ließen.
Dennoch gibt es laut Lagerberg Anlass zur Sorge. Es sei bekannt, dass die Behandlung mit einem SSRI zu einer Antriebssteigerung führt, die bei anfälligen Menschen möglicherweise die Aktivitäten in eine Richtung lenken, die zu Gewalttaten führen. Dass das Risiko auch nach dem Absetzen der SSRI noch nachweisbar ist, ließe sich über eine verzögerte Wirkung der SSRI erklären.
Lagerberg rät den Psychiatern, Patienten mit einem erhöhten Risiko (etwa nach früheren Straftaten) auf die Gefahr hinzuweisen und bei möglichen Warnzeichen wie Feindseligkeit, Aggressivität und Reizbarkeit ärztlichen Rat einzuholen. © rme/aerzteblatt.de
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