Politik

AOK moniert „Verschleierung“ von GKV-Vermögen durch Ministeriumspläne

  • Dienstag, 10. November 2020
/Setareh, stockadobecom
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Berlin – Die Krankenkassen erneuern die Kritik am Bundesgesundheits­ministerium (BMG) für das kommenden Jahr zu wenig Zuschüsse aus Steuergeldern in den Gesundheitsfonds zu zahlen.

Seit Wochen rechnen die Krankenkassen vor, dass mehr als die prognostizierten 16 Milli­ar­den Euro fehlen werden, mit denen derzeit vor allem die Kosten im Gesundheitswesen für die Pandemiebekämpfung finanziert werden.

Auch der Bund geht davon aus, dass 16 Milliarden Euro fehlen – und hat vor allem die finanz­stärkeren Krankenkassen mit ihren Rücklagen dazu aufgefordert und teil­weise ge­setzlich verpflichtet, diese auch zur Pandemiebekämpfung abzubauen.

Nachdem sich bereits Kassen aus dem Verband der Ersatzkassen (vdek) zu Wort gemeldet haben, kritisiert nun der AOK Bundesverband die Regierungspläne.

„Der für das kom­mende Jahr verabredete Bundeszuschuss von rund fünf Milliarden Euro reicht bei weitem nicht aus, um die von der Bundesregierung gegebene Sozialgarantie einzuhalten“, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Kassenverbandes, Jens Martin Hoyer, bei einem digitalen Pressegespräch heute in Berlin.

„Die Koalition will das Milliardenloch zu mehr als zwei Dritteln mit dem Geld der Bei­trags­­­­zahler stopfen, indem die Krankenkassen geschröpft werden und der durchschnit­tli­che Zusatzbeitragssatz erhöht wird“, so Hoyer weiter. Derzeit ist geplant, dass der Bun­des­zuschuss aus Steuermitteln einmalig um fünf Milliarden Euro erhöht wird, der durch­schnittliche Zusatzbeitrag auf 1,3 Prozent steigen soll.

Weitere acht Milliarden Euro sollen von den finanzstärkeren Krankenkassen getragen werden – allein vier Milliarden kommen dabei aus den finanzstärkeren AOKen. Damit will die Bundesregierung die „Sozialgarantie 2021“ erhalten, bei denen die Lohnnebenkosten bei unter 40 Prozent bleiben. Nach dieser Rechnung sind sie wohl nun bei 39,95 Prozent.

Mit dem nun vorliegenden Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz (GPVG) sollen zudem neue Regelungen greifen, wie vor allem die finanzstärkeren Kassen ihre Rücklagen weiter abbauen und somit zur Finanzierung beitragen sollen. Am kom­men­den Montag findet dazu die parlamentarische Verbändeanhörung im Gesundheitsaus­schuss des Bundestages statt.

Problem für die Krankenkassen: Aus den vergangenen Jahren gelten derzeit Vorgaben, die nun in Konkurrenz miteinander treten. So sollen die Krankenkassen laut Versicher­ten­­­­ent­lastungsgesetz (GKV-VEG) ab 2020 über drei Jahre hinweg ihre Rücklagen kontinuierlich abbau­en.

Vor allem finanzstarke Krankenkassen aus dem vdek-System, darunter die Techniker Kran­kenkasse (TK), die Handelskrankenkasse (hkk) oder die Hanseatische Krankenkasse (HEK), aber auch Betriebskrankenkassen sowie einige Kassen aus der AOK-Familie, allen voran die AOK Plus so­wie die AOK Sachsen-Anhalt, betreffen diese Regelungen.

Um Rücklagen abzubauen, wurden beispielsweise bereits die Einzahlungen in die eige­nen Be­triebs­rentenkassen erhöht. Im GKV-VEG wurde auch geregelt, dass die Reserven einer Krankenkasse nicht über eine Monatsausgabe liegen dürfen und in dieser Zeit auch die Zusatzbeiträge nicht erhöht werden können.

Dieser Abbau soll nun unter den höheren Finanzbelastungen durch die Pandemiekosten weiter fortgeführt werden. Damit werden auch im Wahljahr 2021 Rücklagen „verfeuert“, wie es vom AOK-Bundes­verband heißt. Und mit einer Gesetzesänderung im aktuellen Ge­sundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz soll dieser Abbau der Rücklagen noch einmal deutlich forciert werden.

„Gleichzeitig bleibt der Zusatzbeitrag der einzelnen Krankenkassen gedeckelt, obwohl die Ausgaben nach übereinstimmenden Berechnungen von Bundesgesundheitsministerium und Kassen massiv steigen“, erklärt Hoyer. Seine Befürchtung: Auch derzeit finanziell ge­sunde Kassen würden von diesen konträren Regelungen „doppelt und dreifach gebeutelt.“ Hoyer weiter: „Unter diesen Rahmenbedingungen können auch bislang gesunde Kassen in ganz schwieriges Fahrwasser geraten.“

Eine Befürchtung, die viele von den Krankenkassen teilen. Denn, so rechnen die Kranken­kassen vor, seien durch die Gesetze von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in den vergangenen Jahren Kosten für sie entstanden, die auch nach 2021 und 2022 wirk­­ten.

Da die Krankenkassen davon ausgehen, dass aufgrund der Pandemie auch die Einnahme­seite bei den Beiträgen der Versicherten sinken werde, könnte es in der GKV ab 2022 ei­nen Fehlbetrag von 17 Milliarden Euro geben sowie ein Anstieg des durchschnittlichen Zusatzbeitrages von den geplanten 1,3 Prozent auf 2,5 Prozent.

Zusätzlich sieht sich die AOK durch das „Faire-Kassenwettbewerbs-Gesetz“ (GKV-FKG) und die darin veränderten Regelungen zum Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen (Morbi-RSA) benachteiligt. Außerdem wurden im FKG die Haftungsregelungen im Insol­venzfall einer Krankenkasse neu sortiert. So müssen nun die Kassen gemeinsam die fi­nanzielle Last tragen und nicht mehr innerhalb einer Kassenfamilie.

Die Forderung des AOK Bundesverbandes an das Bundesgesundheitsministerium: Das Verbot zum Anheben des Zusatzbeitrages müsse im aktuellen Gesetzesvorhaben ersatzlos gestrichen werden, um den fi­nanziellen Handlungsspielraum erhalten zu können. Wenn dies nicht möglich sei, müsse es den Krankenkassen erlaubt werden, „Reserven bis zu einer Obergrenze von einer Monatsgrenze vorzuhalten.“

Zusätzlich moniert der AOK-Bundesverband, dass das BMG mit dem Gesetzentwurf die Vermögensverhältnisse in der gesetzlichen Krankenversicherung „verschleiern“ wolle.

Bei der aktuellen Rechnungslegung müssten die Krankenkassen bei ihrer Haushalts­pla­nung so tun, als ob die bereits 2020 abgeschöpften Rücklagen im Jahr 2021 noch zur Verfügung stünden. Diese Idee aus dem BMG, die in dem Gesetzentwurf dargestellt wird, sei schwierig für eine ordnungsgemäße Buchhaltung und „widerspreche aller Logik des ordentlichen Buchens“, so Hoyer.

„Die Rücklagen sind weg, es wird aber unterbunden, dass der Zwangsabbau zur Finan­zierung der Deckungslücke 2021 noch in diesem Jahr als Verpflichtung verbucht wird“, so der AOK-Vorstand.

„Statt solcher Tricksereien brauchen wir jetzt klare Vorgaben, dass nur die tatsächlich noch verfügbaren Rücklagen bereits in der Rechnungslegung für 2020 transparent aus­gewiesen werden.“ Er sieht gar eine „staatlich angeordnete Insolvenz­verschleppung“ durch die Regierungspläne.

Bei der Kritik an den BMG-Plänen wissen die Krankenkassen inzwischen auch Politiker aus der Bundes- und Landespolitik hinter sich. So erklärte die SPD-Vize­fraktionsvorsit­zen­de im Bundestag, Bärbel Bas, noch einmal mit „ihrem Bundesfinanz­minister“ über einen erhöhten Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds zu sprechen.

Auch die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, ebenfalls SPD, erklärte im Bundesrat vergangene Woche: „Die Entnahme aus Rücklagen der Krankenkassen um die Finanzierungslücke zu schließen, lehnen wir strikt ab“, so die Ministerin in einer Nachricht bei Twitter. „Das Defizit sollte eher durch einen höheren Bundeszuschuss gedeckt werden.“

bee

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