

Sie retten zwar kein Leben. Doch sie bewahren das Augenlicht, dringen vor in die „Welt der Wunder.“ Viele Augenärzte würden aufgrund dieses Zaubers ihr Fach gegen kein anderes tauschen wollen.
Es war wie Magie“ – so beschreiben Patienten nicht selten das Gefühl, das sie nach der Operation einer Katarakt hatten. Plötzlich ist aus einem trüben, diffusen Blick wieder eine klare und deutliche Sicht geworden. Ein wundervolles Gefühl. „Auch für uns als Augenärzte“, ergänzt Dr. med. Claudia Mertens. „In keinem anderen Fach kann ich meinen Patienten nicht nur mit operativen Eingriffen, sondern auch mit konservativer Therapie so viel Lebensqualität zurückgeben.“
Ihr Interesse für das Fach entdeckte Mertens bereits während ihres Studiums an der Universität Greifswald während „faszinierender Seminare“. Diese zogen die Studentin, die eigentlich seit der Schulzeit Kinderärztin werden wollte, nahezu „magisch“ an. „Die Augenheilkunde ist ein innovatives Fach und eng mit vielen anderen Gebieten verknüpft. Es wird nie langweilig. Denn man kann sehr interdisziplinär arbeiten“, schwärmt sie. Das Auge gewähre quasi als „Tor“ einen Blick in den Körper: Erkrankungen wie beispielsweise Arteriosklerose, Hypertonie oder Diabetes mellitus würden hier sichtbar.
Seit fünf Jahren ist die Augenärztin, die ihre Facharztweiterbildung an der Charité – Universitätsmedizin Berlin absolvierte, in Berlin-Spandau niedergelassen. Hier ist die Vermeidung der häufigsten Erblindungsursachen, wie Katarakt, Glaukom, diabetische Retinopathie und Makuladegeneration, tägliche Herausforderung für sie. Blicke in ihre Wartezimmer 1 und 2 zeigen: An Patienten mangelt es nicht. Etwa 2 000 Patientinnen und Patienten kommen im Quartal zu ihr. „Die Wartezeit auf einen Kontrolltermin beträgt etwa drei Monate“, berichtet sie. Patienten mit akuten Beschwerden würden jedoch jederzeit dazwischen geschoben: „Weggeschickt habe ich noch niemanden.“
Das mag auch an dem perfekt organisierten Praxisalltag liegen. Während Sabine Lübeck*, eine Patientin aus Wartezimmer 1, von der Arzthelferin in einen Funktionsraum zu Voruntersuchungen geführt wird, bittet Mertens Kurt Flemming* ins Sprechzimmer. Der 66-Jährige ist Stammpatient bei Mertens. Diagnose: Makuladegeneration beidseits. Auf dem rechten Auge hat er nur noch weniger als zehn Prozent Sehkraft, und auch sein linkes Auge hat sich seit der letzten Kontrolluntersuchung offensichtlich verschlechtert. Von den vier an die Wand projizierten Zahlen sieht er lediglich drei. „Das ist typisch für eine Makuladegeneration“, erläutert Mertens. „Die vierte Zahl liegt im Bereich des eingeschränkten Gesichtsfelds und existiert deshalb quasi für ihn gar nicht.“ Um jedoch eine andere Ursache für die Sehverschlechterung, wie eine Blutung oder Thrombose, auszuschließen, muss Mertens die Netzhaut untersuchen. „Sie erhalten jetzt Tropicamid-Tropfen zur Erweiterung der Pupille“, erklärt sie dem Patienten und bittet ihn, bis zum Einsetzen deren Wirkung noch mal im Wartezimmer Platz zu nehmen.
Schnell noch ein Schluck aus der großen Kaffeetasse mit dem Slogan „Ohne Mama ist alles doof“, die ihr ihre Söhne Lukas und Laurenz geschenkt haben, und weiter geht es in den „HRT-Raum“. HRT steht für Heidelberg Retina Tomograph, ein Laser-Ophthalmoskop zur Untersuchung der Hornhaut und bestimmter Bereiche der Netzhaut. Am häufigsten wird damit der Sehnervenkopf (Papille) untersucht, um den Grünen Star (Glaukom) rechtzeitig zu erkennen beziehungsweise seinen Verlauf zu kontrollieren. In dem Raum wartet bereits Sabine Lübeck auf Mertens. Ein Blick in den Computer zeigt der Ärztin: Der Sehtest, den ihre Arzthelferin mit Frau Lübeck gemacht hat, ist in Ordnung. Und das Wichtigste: Auch der Wert für den Augeninnendruck liegt im Normbereich. Dies ist für die junge Patientin, deren Vater an einem Glaukom leidet, nicht selbstverständlich. Schon häufiger war ihr Wert leicht erhöht, was aufgrund ihrer familiären Disposition eine regelmäßige Kontrolle rechtfertigt. „Um ein beginnendes Glaukom rechtzeitig zu erkennen, lasse ich jährlich einmal auf eigene Kosten ein HRT durchführen“, berichtet die junge Frau. Schließlich möchte sie nicht eines Tages feststellen müssen, dass ihr Gesichtsfeld bereits eingeengt sei.
In der Tat sei das Glaukom eine tückische Krankheit, denn hierbei sterbe der Sehnerv allmählich ab – und der Patient merke lange Zeit nichts davon, bestätigt Mertens. Mit dem HRT könne sie jedoch schon in einem sehr frühen Stadium unterscheiden, ob Veränderungen am Sehnervenkopf dem normalen Alterungsprozess entsprechen oder ob ein beginnendes Glaukom vorliegt, das behandelt werden muss. Während der Untersuchung tritt ein Laserstrahl durch die Pupillenöffnung auf den Augenhintergrund und tastet den Sehnervenkopf (Papille) und die Netzhaut ab. Davon merkt Sabine Lübeck gar nichts. Sie muss lediglich einen Punkt fixieren und versuchen, während der Aufnahme nicht zu blinzeln. „Durch das Markieren von mehreren Zehntausend Messpunkten wird ein dreidimensionales Höhenrelief erzeugt, welches eine Beurteilung aller maßgeblichen anatomischen Strukturen erlaubt, beispielsweise der Papillenexkavation, des neuroretinalen Randsaums und der peripapillären retinalen Nervenfaserschicht“, erklärt die Augenärztin. „Bei Ihnen ist alles in Ordnung“, kann sie dann nach wenigen Minuten die Patientin beruhigen. Die heutigen Messwerte unterscheiden sich kaum von der Kurve der Basisuntersuchung vor vier Jahren. Gemeinsam gehen sie noch mal ins Sprechzimmer. Dort bespricht Mertens mit der jungen Patientin die weitere Präventionsstrategie und dokumentiert gleich alle Untersuchungsergebnisse im Computer.
Nach einer herzlichen Verabschiedung von Sabine Lübeck widmet sich die Ärztin dann wieder Kurt Flemming, dessen Pupillen inzwischen ausreichend für die Untersuchung erweitert sind. Bei dieser bestätigt sich ihre Vermutung: die neovaskuläre Makuladegeneration schreitet bei Flemming fort. „Dies ist meist altersbedingt“, erklärt Mertens. „Neue, undichte Blutgefäße wachsen in die Makula ein, geben Flüssigkeit ab und beeinträchtigen dadurch die zentrale Sehschärfe.“ Aufgehalten werden kann dieser Prozess durch die Gabe eines Hemmers des Vascular Endothelial Growth-Faktors, der in den Augapfel injiziert werden muss. „Wir sollten für Sie eine solche Therapie bei Ihrer Krankenkasse beantragen“, rät sie ihrem Patienten. Wie Kurt Flemming sind viele Patienten von Claudia Mertens Rentner. Dies ist kein Wunder: Denn die meisten „Volkskrankheiten“ in der Augenheilkunde sind Krankheiten des Alters. Sie beginnen schleichend, können unbehandelt jedoch zur Erblindung führen. „Die Augenheilkunde ist nach der Gynäkologie das Gebiet im Facharztbereich, das am häufigsten von der Bevölkerung in Anspruch genommen wird“, betonte Prof. Dr. med. Bernd Bertram, der Erste Vorsitzende des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands, Anfang März anlässlich der Tagung der Augenärztlichen Akademie Deutschlands. Der Bedarf an augenmedizinischer Versorgung werde weiter wachsen, ist der Verband überzeugt.
Auch die nächste Patientin von Claudia Mertens ist schon Rentnerin und bereits „eine alte Bekannte“. Seit Jahren ist sie schon wegen einer Katarakt, einem sogenannten Grauen Star, in augenärztlicher Behandlung. „Vor zwei Jahren hatte ich meine Star-OP“, berichtet Gertrud Schöpf*. „Zunächst konnte ich wunderbar sehen, doch seit einiger Zeit verschlechtern sich meine Augen wieder.“ „Dies kommt leider immer wieder vor“, weiß Mertens. Jedes Jahr werden in Deutschland mehr als 650 000 Katarakt-Operationen durchgeführt, bei denen die getrübte Linse durch ein künstliches Linsenimplantat ersetzt wird. Als Folge der Operation kann es zu einer Trübung der hinteren Linsenkapsel mit entsprechender Sehverschlechterung kommen. Diesen „Nachstar“ kann die Ärztin jedoch in ihrer Praxis behandeln. „Keine Sorge, es tut nicht weh“, beruhigt sie Frau Schöpf und eröffnet die hintere Linsenkapsel mit mehreren Impulsen eines Nd:YAG-Lasers. Dadurch kann sie die Trübung schmerzfrei beseitigen. „Wir sind fertig. Sie haben das ganz toll gemacht“, verkündet sie nach einigen Minuten und drückt Gertrud Schöpf zum Abschied noch einmal freundschaftlich die Hand.
Dass die Arbeit ihr trotz des engen Terminplans großen Spaß macht, merkt man deutlich: „Ich liebe den persönlichen Kontakt zu meinen Patienten, die ich oft über Jahre begleite“, sagt sie. Die Entscheidung zu einer eigenen Praxis habe sie nie bereut: „Hier sehe ich den Erfolg meiner Arbeit.“
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
*Namen geändert
Wussten Sie schon, . . .
- dass die erste Gewebetransplantation in der Medizingeschichte, die Transplantation der Hornhaut, von Augenärzten vorgenommen wurde?
- dass in Deutschland 2,5 Millionen Menschen von der altersbedingten Makuladegeneration betroffen sind?
- dass etwa eine Million Menschen an einem Glaukom erkrankt sind?
- dass rund sechs Millionen Deutsche mit Diabetes mellitus ein erhöhtes Risiko haben, durch eine diabetische Augenkrankheit eine Sehverschlechterung zu erleiden?
- dass bis zum Jahr 2030 die Nachfrage nach Leistungen der Augenheilkunde selbst bei einem Bevölkerungsrückgang um 3,5 Prozent um zehn Prozent wachsen wird?
Wie wird man Augenarzt?
Die Weiterbildungszeit für die Augenheilkunde beträgt fünf Jahre. In dieser Zeit lernt man, anatomische und funktionelle Veränderungen des Sehorgans und seiner Adnexe zu erkennen und zu behandeln sowie die Grundsätze der Prävention und Rehabilitation, der ophthalmologischen Optik sowie von plastisch-rekonstruktiven Operationen. Zwei Jahre der Weiterbildung können bei einem niedergelassenen Arzt abgeleistet werden.
Um sich zu spezialisieren, kann man zudem eine Fachkunde in Laboruntersuchungen in der Augenheilkunde, eine Fachkunde in Laserchirurgie in der Augenheilkunde, eine Fachkunde in okulären Eingriffen höherer Schwierigkeitsgrade und/ oder eine Fachkunde in Augenmuskelchirurgie erwerben. Die zusätzliche Weiterbildungszeit beträgt jeweils etwa ein Jahr.