StudierenArchivMedizin studieren4/2013Studieren im Ausland: Indien – Laut, bunt, quirlig und heiß

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Studieren im Ausland: Indien – Laut, bunt, quirlig und heiß

Schmitt-Sausen, Nora

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Fremde Kultur, andere Medizinstandards, ungewohnte Mentalität: Der Ruf der Ferne lockt immer mehr Studierende. Auch Theresa Volz ging es so. 8. Teil: Indien

Theresa Volz war die Frau der ersten Stunde. Die Studentin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz war Pionierin ihrer Fakultät: Als erste Gesandtin des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin durfte sie zur Famulatur nach Indien. Es gab keine Erfahrungsberichte anderer Studenten, keine Tipps und Ratschläge, keine Eindrücke, die sie vorbereitet hätten. Die 27-Jährige hatte deshalb ein mulmiges Gefühl, als sie nach vielen Stunden Flug übermüdet aus dem Flieger stieg. Hoffentlich werde ich abgeholt, hoffentlich komme ich mit den Leuten zurecht, hoffentlich stimmt die Unterkunft – solche und ähnliche Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Doch diese Unruhe währte nicht lange: Kaum angekommen, zog Indien Volz in seinen Bann. Auf der Fahrt zur Yenepoya-Universität in Mangalore ging es vorbei an Bananentransportern, knatternden Motorrädern und exotischen Pflanzen. Schon da wurde der deutschen Studentin klar: Diese vier Wochen werden ein Abenteuer.

Diese Einschätzung traf auch auf die Arbeit in der Klinik zu: Die medizinischen Geräte entsprachen nicht westlichem Standard. Auch die Röntgengeräte lieferten nicht die aus Deutschland gewohnte Schärfe, die Patientenbetten waren einfache Gestelle. Das Blutdruckmessgerät konnte Volz zunächst gar nicht als solches identifizieren. „Es hatte eine Quecksilberanzeige wie ein altes Fieberthermometer.“ Doch auch wenn die Ausstattung veraltet war, sie funktionierte einwandfrei. „Nachdem ich den ersten Schock überwunden hatte, habe ich schnell gemerkt, dass die Klinik sehr gut organisiert ist, sehr sauber und nicht ohne Grund zu den besten der Region zählt.“ Auch die Krankheitsbilder, mit denen sich Volz während der vier Wochen am Yenepoya Medical College Hospital konfrontiert sah, bekommt man in dieser Häufigkeit in Deutschland nicht zu Gesicht: Sie reichten von Malaria über HIV und Hepatitis bis hin zu Tuberkulose und Dengue-Fieber.

Teamwork: Theresa Volz arbeitete im Yenepoya Medical College Hospital eng mit Leena Pramod zusammen. Fotos: privat
Teamwork: Theresa Volz arbeitete im Yenepoya Medical College Hospital eng mit Leena Pramod zusammen. Fotos: privat

Bei der täglichen Arbeit spielten Hierarchien und Strukturen eine große Rolle. Das merkte Volz an vielen kleinen Dingen – etwa der Sitzordnung im Besprechungsraum. „Je weiter vorne jemand saß, desto wichtiger war er.“ Dennoch war die Atmosphäre sehr locker, fast schon heiter. „Jeder wurde angesprochen und nach seiner Meinung gefragt. Und Witze gehörten auch immer dazu.“

Ein wenig gewöhnungsbedürftig war das Arzt-Patienten-Verhältnis. „In Indien haben die Ärzte einen besonderen Stellenwert. Der Arzt entscheidet, und der Patient gehorcht. Er hinterfragt nichts.“ Es sei nicht selten, dass die Patienten einen Großteil dessen, was die Ärzte und Schwestern bei der Visite besprechen, gar nicht verstünden. Der Grund: In der Klinik wird ausnahmslos Englisch gesprochen, die indische Bevölkerung spricht aber je nach Herkunftsregion eine eigene Sprache. Nur die medizinischen Kernfakten seien den Patienten übersetzt worden.

Untergebracht war Volz in einem Hostel auf dem Universitätscampus. Dort wohnen alle Medizinstudenten und auch die Assistenzärzte – getrennt nach Geschlechtern, wie es in Indien in allen Lebensbereichen üblich ist. Volz war die einzige Europäerin auf dem gesamten Gelände. Die Klinik bot allen einen besonderen Service: Obwohl das zentrale Klinikgebäude nur zehn Minuten entfernt war, stand ein Shuttlebus zur Verfügung, ein „uralter Collegebus“. Dafür gab es zwei Gründe: die Sicherheit der Ärzte und Studenten sowie der Schutz vor den hohen Temperaturen, die je nach Jahreszeit bei bis zu 40 Grad Celsius liegen können.

Volz machte die Hitze wenig aus. Im Krankenhausalltag spielt sie allerdings auch eine Rolle. Lediglich die Intensivstation und die OP-Säle werden durch Klimaanlagen gekühlt. In den regulären Zimmern, den Wards, steht die Hitze. Ein Ward ist ein großer Raum, in dem 40 Betten stehen – und damit auch 40 Patienten liegen.

Die Patienten, die in Mangalore behandelt werden, haben nicht selten Tagesmärsche hinter sich, bis sie in der Klinik ankommen. Außerhalb der Stadtgebiete ist die medizinische Versorgung in Indien schlecht. Wie in vielen Schwellenländern zahlen die Patienten nur einen Minibetrag für die Behandlung in der Klinik. Aufgenommen werden die Patienten unbürokratisch – so wie Betten frei sind. Die Ärzte und Schwestern des Yenepoya Medical College Hospital betreuen Patienten jedoch ebenfalls außerhalb der Klinikmauern.

Auch abseits der Medizin hat Volz in den vier Wochen viel gelernt: Die Mainzerin ist eingetaucht in das quirlige, laute und bunte indische Leben, das vielerorts jedoch ebenso sein weniger schönes Gesicht zeigt: Hitze, Dreck und Armut. Auch bei diesen Streifzügen außerhalb des Campus fiel Volz auf wie ein bunter Hund. Nicht selten fingen die Menschen an zu kichern, wenn sie die junge Frau mit der hellen Haut sahen. Viele winkten Volz freundlich zu. Einige wollten sie sogar unbedingt anfassen.

Fazit: Vor allem die Gastfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Inder haben ihr nachhaltig imponiert. Ihre Mentalität macht Neuankömmlingen das Leben in der Fremde leicht. Einige der Freundschaften, die sie in Mangalore aufgebaut hat, halten bis heute. Nora Schmitt-Sausen

Indien-Check: Die fünf wichtigsten Punkte für eine Reise

1. Heimatuniversität hilft

Viele deutsche Universitäten unterstützen Studenten, die einige Zeit im Ausland verbringen wollen. Die Kooperation mit der Heimatuni kann organisatorische Vorteile haben. Im Falle von Volz wurde etwa die Unterkunft über die Universität organisiert.

2. Finanzierung

Volz arbeitete in Indien unentgeltlich. Dafür waren Kost und Logis frei. Für den Flug bekam sie als Pionierin des Austausches einen Zuschuss der Universität. Die Lebenshaltungskosten in Indien sind verglichen mit Deutschland gering.

3. Gesundheitscheck

Impfungen gehören dazu, wenn man sich in einem Land wie Indien aufhält – zumal für Mediziner. Auf der Impfliste von Volz standen: Hepatitis B, Gelbfieber, Tollwut, Tetanus und Diphtherie. Ein Antibiotikum und Malaria-Prophylaxe waren im Gepäck.

4. Land und Leute

In Indien leben gut 1,2 Milliarden Menschen, nur China hat mehr Einwohner. Zentrales Merkmal des Landes ist die Vielschichtigkeit: unterschiedliche Ethnien, Sprachen (mehr als 100!) und Glaubensrichtungen prägen das Leben. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist groß.

5. Gesundheitssystem

Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Staat kommen in Indien gemeinsam für die Versorgung auf. Dennoch ist nur jeder zweite Inder krankenversichert. Viele Bürger sind von der staatlich organisierten Versorgung ausgeschlossen – etwa Saisonarbeiter oder Menschen, die zu viel verdienen. Eine Privatpolice können sich allerdings nur wenige Menschen leisten.

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