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Studium: Ausland

Studieren im Ausland: Keine Diagnostik ohne Cash

Schmitt-Sausen, Nora

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14. Teil: Mexiko

Franziska Boemke-Zelch tauschte für eine Famulatur ihren friedlichen Alltag in Franken gegen das gefährliche Leben in Mexiko-Stadt. Für sie ein unvergessliches Erlebnis.

Foto: iStockphoto
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Mexiko-Stadt, Hauptstadt von Mexiko. Fast neun Millionen Einwohner. Laut, hektisch und gefährlich. Die Millionenmetropole gehört zu den kriminellsten Orten der Welt. Diebstähle, Überfälle, Drogen- und Bandenkriege machen die Stadt zu einem unsicheren Pflaster. Eine Famulatur an einem solchen Ort? Das ist sicherlich nichts für jedermann. Doch Franziska Boemke-Zelch wusste, worauf sie sich einlässt. Bevor es im vergangenen Sommer nach Mexiko ging, war die Studentin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg bereits zweimal in Buenos Aires, Argentinien. Auch in Argentinien war der Alltag nicht vergleichbar mit dem in ihrer Heimat Erlangen im beschaulichen Mittelfranken. Doch Boemke-Zelchs Haltung zu Südamerika ist eindeutig: „Ich bin ein totaler Südamerika-Fan. Die Menschen sind so offen und man genießt das Leben, auch wenn es manchmal schwierig ist“, sagt sie.

Schwierig war es für die 31-Jährige während ihrer Zeit in Mexiko-Stadt selten. Zum Glück auch nicht zu gefährlich. Allerdings hielt sich die Deutsche sehr bewusst an die Ratschläge.

Einer davon hieß: Bleib nicht länger als 16 Uhr im Hospital General de Mexico, wo die Deutsche in der Infektiologie arbeitete. Denn: Das Krankenhaus liegt in einem unsicheren Bezirk. Eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder der Fußweg in den Abendstunden sind nicht ratsam. „Ich habe mich an das gehalten, was mir die Einheimischen geraten haben“, erläutert Boemke-Zelch. Zu diesen Grundsätzen gehörte auch, einige Viertel gänzlich zu meiden, abends immer nur in Begleitung unterwegs zu sein, und nie zu spät zurück nach Hause zu kommen. Viel gesehen und die Stadt erlebt hat die Deutsche trotzdem: die vielseitige Kultur, das gute mexikanische Essen, die schöne Architektur. Und natürlich: bei alledem so viel Spanisch geredet wie möglich.

Vom Arbeiten in der Klinik prägte sich vor allem ein, dass der Medizin in einem Land wie Mexiko deutlich mehr Grenzen gesteckt sind als in Deutschland. Ein zentraler Grund dafür liegt im mexikanischen Gesundheitswesen. Lediglich die Grundversorgung sei gesichert, berichtet Boemke-Zelch, auch im Notfall. Grundsätzlich gilt: Wenn Patienten und ihre Familien finanziell nicht gut ausgestattet sind, wird es in Mexiko schwierig. Denn die Patienten erhalten nur die Diagnostik, die sie bar vor Ort bezahlen können.

Südamerika-Fan Franziska Boemke-Zelch auf Entdeckungstour: Trotz der schwierigen Sicherheitslage war die deutsche Medizinstudentin in Mexiko viel unterwegs. Fotos: privat
Südamerika-Fan Franziska Boemke-Zelch auf Entdeckungstour: Trotz der schwierigen Sicherheitslage war die deutsche Medizinstudentin in Mexiko viel unterwegs. Fotos: privat

Im Krankenhausalltag läuft das so ab: Auf dem Klinikgelände gibt es mehrere Zahlstellen. Dorthin gehen die Patienten oder ihre Angehörigen mit einer Art „Diagnostik-Wunschliste“ der Klinikärzte. Ob sie alle oder nur die wichtigsten der darauf vermerkten Untersuchungen zahlen können, entscheidet die Familie selbst. Ein Röntgenbild beispielsweise kostet am Hospital General de Mexico umgerechnet 15 Euro. Nicht viel aus deutscher Perspektive, aber eine große Summe für eine mexikanische Familie der Unter- und Mittelschicht. „Die Familien verkaufen ihre letzte Kuh im Stall, um die Diagnostik zu bezahlen“, weiß Boemke-Zelch. „Sie versuchen wirklich alles, um das nötige Geld aufzutreiben.“

Und für die Fälle, in denen das Geld nicht reicht? Wenn Patienten die Diagnostik nicht oder nur zum Teil zahlen können, versuchen die Ärzte durch Gespräche herauszufinden, was dem Patienten fehlt. In ärztlicher Teamarbeit versuchen sie dem Problem auf die Spur zu kommen. „In diesen Fällen wird viel herumgefragt und es werden Bücher gewälzt. Es wird sehr viel Energie investiert, um dem Patienten auch ohne klare Diagnostik zu helfen.“

Zu einem Ergebnis führt diese Sucharbeit aber nicht immer. „Man versucht mit der Diagnostik zu arbeiten, die man hat. Aber eine Fraktur ohne Röntgenbild zu behandeln, ist natürlich schwierig“, sagt Boemke-Zelch. Die Deutsche erlebte in ihrer Zeit auch Fälle, in denen Patienten das Krankenhaus ohne Diagnose wieder verlassen haben. Es sei „kein gutes Gefühl“, wenn eine Behandlung am Geld scheitere. Aber daran muss man sich gewöhnen.

Wie groß die Kluft zwischen Arm und Reich in Mexiko ist, wurde der Deutschen täglich vor Augen geführt. Denn unmittelbar neben dem Hospital General de Mexico ist eine Privatklinik ansässig. Die Türen dieses Krankenhauses öffnen sich aber nur für die besser betuchte Gesellschaft. „Man sieht sofort, ob man dort hingehört, oder nicht. Die Klinik sieht mehr nach Luxushotel als nach Krankenhaus aus.“ Die Privat-Patienten solcher Häuser erwarte Versorgung und Ausstattung auf deutschem Niveau.

Franziska Boemke-Zelch (Mitte) mit dem Ärzteteam des Hospital General de Mexico.
Franziska Boemke-Zelch (Mitte) mit dem Ärzteteam des Hospital General de Mexico.

Mit Blick auf die Ausstattung im Hospital General de Mexico erlebte die Deutsche in Mexiko-Stadt das, was sie bereits aus Argentinien kannte: eine Mischung aus Alt und Neu. „Die Patienten liegen in älteren Betten und Zimmern, in denen der Putz von der Wand bröckelt, und mancher Infusionsständer rostet vor sich hin. Doch die wichtigen medizinischen Geräte sind meist gut und neuerer Natur, wenn auch nicht Hightech.“ 

Die Krankheitsbilder, die Boemke-Zelch zu Gesicht bekommen hat, waren andere als in Deutschland. Vor allem das Schicksal der vielen HIV-infizierten Patienten auf der 35-Betten-Station ging nicht spurlos an der Studentin vorbei. Viele davon waren im Endstadium, einige litten an Tuberkulose. „In Mexiko infizieren sich Kinder mit 13 oder 14 Jahren beim Sex, ohne es zu wissen. Mit 19 Jahren ist das Niveau der T-Helferzellen dann so niedrig, dass man nichts mehr machen kann. Sie kommen einfach viel zu spät in die Behandlung, weil sie nicht gewusst haben, dass sie krank sind. Jeden zweiten Tag ist in der Klinik jemand gestorben, das geht einem sehr nah“, erzählt Boemke-Zelch.

Bei der Arbeit mit den teils schwer kranken Patienten achtete die Deutsche streng auf ihren eigenen Schutz. Ohne Mundschutz und Handschuhe betrat sie kein Patientenzimmer. Ihre mexikanischen Kollegen nahmen es mit dem Eigenschutz allerdings nicht immer so genau. „Alle Ärzte haben einen Mundschutz, aber er wird nicht immer genutzt. Oft tragen sie ihn nach unten geklappt, selbst dann, wenn sie nah am Patienten dran sind“, berichtet die Deutsche. Einmalkittel wurden bei Visiten mehrfach benutzt, in OP-Sälen hatten manche ihre Straßenschuhe an den Füßen. Einwände der Deutschen, besser auf sich zu achten, taten die mexikanischen Kollegen grinsend ab. Es seien ja ohnehin fast alle infiziert, hieß es lax. „Ich hatte das Gefühl, dass das Bewusstsein für den Selbstschutz nicht so da ist. Es ist offensichtlich eine Mentalitätsfrage, die Mexikaner sind in allem einfach lockerer, auch hier.“ 

 Die Beobachtungen zum Infektionsschutz erstaunten die Deutsche. Denn ansonsten strebten die mexikanischen Ärzte sehr danach, international anerkannten Regeln zu folgen. Neben der Arbeit verbrachten die Mediziner viel Zeit mit dem Selbststudium, um sich über neue Behandlungsstandards und Medikamente zu informieren. Besonders intensiv blickten die Mexikaner dabei in das Nachbarland USA. Schätzen gelernt hat Boemke-Zelch die hohe Motivation der mexikanischen Ärzte. Obwohl sie jeden Tag erleben, dass ihre Arbeit begrenzt und weit entfernt von Bedingungen in anderen Ländern ist, sind sie mit Herzblut bei der Sache. „Es kam oft vor, dass Kollegen abends länger blieben und sogar freiwillig zusätzliche Nachtdienste machten. Mexikos Ärzte lieben, was sie tun“, sagt die Gast-Ärztin. Am Bett der Patienten nehmen sich Mexikos Ärzte viel Zeit. „Es wird viel mit den Patienten geredet, ganz anders als bei uns. Eine Standard-Anamnese dauert 1,5 bis zwei Stunden.“

Die Patienten schätzen diese Zugewandtheit der Ärzte sehr. Boemke-Zelch sagt: „Die Dankbarkeit ist immens groß. Die Patienten schauen zu den Ärzten auf.“ Widerspruch oder Diskussionen gebe es nicht. „In Mexiko sind die Ärzte tatsächlich noch so etwas wie die Götter in Weiß.“ Auch untereinander herrsche eine sehr positive Atmosphäre. Es sei ein Miteinander, kein Gegeneinander. Offen zur Schau gestellte Animositäten sind den Mexikanern fremd.

Von dieser freundlichen Mentalität profitierte Boemke-Zelch auch nach Dienstschluss. Sie ist häufig mit mexikanischen Assistenzärzten Essen gegangen, war regelmäßig „bei Freunden von Freunden“ zu Gast. Die typisch deutsche Haltung „Den kenn ich doch gar nicht“ legen die Mexikaner nicht an den Tag. Zur Kluft zwischen Arm und Reich tragen aber – wohl oder übel – auch die Ärzte bei. Sie leben in abgeschlossenen Vierteln, gehören „definitiv zur gehobenen Schicht“ der mexikanischen Bevölkerung.
Boemke-Zelch weiß, dass sie nicht auf Dauer in einer solchen Stadt leben könnte. „Ich brauche die Sicherheit, die ich hinter den Mauern des Krankenhauses hatte, auch außerhalb.“ Wie unsicher es um sie herum tatsächlich war, wurde ihr in den vier Wochen schmerzlich vor Augen geführt. Unmittelbar vor der Klinik wurde ein mexikanischer Student angeschossen. Aus deutscher Perspektive ein schreckliches Ereignis. Aus mexikanischer Sicht ein alltägliches Erlebnis.

@Bisher in dieser Reihe erschienen:
USA, Skandinavien, Schweiz, Großbritannien,
Österreich, Thailand, Spanien, Indien, Frankreich,
Kuba, Ungarn, Italien, Polen, Neuseeland, Türkei unter:
www.aerzteblatt.de/studieren/ausland

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