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Praktisches Jahr: Kein rechtsfreier Raum

Richter-Kuhlmann, Eva

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Noch kein Arzt, aber schon ärztlich tätig – für viele ist das PJ eine rechtliche Grauzone. Doch auch Studierende haften für Schäden, die sie durch Sorgfalt hätten vermeiden können.

Den Tod eines Säuglings verursachte ein PJler, indemer ihm versehentlich ein orales Antibiotikumintravenös spritzte. Er wurde 2013 wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Foto: Michael Peters
Den Tod eines Säuglings verursachte ein PJler, indemer ihm versehentlich ein orales Antibiotikumintravenös spritzte. Er wurde 2013 wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Foto: Michael Peters

Es ist die Horrorvorstellung eines jeden Medizinstudierenden: Man bekommt eine Aufgabe zugeteilt, der man sich noch nicht gewachsen fühlt oder die man einfach noch nicht vollständig überschaut. Doch mit Nachfragen macht man sich nicht beliebt und im hektischen Stationsalltag fühlen sich viele gezwungen, die Flucht nach vorn anzutreten. Also: Einfach handeln! Was aber, wenn man dann ein wesentliches Symptom übersieht, eine notwendige Untersuchung unterlässt oder eine falsche Entscheidung trifft und ein Patient dabei zu Schaden kommt?

Dramatische Ereignisse dieser Art sind zwar nicht häufig, kommen aber immer mal wieder vor und sind aus der Presse bekannt: Beispielsweise der Fall eines Studenten im Praktischen Jahr, der am Evangelischen Krankenhaus Bielefeld durch eine fehlerhafte Medikamentengabe ein Kind getötet hat. Er verabreichte ein Antibiotikum nicht oral, sondern injizierte es. Der leukämiekranke Säugling starb und die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen den angehenden Arzt wegen fahrlässiger Tötung. Er wurde 2013 zu einer Geldstrafe verurteilt, darf aber weiter als Arzt arbeiten (DÄ Medizin studieren, Heft 2/2014).

Berichtet hat das DÄ Medizin studieren Heft 3/2014 (http://www.aerzteblatt.de/st14310) auch über die Mainzer Medizinstudentin, die einer frisch operierten Patientin mit Übelkeit eine angebrochene Infusion verabreicht hat, die sich noch im Operationssaal befand. Diese hatte zwar ein Etikett mit der Aufschrift „NaCl“. Allerdings war in der Flasche nicht nur Kochsalzlösung, sondern auch das Narkosemittel Propofol, das den Inhalt trübte. Die Patientin erlitt einen Atem- und Kreislaufstillstand und musste vom alarmierten Notarzt reanimiert werden. Das war im Juni 2011. In einem Urteil vom April 2014 entschied das Landgericht Mainz: Die Klinik, der operierende Arzt und die Studentin müssen für den Fehler haften (Az.: 2 O 266/11).

Nach Einschätzung des Gerichts haben strukturelle Probleme in der Organisation der Klinik den Fehler verursacht. Die Betreuung einer frisch operierten Patientin habe nicht allein einer Studentin anvertraut werden dürfen. Der operierende Arzt und Geschäftsführer der Klinik hätte nach Meinung des Gerichts erkennen müssen, dass die Studentin für die Nachtwache ungeeignet war. Auch diese sei aber haftbar zu machen, so der Richter. Sie habe „gravierende Fehlentscheidungen“ getroffen. So habe sie eine angebrochene Infusion verabreicht, von der sie nicht sicher wissen konnte, worum es sich handelt.

Diese Fälle zeigen: Als Medizinstudent unterliegt man wie jeder andere dem Strafgesetzbuch und kann wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) und fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) mit Geld- oder Freiheitsstrafe bestraft werden. Hinzu kommen Auswirkungen auf die Approbation. Diese Fälle sind aber auch deutschlandweit für viele Medizinstudierende Anlass, über ihre rechtliche Stellung im Praktischen Jahr (PJ) nachzudenken: Was dürfen PJ-Studierende im Krankenhaus eigentlich für Aufgaben übernehmen? Und: Wie sieht es mit der Haftung aus?

Lukas Käsmann, Medizinstudent im neunten Semester an der Universität Lübeck, stellt sich derzeit diese Fragen. Denn bald startet auch er ins PJ: Neben der obligatorischen Chirurgie und der Inneren Medizin will er das Wahltertial in der Radioonkologie absolvieren. Als Regionalsprecher der Studierenden des Hartmannbundes in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern weiß er auch, dass nicht nur vielen Kommilitonen, sondern selbst vielen gestandenen Ärzten, die PJ-Studierende betreuen, die rechtliche Situation im PJ zum Teil nicht geläufig ist. Vielen sei bekannt, dass der Ärztlichen Approbationsordnung (ÄAppO) zufolge im Mittelpunkt des PJ die Ausbildung der Studierenden am Patienten stehen soll. Dabei sollen diese ihre „ärztlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten vertiefen und erweitern“ (§ 3 Abs. 4 S. 1 und 2 ÄAppO). Ziel ist es, „das medizinische Wissen in der Prophylaxe, Diagnostik und Behandlung auf den einzelnen Krankheitsfall anzuwenden“. Die Lehrenden sollen die Studierenden zu fachlich kompetenten und eigenverantwortlich handelnden Persönlichkeiten ausbilden. Auch die rechtlichen Vorgaben stellt die ÄAppO bereits klar: So sollen die PJler „entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes ihnen zugewiesene ärztliche Verrichtungen durchführen“ (§ 3 Abs. 4 S. 3 ÄAppO).

„Auch Details sind relativ klar geregelt, aber die Tätigkeit wird sehr individuell gehandhabt (je nach Krankenhaus und Abteilung)“, erklärte Käsmann im Februar im Rahmen des Kongresses „Operation Karriere“ des Deutschen Ärzteverlages in Frankfurt/Main. Dort verwies er auf die Stellungnahme von Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung von 2008 zu den „Möglichkeiten und Grenzen der Delegation ärztlicher Leistungen“, die sich zwar nicht explizit an Studierende richtet, sondern generell an nicht ärztliches Personal. Dennoch würden PJ-Studierende als noch nicht approbierte Ärzte davon erfasst. „Der Student im PJ ist noch kein Arzt!“, sagt Käsmann. „Unter ärztlicher Anleitung und Aufsicht dürfen Studierende einige ärztliche Tätigkeiten ausführen, andere muss der Arzt höchstpersönlich verrichten. Festgeschrieben ist, dass der PJler nur Tätigkeiten übernimmt, die seine/ihre Ausbildung fördern! “

Lukas Käsmann informierte auf dem Kongress „Operation Karriere“ des Deutschen Ärzteverlags über die Rechte und Pflichten im PJ. Foto: Tanja Schepp i.A. DÄV
Lukas Käsmann informierte auf dem Kongress „Operation Karriere“ des Deutschen Ärzteverlags über die Rechte und Pflichten im PJ. Foto: Tanja Schepp i.A. DÄV

Konkret heißt es in dieser Stellungnahme, dass ärztliche Leistungen, die nicht höchstpersönlich erbracht werden müssen, grundsätzlich an nichtärztliche Mitarbeiter delegiert werden dürfen. Diese müssen entsprechend der jeweiligen Qualifikation dafür geeignet erscheinen (Auswahlpflicht). Ferner müssen sie vorher angelernt werden, damit sie die Aufgaben selbstständig vornehmen können (Anleitungspflicht). Und auch während der Tätigkeit besteht noch eine Überwachungspflicht, die sich jedoch auf Stichproben beschränken kann. Der delegierende Arzt kann demnach rechtlich belangt werden, soweit ihm die Verletzung seiner Pflichten nachgewiesen werden kann. Dies schließt nicht eine gegebenenfalls entstehende Schadensersatzpflicht des Studierenden aus, wie der Fall des Studenten aus Münster zeigt. „Wer glaubt, nur der zuständige Arzt würde bei einem falsch gegebenen Medikament oder bei Fehlern bei einer Blutabnahme haften, wähnt sich in falscher Sicherheit“, erläuterte Käsmann.

Kapilläre und venöse Blutabnahmen sowie subkutane und intramuskuläre Injektionen einschließlich Impfungen können nämlich an Studierende delegiert werden, auch die vorbereitende Anamnese, intravenöse Applikationen (außer Erstapplikationen), die zweite OP-Assistenz und die Versorgung unkomplizierter Wunden. Übertragbar sind damit auch Verbands- oder Katheterwechsel. Nicht delegiert werden dürfen von Ärzten jedoch die eigentliche Anamnese, das Stellen einer Indikation und einer Diagnose, die Untersuchung des Patienten einschließlich invasiver diagnostischer Leistungen, die Aufklärung und Beratung des Patienten, die Entscheidung über die Therapie sowie die Durchführung invasiver Therapien und die Anlage zentralvenöser Zugänge oder einer Thoraxdrainage. „Hier kann man sich auf einen Tätigkeitskatalog beziehen, den die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung aufgestellt haben“, sagt Käsmann. „Rechtlich bindend ist er jedoch nicht, aber eine Empfehlung für die klinische Praxis der PJler.“

„In der Realität ist es aber so, dass Studenten auch die ärztliche Aufklärung über einen Eingriff und dessen Risiken übernehmen, obwohl dies eine ärztliche Aufgabe ist“, berichtet Käsmann mit Verweis auf ein Urteil des Oberlandesgerichtes Karlsruhe vom 29. Januar 2014. Dieses bewertete die Aufklärung durch eine Medizinstudentin im PJ als zulässig, da es sich in diesem Einzelfall um die Aufklärung für einen Routineeingriff handelte, „über den die Studierende schon mehrfach aufgeklärt hatte.“ Die durchgehende Anwesenheit des Arztes sei nicht erforderlich, meinten die Richter.

Verlassen sollte man sich aber auf solche Einzelfallentscheidungen nicht. Besser ist es, nach eindeutigen Handlungsanweisungen der Klinik zu den Möglichkeiten und den Einschränkungen der Delegation von Tätigkeiten auf PJler zu fragen.

Fakten zum PJ

Wie lang muss ich arbeiten?

Entsprechend § 3 Abs. 4 S. 4 ÄApprO arbeiten PJ-Studierende in der Regel ganztägig an allen Wochenarbeitstagen. Nacht-, Wochenend- und Spätdienste sind jedoch möglich.

Was muss ich machen?

Nach § 3 Abs. 4 ÄApprO müssen PJ-Studierende nicht arbeiten, sondern sie wollen! Dabei führen sie entsprechend dem Ausbildungsstand zugewiesene ärztliche Verrichtungen durch, aber keine Tätigkeiten, die die Ausbildung nicht fördern.

Habe ich Anrecht auf eine Vergütung?

Nein, da keine Verpflichtung zur Arbeit besteht (Status = 100 % Student), sind die Lehrkrankenhäuser und Universitätskliniken auch nicht zur Vergütung verpflichtet. Häufig zahlen sie jedoch mittlerweile eine „Aufwandsentschädigung“, auch geldwerte Vorteile gibt es vielerorts.

Was ist, wenn ich krank bin? Und bekomme ich Urlaub?

Es sind Fehlzeiten von maximal 30 Tagen in den 48 Wochen des PJ möglich (§ 3 Abs. 3 ÄApprO). Sie beinhalten Urlaub, Krankheitstage und sonstige Fehlzeiten. Bei begründbarem Überschreiten der 30 Tage kann die überlappende Fehlzeit grundsätzlich nachgeholt werden.

Was passiert, wenn ich mich nicht an meine Pflichten halte?

Die maximale Konsequenz ist die Wiederholung beziehungsweise nur teilweise Anrechnung des PJ. Entschieden wird dies von der jeweils zuständigen Stelle des Landes, meist vom Landesprüfungsamt (§ 3 Abs. 6 ÄApprO).

Welche Versicherungen brauche ich?

Zwingend notwendig ist eine Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung. Nicht schaden kann eine Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie eine Haftpflichtversicherung. Denn PJ’ler haften für Schäden, die laut Kenntnisstand hätten vermieden werden können.

Die 3 goldenen Regeln fürs PJ

•  sich immer als Studierende(r) vorstellen. Erst durch die Approbation wird man zum Arzt oder zur Ärztin. Gut ist ein Namensschild mit dem Zusatz „Student/-in“ am Kittel

•   nicht eigenmächtig handeln, lieber einmal mehr nachfragen

•   nur tun, was man tatsächlich selbstständig kann und überschaut

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