

Fiete Näher absolvierte vor zwei Jahren ein PJ-Tertial in Äthiopien. Dem Deutschen Ärzteblatt Medizin studieren erklärt er, was ihn nach Afrika zog.
Herr Näher, warum sind Sie während Ihres PJs nach Äthiopien gegangen?
Mich interessierte Medizin im internationalen und sozialen Kontext. Also die Frage: Mit welchem Hintergrund kommen die Patienten zum Arzt? Ich war zuvor bereits in einem Krankenhaus in Nepal. Dadurch kam ich auf die Idee, auch in Afrika zu arbeiten.
Wie lief die Vorbereitung des PJs ab?
Damit das PJ anerkannt wird und man nicht drei Monate umsonst arbeitet, müssen die Krankenhäuser Kriterien erfüllen, die den Studienordnungen der Hochschulen entnommen werden können. Doch es gestaltete sich schwierig, mit interessanten Krankenhäusern in Afrika zu klären, ob sie die Voraussetzungen erfüllen. Meine Versuche Kontakt aufzunehmen waren ziemlich erfolglos. Oft genug bekam ich einfach keine Antwort auf entsprechende E-Mail-Anfragen. In dieser Situation las ich eine Bekanntmachung über die Kooperation mit Gonder auf dem Internetportal der Universität Leipzig. Danach ging alles ganz einfach. Es waren ja schon vor mir Studenten da. Zur Sicherheit sprach ich noch einmal sowohl mit der Prüfbehörde als auch mit der chirurgischen Abteilung der Universität, ob das PJ-Tertial anerkannt wird.
Hat das Tertial in Afrika Ihre Erwartungen erfüllt?
Ein bisschen Flexibilität muss man schon mitbringen. Die Dinge liefen anders, als wir uns das vorher vorgestellt hatten. Dabei ist die Chirurgie in Gonder für äthiopische Verhältnisse sehr gut ausgestattet. Trotzdem werden zum Beispiel minimalinvasive Techniken, wie sie in Deutschland üblich sind, kaum angewendet. Wir erlebten einen Stand der Medizin, die hier vielleicht schon einige Jahrzehnte zurückliegt, aber dennoch besondere Qualifikationen erfordert. Die Ärzte vor Ort konnten mit den Möglichkeiten, die sie hatten, sehr gut umgehen. Und am Ende bekamen wir auch alle Bescheinigungen, die wir brauchten.
Wann war es schwierig, Medizin in einer anderen Kultur zu erleben?
Ein Beispiel: Ein älterer Herr kam ins Krankenhaus. Sein Bein war buchstäblich weggefault. Die Infektion begann mit einer offenen Wunde an der Fußspitze, hatte sich dann immer weiter nach oben gefressen, bis nur noch Haut und Knochen übrig waren. Es stellte sich heraus, dass er sich nicht getraut hatte, früher über seine Infektion zu sprechen und Hilfe zu suchen. In seiner Dorfgemeinschaft war Krankheit extrem stigmatisiert. Es ist auch nicht einfach mit anzusehen, wenn ein Patient mit einem fußballgroßen Tumor ins Krankenhaus kommt und ihm nicht mehr geholfen werden kann. Diese und ähnliche Fälle haben uns sehr beschäftigt. Es hat mir geholfen, mich mit einer Kommilitonin darüber auszutauschen.
Können Sie die Erfahrungen aus Äthiopien in Deutschland nutzen?
Ich lernte viel über die Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Mir wurde klar, dass Patienten nicht nur in Äthiopien mit einem völlig anderen Hintergrund zur Behandlung kommen, als man das mit der eigenen Denkweise erwartet. Menschen hier wie in Äthiopien bringen andere Voraussetzungen mit, mit denen sie ihre Erkrankung und die Risiken einordnen. Interessant war auch der Umgang mit Fehlern. Bei uns werden Fehler oft so hart kritisiert, dass niemand sie gerne zugibt. In Äthiopien gilt es als unhöflich, Fehler bei anderen anzusprechen. Auch so besteht die Gefahr, dass wenig geschieht, um sie beim nächsten Mal zu vermeiden. Viele Patienten hatten zudem weit fortgeschrittene Erkrankungen. Das hat mir klargemacht, was das Versorgungssystem in Deutschland, vor allem in der Prävention, leistet.
Was bringt die Kooperation mit Gonder aus Ihrer Sicht?
Wer moderne Hightech-Chirurgie sucht, wird sie nicht in einem peripheren Haus in Afrika finden. Man darf nicht erwarten, so gut im Klinikalltag integriert zu sein wie in Deutschland. Aber man lernt die Zusammenhänge von Medizin im globalen Kontext zu verstehen. Das ist eine tolle Erfahrung, extrem wertvoll. Vieles kann man unmittelbar verzahnen – in Global- Health-Studiengängen, in der Tropenmedizin oder in studentischen Initiativen. Ich persönlich wollte in die Entwicklungspolitik gehen. Die klinische Medizin ist dafür wichtig, aber nicht allein. Auch Versorgungs- und Präventionssysteme müssen funktionieren. Die beste Medizin nützt nichts, wenn die Patienten sich die Behandlung nicht leisten können. ■
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.