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NEIN-Sagen

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Der Beitrag „Mehr Mut zum NEIN-Sagen“ von Harald Kamps in Heft 3/2007 scheint vielen Lesern mit seinen Ansichten des deutschen Gesundheitswesens, bei denen der ärztliche Berufsstand von Kritik nicht ausgespart bleibt, aus dem Herzen gesprochen zu haben. Im Kern lautet seine These: Hierzulande fehlt die fachliche Instanz, die gesunde Menschen vor den potenziell gefährlichen Nebenwirkungen des Gesundheitswesens bewahrt und den kranken Menschen den einfachsten Weg zur Besserung zeigt.

Avatar #88946
am Dienstag, 30. Januar 2007 um 00:00

Patient als Beruf?

zum Beitrag „Mehr Mut zum NEIN-Sagen“ von Harald Kamps in Heft 3/2007 (http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?src=suche&id=54156)

BRAVO! Endlich mal jemand, der nicht in typisch deutschen Wirrnissen gefangen ist. Die Politik hofiert partieübergreifend die eigenartige Mentalität eines „Rund-um-sorglos-Paketes“ in allen Lebenslagen. Schon die simple Drohung mit einer angeblich verlustig gehenden Supramaximalversorgung für Alle (Stichwort: Zweiklassenmedizin) reicht für Regierungsberater mittels Direktmandat in den Bundestag katapultiert zu werden. Die Angst sitzt so tief, von den gewachsenen Pfründen als Patient etwas zu verlieren, dass man solchen Zeitgenossen mühelos abnimmt, sie seien Experten. Überhaupt ist irgendwie jeder eine Autorität, egal ob am Stammtisch, im TV oder der Politik. Dass passt kaum zum desolaten Bildungsniveau nach Pisa-Art.

Autor Harald Kamps sagt treffend, dass meist die Oma und die Eltern die besseren (ersten) Ratgeber sind als ein Weißkittel. Liegt es vielleicht auch daran, dass es kaum noch intakte Familien mit zusammenlebenden Generationen gibt? Die Oma als Institution existiert in Frankreich immer noch, Gesundheit ist ein universelles Gut wie die gesamte Lebensführung auch, welches nicht den „Professionals“ überlassen wird. Wie man sieht, nützt es nichts, dass Deutsche doppelt überversichert sind. Leben ist auch Risiko aus dem man sich nicht herauskaufen kann. Und wenn die Oma eben nicht verfügbar ist, nützt es vielleicht, wie in Frankreich, wenn 99% aller Zweijährigen ganztags professionell betreut und erzogen werden, viele Frauen das Kind bereits 6-8 Wochen nach der Geburt in eine Kindergrippe abgeben. Da ist genug Raum zur Vermittlung von Körpergefühl und wichtigen Lebensinhalten.

Mit Klingeltönen, SMS und einem eigenen Fernseher im Kinderzimmer findet man die dann Erwachsenen in Pisa-Land eben im Wartezimmer wieder. Schon dreijährige Kinder lernen in Frankreich einen Pfannkuchen selbst zu backen. Trotz 25 kg mehr Fleischkonsum pa lebt man in Frankreich sichtlich gesünder. Wenn niemand vermittelt, woran man gute Lebensmittel erkennt, sind Gammellebensmittel eben irgendwann der Standard. In keinem Land gibt es mehr Koch- und Ratgebersendungen, über 60% der Bevölkerung können trotzdem nicht mal mehr selbst kochen. Niemand in Europa gibt so wenig für Ernährung aus. Paradox! 8% versus 36% in Frankreich. Das im Gesundheitswesen verheizte Geld wäre doch besser für Ernährung und sozialen Umgang ausgegeben. Aber da Geiz geil ist, der Doktor pauschal bezahlt wird, nimmt man die volle Dröhnung. Schon die fast psychotischen Verhältnisse beim Absturz eines gesunden Wildvogels in Bayern erschütterten zwei Minister, die sich nichts schenkten. Die Vorhaltung von großen Mengen an teuren Prophylaxen beruhigte die Volksseele. Egal wie sinnlos, egal wie teuer, es muss sein (siehe auch: „Pandemieplanung in Frankreich - 'Frühe Planung, mehr Leute!', bayer. Ärzteblatt 5/2006, Seite 252ff).

Das übelste sind scheinobjektive Postillen wie die genannte „Apotheken-Umschau“. Nach Durchsicht nur einer Ausgabe kommt selbst bei mir merkliches Krankheitsgefühl auf. Die TV- Formate thematisieren in oft lächerlicher Art und Weise Krankheit als Lebensgefühl. Gesundheit, lustvolles Leben ist medial unverkäuflich. Auch der chronisch Kranke kann dies so erleben. Und der immer anwesende Experte ist natürlich jemand, der sich in seiner wissenschaftlichen Vita so intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat, dass man kaum glaubt, die genannten Symptome nicht selbst zu haben. Aus eigener Anschauung: Schreibt man für deutsche TV- Sender Stoffe mit lebensbejahenden Gesundheitsthemen, läßt den Experten in ihrer Uniklinik und nimmt keine träneninduzierenden Schicksalsopfer, will dies niemand produzieren.

Ernährung ist die eine Sache, Erziehung die andere: Wer nur 9 Milliarden Euro im Jahr für den Primarbereich ausgibt, versus 77 Milliarden Euro in Frankreich, braucht sich nicht zu wundern, dass das deutsche Gesundheitswesen zwischenzeitlich der Puffer schlechthin für gesellschaftliche Missstände jeder Art ist. Fehlende soziale Bindungen werden nirgends so teuer zugekauft, denn der Herr Doktor schenkt einem immer für ein paar Minuten sein Ohr, ein teurer Spaß! Deutsche Ärzte in Frankreich wundern sich zuhauf, dass die ärztliche Konsultation nur in Anspruch genommen wird, wenn wirklich nötig. Und dann sind die Patienten auch noch dankbar und nicht so massiv, oft unverschämt, fordernd wie in Deutschland. Wegen der merklich besseren Arztbezahlung mögen viele deutsche Ärzte gehen, bleiben dann aber ob der ihnen entgegengebrachten Achtung und dem Gefühl, nicht als Sozialpuffer sondern als medizinischer Fachmann wirklich tagtäglich gebraucht zu werden. Was will man mehr?

Gerhard Schuster
Avatar #88575
am Mittwoch, 31. Januar 2007 um 19:14

...einmal Patient, immer Patient.....

....wer nicht krank ist, der ist nur noch nicht gründlich untersucht worden!
Dies scheint zum Motto des deutschen Gesundheitssystems geworden zu sein.
Und das paradoxe: wer dann wirklich krank ist und Hilfe braucht, bekommt sie nicht adäquat.

>>Das übelste sind scheinobjektive Postillen wie die genannte „Apotheken-Umschau“. Nach Durchsicht nur einer Ausgabe kommt selbst bei mir merkliches Krankheitsgefühl auf. Die TV- Formate thematisieren in oft lächerlicher Art und Weise Krankheit als Lebensgefühl. Gesundheit, lustvolles Leben ist medial unverkäuflich. Auch der chronisch Kranke kann dies so erleben. Und der immer anwesende Experte ist natürlich jemand, der sich in seiner wissenschaftlichen Vita so intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat, dass man kaum glaubt, die genannten Symptome nicht selbst zu haben. Aus eigener Anschauung: Schreibt man für deutsche TV- Sender Stoffe mit lebensbejahenden Gesundheitsthemen, läßt den Experten in ihrer Uniklinik und nimmt keine träneninduzierenden Schicksalsopfer, will dies niemand produzieren.>>

....treffender konnte man es nicht formulieren!
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am Donnerstag, 1. Februar 2007 um 09:02

Apotheken Umschau

Ich finde den Beitrag von Herrn Kamps großartig,
den Seitenhieb auf die "Apotheken Umschau"
allerdings nicht unbedingt gerechtfertigt. Vergleichen
Sie dieses Heft bitte einmal mit anderen
Apothekenmagazinen oder den Gesundheitsteilen in
Boulevardmedien oder Nachrichtenmagazinen: In
der Apotheken Umschau finden Sie nirgendwo
redaktionelle Werbung. Es werden ausschließlich
Wirkstoffe genannt, niemals Produktnamen. Sie
finden keine Fotos, auf denen Apothekenpräparate
identifiziert werden können. Auch Anzeigen werden
offenbar stets so platziert, dass sie nicht direkt in
einem "passenden" Beitrag stehen. Reißerische
Titel ("Krebs heilbar" o.ä.) lesen Sie ebenfalls nicht.
Die Bezeichung "scheinobjektive Postille" halte ich
für daher überzogen polemisch. Meinem Eindruck
nach bemüht sich die Redaktion (ein Blick ins
Impressum zeigt, dass mehrere Ärzte und Apotheker
darunter sind), allgemeinverständliche
Gesundheitsaufklärung zu betreiben
(Hauptzielgruppe sind bei
der extrem hohen Auflage vermutlich nicht vorrangig
Akademiker) und schafft es dabei, obwohl
Kundenmagazin, nicht als "Werbeblättchen" der
Pharmaindustrie dazustehen.
Avatar #87826
am Donnerstag, 1. Februar 2007 um 19:33

Ärzteschwemme....

Nur: Wenn man künftig nur noch wirklich kranke Patienten behandeln würde, bräuchte man in Deutschland höchstens die Hälfte der aktuellen Arztzahlen, der Rest wäre überflüssig. Wahrscheinlich müssen es erst so wenige werden, bevor es wieder aufwärts geht für Ärzte...
Avatar #88575
am Donnerstag, 1. Februar 2007 um 19:44

@Bubi

Hmm, sehe ich nicht ganz so. Da uns eine "Überalterungswelle" in den nächsten jahren erwartet, werden Ärzte gebraucht werden. Und wo sehen Sie denn eine Ärzteschwemme?
Es gibt einige Gegenden in Deutschland, die die ambulante medizinische Versorgung derzeit nur mit Mühe aufrecht erhalten können und denen ein ziemliches Versorgungsproblem droht.
Arbeit gibt es genug; sie wird nur nicht richtig bezahlt. Oder haben Sie schon mal einen Arzt über zu wenig Arbeit jammern hören?

Grüße

Kate

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