Politik
Gesundheitsminister beraten über Kurs bei steigenden Coronainfektionen
Donnerstag, 4. November 2021
Lindau/Berlin – Die Coronalage, die Situation auf den Intensivstationen sowie der Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst: Bei der diesjährigen Präsenztagung der 16 Gesundheitsministerinnen und Gesundheitsminister der Länder Lindau am Bodensee wollen die Ressortchefs über die aktuelle Lage der Coronainfektionen beraten.
Auf der Tagesordnung, die dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, sind neben der aktuellen Lagebewertung auch die Verschärfung der Quarantäneregelungen für enge Kontaktpersonen von Coronainfizierten geplant.
Außerdem soll es einen Austausch zur Lage auf den Intensivstationen mit Uwe Janssens, dem früheren Präsidenten der DIVI, geben. Auf der Tagesordnung stehen auch Beratungen zu den Überlegungen der künftigen Ampel-Koalition auf Bundesebene, die „epidemische Lage nationaler Bedeutung“ zu beenden.
Vorab bekannt geworden war bereits eine Beschlussvorlage zur Änderung der nationalen Impf- und Teststrategie. Darin geht es auch um die Frage, wer Auffrischungsimpfungen bekommen soll, sowie ob Impfzentren weiter eröffnet werden sollen und welche Testkonzepte für Pflegeheime greifen.
Zu den Beratungsthemen, die nicht die Coronalage betreffen, gehören die investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ) sowie die Stärkung der Belegärztlichen Versorgung. Außerdem wollen die Länder das Förderprogramm Digitalisierung aus dem Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) unterzeichnen, heißt es auf der Tagesordnung.
Die Ministerinnen und Minister und Senatorinnen sollen die Vereinbarung unterzeichnen – wenn sie denn persönlich an dem Treffen teilnehmen. Denn: Aufgrund der Ampel-Verhandlungen im Bund sind die Ministerin aus Niedersachsen, Daniela Behrens (SPD), sowie die Minister aus Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg, Heiner Garg (FDP) und Manne Lucha (Grüne), nicht persönlich anwesend.
Sie werden von Staatssekretären vertreten. Außerdem seien die Ministerin aus Brandenburg, Ursula Nonnenmacher (Grüne), die Senatorin aus Hamburg, Melanie Leonhard (SPD) sowie die Ministerin aus Sachsen, Petra Köpping (SPD), nicht persönlich dabei.
Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bekräftigte gestern seinen Appell zu mehr Auffrischungsimpfungen, um schon länger zurückliegende Impfungen zu verstärken. Aus seiner Sicht reicht das Tempo beim „Boostern“ nicht. Daher sollten alle Länder alle Menschen ab 60 Jahren anschreiben und darauf hinweisen. Spahn wird ebenso an dem Treffen vor Ort teilnehmen.
Aus Länderkreisen kam der Vorschlag, alle Über-70-Jährigen anzuschreiben, wie aus einem Beschlussentwurf hervorgeht, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Bayern, das derzeit den Vorsitz der Gesundheitsministerkonferenz hat, will zudem einen neuen Vorstoß machen, um Drittimpfungen für alle zu ermöglichen. Es müsse gelingen „vor die Lage“ zu kommen, sagte Bayerns Ressortchef Klaus Holetschek (CSU). Die Drittimpfungen seien zugelassen. „Wir werden sehr, sehr deutlich diskutieren müssen, wie der Weg jetzt geht“, sagte er mit Blick auf die Gespräche in Lindau.
Niedersachsens Ressortchefin Daniela Behrens (SPD) kritisierte den bislang nötigen Vorlauf von 14 Tagen bei der Bestellung von Impfstoffen. „Das ist ein Zustand, den wir so nicht hinnehmen können“, sagte sie der Neuen Osnabrücker Zeitung. „Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister muss hier dringend neue und pragmatischere Vereinbarungen mit dem Arzneimittelgroßhandel treffen, die eine flexiblere Planung der Impfungen vor Ort ermöglichen.“
Strittig war zuletzt, ob die Länder für Boosterimpfungen auch die regionalen Impfzentren wieder aktivieren sollen. Auf einen entsprechenden Vorschlag Spahns hatten mehrere Bundesländer, der Deutsche Städtetag und Ärztevertreter mit Kritik reagiert. Spahn sagte daraufhin gestern, die öffentlichen Angebote für Auffrischungsimpfungen müssten nicht unbedingt in großen Impfzentren erfolgen. Angebote außerhalb von Arztpraxen seien aber wichtig: Zu viele Impfwillige fänden „aktuell keinen Arzt, der sie impft“.
Das Bundesministerium hatte auch eine umfassende Testpflicht in Pflegeheimen gefordert, der Beschlussentwurf aus Länderkreisen sieht aber nur vor, dass Bund und Länder „darauf hinwirken, dass ein ausreichendes Testangebot in den Einrichtungen vorgehalten wird“. Eine 2G-Option, wie vom Bund vorgeschlagen, findet sich in dem Papier für Pflegeheime nicht.
Dabei fände Nordrhein-Westfalens neuer Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) eine Testpflicht dort „absolut richtig“, wie er in den ARD-„Tagesthemen“ sagte. Es könne nicht sein, „dass wir nach all den Monaten der Erfahrungen wieder die Fehler machen vom Anfang der Pandemie, wo Menschen einsam gestorben sind“.
Der Deutsche Pflegerat äußerte sich nahezu identisch: „Verpflichtende Tests finden wir absolut richtig, weil wir natürlich einen Schutz für die Bewohnerinnen und Bewohner aufbauen müssen“, sagte die Präsidentin des Zusammenschlusses großer Branchenverbände, Christine Vogler.
Auch der Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, sah das in der Bild-Zeitung heute so: „Kein Ungeimpfter darf Kontakt zu einer derart vulnerablen Gruppe haben, weder beruflich noch als Besucher. Das gilt für Senioren- und Pflegeheime wie für Intensivstationen.“
Auch in Baden-Württemberg wird über eine Impfpflicht in Alten-und Pflegeheimen diskutiert. Ministerpräsident Winfried Kretschmann spricht sich angesichts der zunehmenden Coronafälle für eine Impfpflicht in Alten- und Pflegeheimen aus und stärkt damit Gesundheitsminister Lucha (beide Grüne) den Rücken. „Wir haben immer gesagt – je nach Entwicklung der Pandemie muss man bei bestimmten Berufsgruppen darüber nachdenken“, sagte eine Sprecherin des Staatsministeriums heute in Stuttgart.
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Rheinland-Pfalz hat „schnellstmöglich“ eine Impfpflicht für Beschäftigte in Gesundheitsberufen gefordert. Für diejenigen, die in Gesundheitsberufen in direktem Kontakt mit Patienten sowie Bewohnern von zum Beispiel Seniorenheimen arbeiteten, müsse schnellstmöglich eine Impfpflicht gegen das COVID-19-Virus eingeführt werden, heißt es in einer Mitteilung des Vorstands der KV. „Es kann nicht sein, dass die gefährdetsten Personengruppen durch nicht geschützte Beschäftigte einem zusätzlichen Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind.“
Auch in der Frage, ob die Coronapandemie nach dem 25. November noch als epidemische Notlage von nationaler Tragweite eingestuft werden sollte, ist bisher kein gemeinsamer Kurs von Bund und Ländern erkennbar. Bundesminister Spahn sprach sich jüngst wie die möglichen künftigen Regierungspartner SPD, Grüne und FDP dafür aus, die Einstufung als Rechtsgrundlage für weitgehende Coronaeinschränkungen nicht mehr zu verlängern. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte gestern dagegen, die vom Bund vorgeschlagene Ersatzlösung sei „eher eine Hilfskrücke“.
Die Gesundheitsministerkonferenz könnte nicht die einzige Bund-Länder-Runde bleiben, bei der über diese Fragen diskutiert wird. Spahn warb schon gestern dafür, Entscheidungen durch eine Ministerpräsidentenkonferenz auf eine möglichst breite Basis zu stellen. Söder trat ebenfalls dafür ein. Aus anderen Bundesländern kamen aber verhaltenere Reaktionen.
Der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Holetschek, kündigte überdies an, in Lindau die Situation der Pflege in den Mittelpunkt zu stellen. „Wir merken jetzt, dass die Pflege am Limit ist“, sagte er. Pflegekräfte verabschiedeten sich aus den Krankenhäusern, verkürzten ihre Arbeitszeiten, wanderten teilweise sogar zu Leiharbeitsfirmen ab. „Das darf uns nicht kaltlassen.“
Nach Monaten nahezu wöchentlicher Videokonferenzen verhandeln die Minister erstmals wieder in Präsenz. Die Beschlüsse sollen am Freitag bei einer Pressekonferenz verkündet werden. © bee/dpa/aerzteblatt.de

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