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Politik

Bundestag diskutiert über allgemeine Coronaimpfpflicht

Mittwoch, 26. Januar 2022

/picture alliance, Flashpic, Jens Krick

Berlin – Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben heute in einer dreistündigen Orientie­rungs­debatte über die mögliche Einführung einer Impfpflicht gegen das SARS-CoV-2-Virus diskutiert.

Dabei kristalli­sierten sich drei Meinungen heraus, für die sich die Abgeordneten über Parteigrenzen hin­weg ausspra­chen: die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren, die Einführung eines ver­pflichtenden Beratungsgesprächs und – wenn notwendig in einem zweiten Schritt – die Einführung einer Impf­pflicht ab 50 Jahren sowie die Beibehal­tung des Status quo ohne Impfpflicht.

Für diese drei Ideen hatten sich bereits im Vorfeld der Debatte Mitglieder unterschiedlicher Parteien aus­gesprochen. Konkrete Gesetzentwürfe liegen bislang jedoch noch nicht vor. Für die Einführung eines Be­ratungsgesprächs und eine mögliche folgende Impfpflicht ab 50 Jahren sprachen sich zum Beispiel die beiden Ärzte Andrew Ullmann (FDP) und Paula Piechotta (Die Grünen) aus.

„Unser Ziel muss die schnellstmögliche Rückkehr in den Normalzustand sein“, sagte Ullmann vor dem Parlament. „Dafür gibt es zwei Wege: die natürliche Durchseuchung der Gesellschaft und eine Immunisie­rung der Bevölkerung durch eine Impfung.“

Es schließe sich allerdings aus, das Virus gewähren zu lassen. Denn der Schaden wäre unabsehbar. „Also bleibt nur der Weg über die Impfung“, meinte Ullmann. „Dabei ist es wichtig, die Bürger mitzunehmen.“ Die Menschen zur Vernunft zu verpflichten, könne nur die Ultima Ratio sein.

„Vorher haben wir die Pflicht, die Argumente darzulegen“, betonte der FDP-Politiker. „Wir müssen alles versuchen, um die Impfskeptiker zu überzeugen. Dafür schlagen wir ein verpflichtendes Aufklärungsge­spräch vor.“ Denn es gebe viele Ungeimpfte, die noch überzeugt werden könnten und die ein Recht auf seriöse Informationen hätten.

„Sollten wir auf diesem Weg die notwendige Impfquote nicht erreichen, wäre ein weiterer Schritt eine Impfpflicht ab 50 Jahren“, sagte Ullmann. „Das ist ein angemessenes Mittel, um eine Überforderung un­seres Gesundheitssystems zu verhindern. Und es wäre ein milderer Eingriff als eine allgemeine Impf­pflicht. Gleichwohl wäre es ausreichend effektiv.

Sorge vor Radikalisierungen bei allgemeiner Impfpflicht

Für diesen Vorschlag sprach sich auch Paula Piechotta aus. Die Fachärztin für Radiologie aus Sachsen plädierte für eine Regelung, die für alle Bundesländer funktioniere. Und bei der praktischen Umsetzbar­keit einer allgemeinen Impfpflicht für alle Erwachsenen mache es einen Unterschied, ob es noch 40 Pro­zent Ungeimpfte in einem Bundesland gebe – wie es derzeit in Sachsen der Fall sei – oder 20 Prozent.

„Ich schlage vor, einen Mittelweg zu gehen: eine verpflichtende Impfung ab 50 Jahren, die auch eine ver­pflichtende Impfberatung beinhaltet“, sagte Piechotta. „Dadurch können wir auch versuchen, die gesell­schaftlichen Nebenwirkungen, die eine allgemeine Impfpflicht haben kann, zu minimieren.“ Denn nie­mand könne sagen, ob eine allgemeine Impfpflicht nicht auch zu Radikalisierungstendenzen führen könne.

Lauterbach: Umsetzung der Impfpflicht dauert fünf bis sechs Monate

Für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren sprachen sich unter anderem Karl Lauter­bach (SPD), Heike Baehrens (SPD), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) und Katrin Helling-Plahr (FDP) aus.

„Analysen des Robert-Koch-Instituts haben gezeigt, dass ungeimpfte Menschen auch durch die Omikron-Variante des Coronavirus bedroht sind“, sagte Bundesgesundheitsminister Lauterbach. Zudem gebe es keinen ihm bekannten Wissenschaftler, der sage, dass Omikron die letzte Variante sei, mit der die Welt zu rechnen habe. Wissenschaftler sorgten sich hingegen vor der Entstehung einer rekombinierten Virusva­riante, die so ansteckend sei wie Omikron und einen so schweren Verlauf habe wie Delta.

„Wenn wir eine Welle mit dieser rekombinierten Variante im kommenden Herbst sicher vermeiden wollen, ist die allgemeine Impfpflicht der einzige Weg“, betonte Lauterbach. „Und wir müssen jetzt damit beginnen, diesen Weg zu gehen. Denn für die Umsetzung der Impfpflicht brauchen wir mindestens fünf bis sechs Monate.“

Wenn Deutschland diesen Weg jetzt nicht gehe, könne das Virus im nächsten Herbst mit voller Stärke zu­rückkommen. „Das können wir den gefährdeten und belasteten Menschen – den Pflegenden, den Kinder und den Menschen mit Vorerkrankungen – nicht zumuten“, betonte Lauterbach. Zudem sprach er sich ge­gen Äußerungen aus, die Impfpflicht stehe der Freiheit im Weg. „Das Gegenteil ist der Fall“, sagte er. „Un­sere Freiheit gewinnen wir nur durch die Impfung zurück.“

SPD- und Grünen-Abgeordnete für allgemeine Impfpflicht

„Wir haben – bei aller Ungewissheit, wie es mit der Pandemie weitergehen wird – die Gewissheit, dass eine Impfung schützt“, sagte Heike Baehrens. „Alleine auf die Hoffnung zu setzen, dass die aktuelle Welle die letzte sein wird, ist keine gute Option.“ In der Vergangenheit sei Deutschland immer wieder nicht ausreichend vorbereitet gewesen.

„Einen dritten unkontrollierten Pandemieherbst darf es nicht geben“, betonte die SPD-Pflegeexpertin. „Deshalb plädiere ich für eine zeitlich und auf drei Impfdosen befristete Impfpflicht für alle Erwachse­nen“, bei denen Ausnahmen von der Pflicht in möglich seien, wenn Menschen nicht geimpft werden könnten. „Wir können vorsorgen und vor die nächste Welle kommen“, sagte Baehrens. „Dafür braucht es jetzt eine mutige Weichenstellung.“

„Uns alle eint der Wunsch, diese Pandemie zu überwinden“, sagte Kirsten Kappert-Gonther. „Impfen ist der Weg aus der Pandemie. Wir müssen die Überlastung des Gesundheitssystems vermeiden, damit alle Pa­tienten die medizinische und pflegerische Hilfe erhalten können, die sie benötigen. Dafür brauchen wir eine deutlich höhere Impfquote. Jetzt stehen wir in der Verantwortung, die bestehenden Impflücken zu schließen.“

„Ich halte deshalb die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht für alle Erwachsenen für richtig“, so Kappert-Gonther weiter. „Sich impfen lassen zu können, ist ein Privileg. Der Bundesverband der Organ­transplantierten unterstützt dieses Vorhaben. Auch sie sind auf unsere Solidarität angewiesen.“

Die Impfpflicht auf Menschen ab 50 Jahren zu begrenzen, hält sie für falsch. Denn auch Jüngere könnten schwere Verläufe haben. Und Long COVID sei auch bei ihnen ein zusätzliches Risiko. „Wenn wir das Signal setzen würden, dass vor allem eine Impfung für über 50-Jährige wichtig ist, birgt das die Gefahr, dass die Impfbereitschaft der Jüngeren abnimmt“, so die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie.

Helling-Plahr: Impfpflicht ist das mildere Mittel

Katrin Helling-Plahr von der FDP fragte in ihrer Rede: „Was ist die Alternative zur allgemeinen Impfp­flicht?“ Sie zitierte den Jura-Professor Hinnerk Wißmann von der Universität Münster mit den Worten, die Impfpflicht sei das mildere Mittel, als wenn der Staat den Lockdown in Endlosschleifen verordne.

„Ich möchte nicht, dass unsere Kinder jeden Winter bangen müssen, ob sie in die Schule gehen dürfen“, sagte Helling-Plahr. „Ich möchte nicht, dass meine Generation sich immer Sorgen machen muss um ihre Eltern und um ihre wirtschaftliche Existenz. Ich möchte nicht, dass Krebskranke auf eine notwendige Behandlung warten müssen.“ Und auch diese Einschränkungen seien ein Eingriff in das Grundrecht.

„Wir müssen COVID-19 zu einer handhabbaren Erkrankung machen, die unsere Gesellschaft nicht mehr zum Stillstand bringt“, forderte die FDP-Politikern. Eine altersbezogene Impfpflicht lehnte sie ab, da man mit ihr sehenden Auges in Abgrenzungsschwierigkeiten laufe. „Denn was ist mit dem 40-jährigen Typ-2-Diabetiker, der möglicherweise ein höheres Risiko hat, schwer zu erkranken, als ein rüstiger Rentner?“, fragte sie.

Kubicki: Impfpflicht würde Ungeimpfte stigmatisieren

Gegen die Einführung einer Impfpflicht sprachen sich unter anderem Wolfgang Kubicki (FDP), Gregor Gysi (Die Linke) und Tino Chrupalla (AfD) aus. „Ich habe mich bewusst für eine Impfung und eine Booste­rung entschieden, weil ich der Überzeugung bin, dass ich dadurch einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung verhindern kann“, sagte Kubicki. „Für mich war das ein befreiendes Gefühl. Ich bin dank­bar, in einem Gemeinwesen zu leben, in dem es möglich ist, eine solche freie Entscheidung treffen zu können.“

Die Gründe, sich nicht impfen lassen zu wollen, könnten vielfältig sein, meinte er. Man müsse respektie­ren, dass es Bedenken gegen eine Impfung gebe. „Bei einer Impfpflicht würden Menschen stigmatisiert, die sich nicht impfen lassen wollen“, sagte Kubicki. „Ich möchte nicht, dass die Mehrheit entscheidet, was für die Minderheit vernünftig ist.“

Linke und AfD sind gegen eine Impfpflicht

Auch Gysi sprach sich gegen eine allgemeine Impfpflicht aus. „Denn wie viele Gesundheitsämter bräuch­te man, um eine allgemeine Impfpflicht bei derzeit elf Millionen ungeimpften Erwachsenen durchzuset­zen?“, fragte er. „Und eine Pflicht ohne Sanktionen ist keine Pflicht.“

Würden am Ende Geldbußen gegen Ungeimpfte verhängt, könne es dazu kommen, dass diese sie nicht begleichen könnten. „Wer nicht zahlt oder zahlen kann, dem droht eine Gefängnisstrafe“, so Gysi. „Es ist aber undenkbar, Ungeimpfte einzusperren, weil sie nicht geimpft sind. Das hält unsere Gesellschaft nicht aus.“

Gegen eine Impfpflicht sprach sich auch Tino Chrupalla (AfD) aus. „Wir lehnen sowohl eine Impfpflicht für einzelne Berufsgruppen als auch eine allgemeine Impfpflicht vollständig ab“, sagte er.

Abgeordnete der Unionsfraktion brachten bisher keine eigenen Vorschläge zu dem Thema ein. Sie kriti­sierten die Regierungsparteien dafür, dass diese im Vorfeld der Orientierungsdebatte keinen Gesetzent­wurf zur Impfpflicht vorgelegt hatten.

„Sie haben die Mehrheit im Bundestag. Sie haben die Verantwortung“, sagte Nina Warken (CDU). Sie for­derte die Regierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der regele, wann eine Impfpflicht komme, wie Verstöße gegen sie geahndet würden und wie die Impfungen mithilfe eines Impfregisters nachvollzogen werden könnten.

Auch Andrea Lindholz (CDU) kritisierte, dass die Bundesregierung keinen eigenen Gesetzentwurf im Vor­feld der Debatte vorgelegt habe. Heute über verschiedene Herangehensweisen zu diskutieren, führe zu Verunsicherung und zeichne ein Bild der Planlosigkeit. Die Bundesregierung sei in der Pflicht, praktikable Vorschläge vorzulegen und zentrale Fragen zu beantworten. Auch Lindholz sprach sich für die Einfüh­rung eines Impfregisters aus, das über den Impfstatus Auskunft gebe. © fos/aerzteblatt.de

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