Politik
Notfallversorgung: Ampel nimmt Vertragsärzte und MVZ aus dem Ring
Donnerstag, 25. Mai 2023
Berlin – Patienten, die in die Notaufnahme eines Krankenhauses kommen und kein Notfall sind, sollen künftig nicht mehr an Vertragsärzte und medizinische Versorgungszentren (MVZ) verwiesen werden dürfen. Das sieht ein Änderungsantrag der Ampelkoalition vor, der kurzfristig an das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) gehängt worden ist. Das Papier liegt dem Deutschen Ärzteblatt vor.
SPD, Grünen und FDP begründen den Vorstoß mit Vorschlägen der Regierungskommission Krankenhaus. Diese empfehle insbesondere eine Steuerung von solchen Patienten über die künftig weiterentwickelten gemeinsamen Leitstellen an den Kliniken.
Bürger, die vor Ort in einem Krankenhaus Hilfe suchen, sollen den Plänen nach an einem dortigen gemeinsamen Tresen in Integrierten Notfallzentren (INZ) erfolgen, um eine interne Steuerung in die Notaufnahme des Krankenhauses oder die angegliederte Notdienstpraxis, in der Regel von der Kassenärztlichen Vereinigung organisiert oder betrieben werden – zu ermöglichen.
Damit solle eine Inanspruchnahme der Notaufnahmen und eine Weiterleitung der Hilfesuchenden von dort in die Vertragsarztpraxen möglichst vermieden werden, heißt es in der Begründung des Antrags. Der Aufwand solle dadurch sowohl für die Bürger als auch für das Personal im Gesundheitswesen verringert werden.
Vor diesem Hintergrund sei eine Verweisung an die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden
Ärzte sowie medizinische Versorgungszentren „nicht mehr sachgerecht“, schreiben SPD, Grüne und FDP. In den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) solle daher eine solche Verweisung „nicht mehr vorgegeben werden“. Im Ergebnis sei im ambulanten Bereich nur noch eine Weiterleitung oder Verweisung an Notdienstpraxen in oder an dem jeweiligen Krankenhaus möglich, heißt es weiter.
Bislang sah die Reform der Notfallversorgung eine Intensivierung der Patientensteuerung vor: nach einer qualifizierten Ersteinschätzung sollten Patienten je nach Schwere und Dringlichkeit ihrer Erkrankung in die Versorgungsebenen vermittelt werden: Vertragsarztpraxen, integrierte Notfallzentren oder stationäre Notaufnahmen. Eine Richtlinie für dieses Ersteinschätzungsverfahren hat der damit beauftragte G-BA bereits erarbeitet und steht kurz vor der Beschlussfassung. Diese müsste dann erneut überarbeitet werden.
Kritik von Haus- und Fachärzten
Erhebliche Kritik kommt von Haus- und Fachärzten gleichermaßen. „Während Bund und Länder noch über die Eckpunkte einer Krankenhausreform verhandeln, schafft die Bundesregierung klammheimlich Fakten“, sagte Markus Beier, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes.
Was „in einer Nacht-und-Nebel-Aktion“ mittels eines Änderungsantrags zum Pflegegesetz beschlossen werden solle, werde dazu führen, dass noch mehr Fälle als bisher im und am Krankenhaus versorgt werden müssten – selbst, wenn es sich gar nicht um einen Notfall handele. „Die Bundesregierung führt damit ihre eigenen Pläne für eine gemeinsame Notdienstreform mit den Ländern ad absurdum“, sagte Beier.
„Was die Politik hier im Vorbeigehen beschließt, wird schwerwiegende Auswirkungen auf die hausärztliche Versorgung haben“, erklärte auch Nicola Buhlinger-Göpfarth, erste stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes. Wenn zukünftig jeder Fall, der im Krankenhaus aufschlage, ob dringlich oder nicht, in den Notdienstpraxen behandelt werden müsse, dann müssten diese massiv Personal aufbauen.
„Wo sollen die Kolleginnen und Kollegen, die ohnehin schon Mangelware sind, herkommen?“, fragte sie. Hausärzte, die in einer Notdienstpraxis arbeiteten, könnten nicht gleichzeitig Patienten in der Praxis versorgen. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung habe bereits ausgerechnet, dass das nur funktionieren könne, wenn massenhaft Praxen dicht machten. „Hier wird ein Ausbluten der ambulanten Strukturen billigend in Kauf genommen, um unsinnige Doppelstrukturen aufzubauen.“
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Deutliche Kritik übte Buhlinger-Göpfarth an dem gesetzgeberischen Verfahren: „Die Politik sollte sich langsam wirklich einmal überlegen, ob das die Art und Weise ist, wie wichtige gesetzgeberische Entscheidungen zu Stande kommen sollten“, bemängelte sie.
Buhlinger-Göpfarth bezeichnete es als „verantwortungslos“ zwei Tage vor der entscheidenden Sitzung im Bundestag über einen Änderungsantrag zu einem ganz anderen Gesetz so etwas durchdrücken zu wollen.
Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (Spifa) kritisiert ebenfalls, dass solche Pläne „durch die Hintertür“ beschlossen werden sollen. „Mit dieser Änderung wird das gesamte Ersteinschätzungsverfahren ad absurdum geführt“, sagte Spifa-Vorstandsvorsitzender Dirk Heinrich.
Wenn eine Patientin oder ein Patient mitten am Tag in einer Notaufnahme aufschlage, seien logischerweise alle Bereitschaftsdienstpraxen noch geschlossen. „Da man aber theoretisch nur an diese weiterleiten dürfe, nicht aber an eine ,normale‘ zu diesen Uhrzeiten regulär geöffnete Vertragsarztpraxis, soll den Krankenhäusern nun erlaubt werden, selber zu behandeln“, so Heinrich. Damit sei die gesamte Systematik und das Versorgungsziel außer Kraft gesetzt.
Der Spifa bemängelt in diesem Zusammenhang erneut die Übergriffigkeit der Gesundheitspolitik in den Kompetenzbereich der Selbstverwaltung. Darüber hinaus bekräftigt er die Forderung nach einem absoluten Aufnahmeverbot von Patienten für Krankenhäuser ohne integrierte Notfallzentren. Dieser Aspekt fand in der Empfehlung.
Die Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin zeigte sich ebenso empört. „Der Gesetzgeber setzt seinen Kurs fort, das ambulante System weiter zu schädigen und gegen die Wand zu fahren“, hieß es vom Vorstand. Das Vorhaben komme „einem Affront“ gleich. Die KV sprach vom nächsten Beleg für die Missachtung der ambulanten Versorgungsstrukturen.
Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, verteidigte die Initiative. „An vielen Klinikstandorten in Deutschland bestehen bereits KV-Notdienst- beziehungsweise Bereitschaftspraxen“, sagte er.
In einem ersten Schritt gehe es jetzt darum eine Richtlinie für die Ersteinschätzung in den Kliniken einzuführen, um Patienten sicher und zuverlässig aus Notaufnahmen in Notdienstpraxen weiterzuleiten. „In Abhängigkeit von den Öffnungszeiten wird zukünftig dann dort, statt in der Notaufnahme, die ambulante Notdienstversorgung durch die KV erfolgen.“ © may/mis/aerzteblatt.de

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