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Politik

Arzneimittel­engpässe: Kritik an geplanten Maßnahmen

Freitag, 2. Juni 2023

medikamente-arzneimittel-tabletten_fovito-stockadobecom

Berlin – Der GKV-Spitzenverband bezweifelt, dass die im Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Ver­sorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) geplanten Maßnahmen wirklich die erhoffte Wirkung entfalten. Der Frankfurter Gesundheitsökonom Afschin Gandjour stützt diese Auffassung mit aktuellen Berechnungen.

Der Entwurf des ALBVVG sieht im Wesentlichen zwei Arten von Maßnahmen vor: die Lockerung verschiedener Preisregelungen bei unterschiedlichen Arzneimittelarten sowie neue Vorgaben zur Lagerhaltung. So sollen pharmazeutische Unternehmer zu einer dreimonatigen Lagerhaltung verpflichtet werden.

Von höheren Preisen ist aus Sicht der Kassen jedoch kein großer Effekt zu erwarten: Von der Pharmaindustrie kritisierte Instrumente zur Preissenkung wie Festbeträge oder Rabattverträge würden nämlich keine Liefer­engpässe verursachen, betonte gestern Uwe Klemens, Verwaltungsratsvorsitzender des GKV-Spitzenverban­des.

Das erkenne man schon daran, dass die meisten EU-Länder ebenfalls von entsprechenden Situationen be­troffen seien, obwohl sie nicht mit diesen Preisregulierungsinstrumenten arbeiteten. Die Problematik von Arzneimittelengpässen stelle „keine Symptomatik des deutschen Systems“ dar, erklärte er.

Dass beispielsweise bei den etwa 36.000 Arzneimitteln, die Festbetragsregelungen unterliegen, die Preise zum großen Teil unter dem Festbetragsniveau liegen, zeige, dass auch mit Festbeträgen wirtschaftliches Handeln möglich sei. Selbiges gelte für Rabattverträge.

Letztere böten durchaus Vorteile für die Pharmaindustrie, wie Stefanie Stoff-Ahnis, Vorständin beim GKV-Spit­zenverband, ausführte. So ermöglichten die Verträge beispielsweise Planbarkeit bezüglich der Absatzmengen. Laut GKV-Spitzenverband sind Rabattarzneimittel zudem nur halb so oft von Lieferengpässen betroffen wie rabattfreie Arzneimittel.

Höhere Preise allein würden laut Klemens die komplexen Ursachen für Engpässe nicht beheben. Das geplante ALBVVG greife diesbezüglich zu kurz. Notwendig sei unter anderem eine echte Diversifizierung von Liefer­ket­ten. Eine Förderung europäischer Produktionsstandorte stelle allerdings eine wirtschaftspolitische Maßnah­me dar, welche nicht mit GKV-Geldern erfolgen dürfe.

Die bislang vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) vorgesehenen Maßnahmen zu Bevorratungspflichten und einem Ausbau der Transparenz seien grundsätzlich zu begrüßen, müssten aber aus Sicht der GKV deutlich erweitert werden.

Klemens betonte, eine Bevorratung von Arzneimitteln solle auf allen Stufen der Versorgung erfolgen – also bei Pharmaunternehmen, Großhandel und Apotheken. So könnten temporäre Lieferprobleme überbrückt wer­den. Eine bessere Informationslage bezüglich von Engpässen lasse sich durch die Entwicklung eines entspre­chenden Früherkennungssystems schaffen.

Denkbar wäre, so der Vorschlag des GKV-Spitzenverbandes, das etablierte Securpharmsystem, dieses dient derzeit zur Überprüfung der Echtheit von Arzneimitteln, in diese Richtung weiter zu entwickeln.

Just am selben Tag stellte der Gesundheitsökonom Afschin Gandjour von der Frankfurt School of Finance and Management aktuelle Berechnungen vor, die die Auffassung des GKV-Spitzenverbands stützen. „Eigentlich handelt es sich um ein Bevorratungsgesetz“, erklärte er. Die längeren Lagerhaltungsregeln seien der eigent­liche Kern des Vorhabens.

Gandjour hat die Statistiken zu den Engpässen der vergangenen Jahre analysiert und mit den geplanten Maß­nahmen abgeglichen: Demnach hatten von 2017 bis 2022 im Schnitt 48 Prozent aller Arzneimittelliefereng­pässe eine Dauer von 91 Tagen oder weniger. In der Gruppe der Krebsarzneimittel, in der Nichtverfügbarkei­ten besonders schwerwiegend sind, waren es 38 Prozent.

Der Gesetzentwurf sieht vor, pharmazeutische Unternehmer zu einer dreimonatigen Lagerhaltung von ra­battierten Arzneimitteln zu verpflichten, was laut Gandjour rund 75 Prozent der generikafähigen Medika­mente betrifft.

Seinen Berechnungen zufolge würde die geplante Lagerpflicht über alle Medikamentengruppen hinweg nur ungefähr 40 bis 50 Prozent der Lieferengpässe verhindern, bei Krebsmedikamenten sogar nur 30 bis 40 Pro­zent.

Sein Vorschlag: Eine Verlängerung der Bevorratungsdauer auf vier Monate könnte auf kosteneffektive Weise zusätzlich weitere zehn bis 20 Prozent an Lieferengpässen verhindern. Bei Krebsmedikamenten schlägt er sechs Monate vor. Das könne in diesem Bereich rund 60 Prozent der Engpässe verhindern. © aha/lau/aerzteblatt.de

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