Wie motiviert man Patientinnen und Patienten, ihre Daten zu teilen?
Gesundheitsdaten werden benötigt, um Patientinnen und Patienten zukünftig noch besser helfen zu können und um bessere Voraussetzung für die Forschung zu schaffen. In diesem Beitrag berichtet Birgit Bauer, Projektleiterin und Gründerin Data Saves Lives Deutschland, über die Top Diskussionsthemen und Denkanstöße beim Data Saves Lives "Brain Date" während des ECTRIMS-Kongresses 2023.

Die Brain Dates sind ein Format, das es den Teilnehmenden ermöglicht, Themen und Fragen in kleinem Rahmen in Gruppen von ca. 6 Personen zu diskutieren. Sie dauern in der Regel 45 Minuten und können sehr inspirierend oder kontrovers sein. Bereits im vergangenen Jahr habe ich dazu Erfahrungen gemacht und fand die Idee spannend. Daher habe ich mich mit Data Saves Lives Deutschland in Mailand für ein Brain Date beworben und meinen Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Frage gestellt: Wie können wir Menschen mit MS motivieren, ihre Daten zu teilen und was ist dazu nötig?
Wir haben unser Brain Date bekommen und als die Nachricht kam, dass das Thema und die Fragestellung die 6 Plätze bereits nach kurzer Zeit gefüllt hatten, war klar: das Thema scheint relevant zu sein. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen unter anderem aus Italien, Brasilien, Deutschland, sowie aus verschiedenen Disziplinen wie zum Beispiel der Psychologie, Neurologie, Datenanalyse, Entwicklung, Patient Expert.
Die Top-Themen der Diskussion
Vertrauen – das Vertrauen in die handelnden Personen ist in vielen Ländern noch ausbaufähig. Eine Ausnahme stellt Skandinavien dar. Ob anderswo ein kulturelles Problem zugrunde liegt oder schlicht mehr Wissen geschaffen werden muss, war an dieser Stelle nicht klar herauszuarbeiten.
Rahmenwerke – viele Gesetze und/oder Rahmenwerke sind zu kompliziert und unverständlich. Expertinnen und Experten können Innovationen oft nicht stattfinden lassen, da ihnen Gesetze aufgrund einer veralteten Formulierung den nächsten Schritt nicht erlauben – in diesem Zusammenhang kam der Wunsch nach einer Aktualisierung der Gesetze auf. Besonders in Sachen Verständlichkeit von Gesetzestexten sah die Gruppe Bedarf für Patientinnen und Patienten sowie Bürgerinnen und Bürger.
Transparenz: Wer nutzt und erhebt welche Daten, was ist das Ziel dieser Erhebung und wo findet die Analyse statt? An dieser Stelle wird auch ein Unterschied zwischen kommerzieller Nutzung und akademischer Forschung deutlich. Das bestätigten alle Beteiligten, von denen viele aus der Erfahrung ihrer Arbeit berichten konnten.
Einbeziehung – die Runde war sich einig, dass es wichtig ist, alle Stakeholder einzubinden, also auch Patientinnen und Patienten sowie Bürgerinnen und Bürger. So könne man sicherstellen, dass alle Stimmen gehört und alle Anliegen berücksichtigt werden.
Apropos Kompetenz – es ist nötig, über das Teilen von Gesundheitsdaten zu kommunizieren und zu informieren: „Die Menschen müssen verstehen, warum sie das tun und wofür!“ Denn „Wie sollen sich Menschen dafür entscheiden, ihre Gesundheitsdaten zu teilen, wenn sie nicht genau wissen, was sie da tun?“ Oder zusammengefasst: Solange Patientinnen und Patienten und Bürgerinnen und Bürger nur ein rudimentäres Wissen zum Thema Teilen von Gesundheitsdaten haben, werden sie eher ablehnen als zustimmen.
Denkanstöße zur Weiterentwicklung
Ist Altruismus die Lösung? Oder braucht es Incentives, die zusätzliche Motivation bieten? Hier kamen die Teilnehmenden zu einer Übereinstimmung: Wir müssen etwas zurückgeben. Wie mögliche Incentives aussehen können, blieb offen. Eine klare Forderung in diesem Punkt war allerdings: Die Ergebnisse, die sich aus den Analysen ergeben, müssen veröffentlicht werden, unabhängig vom Ergebnis. Nicht in aller Ausführlichkeit, jedoch verständlich und einfach zugänglich. Das, so eine der Teilnehmerinnen, könnte den Effekt haben, dass man vertrauenswürdige Ressourcen schafft, die „Dr. Google“ und seine für Patientinnen und Patienten oft beängstigenden Ergebnisse ein wenig an den Rand drängen.
Wir müssen den Menschen erklären, welche Vorteile die Datenspende ihnen bieten kann. Je mehr wir erklären, was mit den Daten passiert und je besser die Argumente, was die einzelnen Personen an Vorteilen kurz- wie langfristig haben können, desto besser.
Gutes Basiswissen schaffen und verteilen! Hier wurden Data Saves Lives Europa und Deutschland als gute Beispiele genannt, wie man Informationen so einfach und verständlich wie möglich in die Patient Communities transportieren kann. Nicht in allen Ländern findet das statt und daher fanden die Teilnehmenden die Initiative mehr als begrüßenswert, zumal, so wurde es betont, die Patient:innenorganisationen ohnehin genug zu tun haben, die neuesten Erkenntnisse aus der Forschung zu erläutern. Ebenso lobten die Teilnehmenden das Engagement der Regierung bei DSL DE.
Der Partner, mit dem man die Daten teilt, muss vertrauenswürdig sein. Ein Teilnehmer brachte es auf den Punkt: Mit Apple teilen die Menschen ihre Daten. Hier geht es Tech vs. System und vielen ist es nicht bewusst, was mit den Daten passiert. Hier gilt es dafür zu sorgen, dass das Teilen von Gesundheitsdaten sicher geschieht und dass diese Daten auch in die Gesundheitssysteme gelangen können.
Bedienfreundlichkeit von Tools: Eine Barriere für einige Menschen, besonders ältere Menschen oder Menschen mit einem schwachen Bildungshintergrund, ist die Eingabe von Daten. Viele Patientinnen und Patienten nutzen Apps etc., die es ihnen einfach machen, ihre Daten zu sammeln, erhalten sie aber Zugang zu PRO Tools etc., kann es kompliziert werden, so eine Aussage. Sobald sich mehrere Fragen auftun, brechen viele ab, sodass Daten verloren gehen.
Vieles von dem, was besprochen wurde, ist bereits bekannt. Allerdings zeigte die Diskussion auch, wie oft wir in verschiedenen Ländern sehr ähnliche Fragen oder Gedanken besprechen und wie unterschiedlich wir damit umgehen bzw. welche Unterschiede es beim Zeitrahmen gibt: Während die einen noch eine erneute Diskussion starten, beginnen andere bereits damit, in die Umsetzung zu gehen.
Während an der einen oder anderen Stelle eine Fehlerkultur absolut erlaubt und manchmal sogar erwünscht ist, strebt man an der anderen Stelle nach Perfektion und braucht mehr Zeit. Welche Strategie nun die beste ist, wird sich über die Zeit zeigen.
Fazit
Es ist spannend, die verschiedenen Betrachtungsweisen in einer Diskussion zusammen zu bringen und mein ganz eigenes Learning aus dieser Diskussion ist:
Wir brauchen Gesundheitsdaten. Für die Bevölkerung, die Forschung und die Schaffung einer Ländergemeinschaft, die sich gegenseitig hilft. Das ist nicht immer einfach, doch der Aufwand lohnt sich. Der Umgang mit Gesundheitsdaten ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Fragestellung, denn sie betreffen alle Bürgerinnen und Bürger. Es ist nicht die Angelegenheit einer bestimmten Gruppe, es betrifft uns alle. Allerdings müssen wir auch dafür sorgen, dass „alle“ informiert sind und in der Lage sein werden, aktiv mit ihren eigenen Gesundheitsdaten umzugehen und sie entsprechend zu teilen – damit Gesundheitssysteme effizient behandeln und vorbeugend agieren können und dabei bezahlbar bleiben. Aber darüber reden müssen wir, weil es ohne Kommunikation nicht funktionieren wird.
