Angst vor bakterieller Bedrohung: Europa diskutiert die personalisierte Phagentherapie
In der Therapie schwerer bakterieller Infektionen nimmt das Spektrum hochwirksamer Antibiotika immer weiter ab, die Zahl multiresistenter Keime steigt. Da wundert es kaum, dass intensiv nach Substanzen gesucht wird, die resistente Keime in die Schranken weisen. Eine spannende Alternative sind, neben monoklonalen Antikörpern, auch lytische Bakteriophagen. Obwohl inzwischen in zahlreichen Studien untersucht, sind noch immer viele Fragen rund um die Phagen offen. Auch auf der Jahrestagung 2025 der Deutschen Gesellschaft der Infektiologie (DGI) und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) in München wurde über aktuelle Aspekte und Probleme der Phagentherapie diskutiert, und das durchaus kontrovers.

Bakteriophagen sind simpel aufgebaut: Erbmaterial unter einer Proteinhülle. Doch „Phagen“ wie sie verkürzt genannt werden, gehören zu den besonders ausgeklügelten Playern in der Infektiologie. Sie mobilisieren ihre antibakteriellen Kräfte nicht gegen jeden Erreger, sondern richten sie hochspezifisch gegen genau definierte Bakterienarten, erläuterte Dr. Annika Claßen, DZIF. Die Phagen wirken also sehr spezifisch gegen wenige Bakterienarten. Dieses Prinzip hat die Forschung auf den Plan gerufen. Auch das Helmholtz-Institut für Infektionsforschung Braunschweig beschäftigt sich intensiv mit Phagen und den dazugehörigen Fragestellungen etwa zur komplexen Interaktion zwischen Phagen und Wirt oder auch Phagen und Antibiotika.
Biomedizinische Datenbasis für die Phagentherapie
Der Einsatz von Phagen in der Therapie bakterieller Infekte – als Monotherapie oder Add on – ist keine neue Errungenschaft. Die Idee verbreitete sich bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa, trat aber mit der Entwicklung von Antibiotika im Westen zunehmend in den Hintergrund. In den vergangenen zehn Jahren wurden sie nun auch in Deutschland wiederentdeckt und kommen vorwiegend bei multiresistenten Bakterien zum Einsatz. Doch es gibt durchaus Vorbehalte: So fehlen eine standardisierte Diagnostik oder gar Therapieregimes ebenso wie klinische Studien mit der geforderten hohen Qualität: In Deutschland sind deshalb Bakteriophagen derzeit nicht zugelassen. Schon allein die Möglichkeiten der Applikation sind limitiert. Wichtig für den weiteren Einsatz aber wären sichere, individualisierte Applikationsmöglichkeiten sowie valide präklinische Daten.
Hier hat die Forschung nun Fahrt aufgenommen. Nach Einschätzung von Claßen „schreitet die personalisierte Phagentherapie in der EU voran“. Phagenzubereitungen sind Rezepturarnzeimittel, speziell auf die beteiligten Bakterien zugeschnitten. Definiert wird sie als Behandlung von Bakteriophagen bei krankheitsverursachenden bakteriellen Infektionen, insbesondere von antibiotikaresistenten Bakterienstämmen. Das Thema wird nicht nur in Deutschland diskutiert. Im vergangenen Jahr befassten sich sowohl das britische Parlament, das europäische Parlament und die EMA damit, wenig später legte Portugal den Fokus auf den Einsatz von magistralen Zubereitungen, also Einzelanfertigungen von Arzneimitteln auf Grund einer ärztlichen Verschreibung, oder auch als individuelles Heilkonzept. Last but not least führte auch das Europäische Parlament eine ausführliche Debatte zur Phagentherapie.
Niederschlag fanden die Diskussionspunkte unter anderem im Europäischen Arzneibuch. Am 10. April 2024 kam es zu einer Vorabveröffentlichung des allgemeinen Kapitels „Phage therapy medicinal products (5.31)", in der Europäischen Pharmacopoe, das unter aktiver Beteiligung von BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) und dem Paul-Ehrlich-Institut entstand. Die Publikation ist ein Meilenstein. Zum ersten Mal werden europaweit harmonisierte Qualitätskriterien für Bakteriophagen-Arzneimittel definiert.
Behördliche Hürden
In Deutschland sind es vor allem die behördlichen Hürden und die fehlende Zulassung, die der Phagentherapie einen Riegel vorschieben. Sie wird nur in Einzelfällen und meist als ärztliche Einzelherstellung eingesetzt. Das Prozedere ist komplex: Ärzte wählen die Phagen aus einer speziellen Phagendatenbank aus, die auf das diagnostizierte Bakterium und die jeweiligen Patienteneigenschaften abgestimmt sind. Für diese Anwendung ist keine Zulassung erforderlich. Für den medizinischen Einsatz von Phagen erarbeiten Experten derzeit unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie eine AWMF-S2k-Leitlinie.
Erlaubt: Named patient-Zubereitungen
Die Therapie selbst ist in Deutschland aufgrund der generellen ärztlichen Therapiefreiheit nicht zulassungspflichtig. Ärztinnen und Ärzte sowie Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker dürfen daher speziell für die Patientinnen und Patienten hergestellte, sogenannte Named patient-Zubereitungen verordnen. Bakteriophagen sind zudem nicht humanpathogen, sondern greifen nur das für sie spezifische Bakterium an. Noch unklar ist der Einfluss von Phagen auf das humane Mikrobiom, mögliche Interaktionen mit Antibiotika und die Immunantwort auf applizierte Phagen. Auch das Helmholtz-Institut für Infektionsforschung in Braunschweig beschäftigt sich intensiv mit Phagen und den dazugehörigen Fragestellungen etwa zur komplexen Interaktion zwischen Phagen und Wirt oder auch zwischen Phagen und Antibiotika sowie die Bedeutung genetisch modifizierter Phagen.
Quelle: Jahrestagung 2025 der Deutschen Gesellschaft der Infektiologie (DGI) und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF)