Influenza hinterlässt Spuren – erhöhte Pneumokokkengefahr nach Virusinfektion
Nach einer überstandenen Influenza bleibt die Lunge immunologisch verändert. Eine anhaltende epigenetische Prägung der Alveolarepithelzellen erhöht die Empfänglichkeit für bestimmte Pneumokokken-Serotypen – mit potenziell schwerem klinischem Verlauf. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsteam des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Zusammenarbeit mit der Universitätsmedizin Magdeburg (UMMD) unter Leitung von Prof. Dr. med. Dunja Bruder.

Langfristige Veränderungen im Lungenepithel
Nach einer Influenza-A-Infektion bleiben Alveolarepithelzellen vom Typ II (AECII) dauerhaft verändert. Diese Zellen, die normalerweise für Surfactant-Produktion, Geweberegeneration und lokale Immunabwehr verantwortlich sind, zeigen nach der Viruselimination eine persistente epigenetische Prägung. Dadurch wird ihre Reaktionsfähigkeit auf bakterielle Erreger – insbesondere bestimmte Pneumokokken-Serotypen – verändert. Die Folge ist eine überschießende Interferon-vermittelte Immunantwort, die einerseits die Erregerabwehr verstärkt, andererseits aber die Regeneration des Lungengewebes hemmt.
Hintergrund: Sekundärinfektionen nach Influenza
Sekundäre bakterielle Pneumonien, insbesondere durch Pneumokokken, zählen zu den schwerwiegenden Komplikationen einer Influenza. Klinisch manifestieren sie sich häufig mit rasch progredientem Verlauf und hoher Mortalität. Die AECII spielen dabei eine zentrale Rolle: Sie sind primäre Zielzellen der Virusreplikation und zugleich aktive Regulatoren der lokalen Immunabwehr. Auch nachdem das Virus beseitigt ist, bleiben sie in einem „alarmierten“ Zustand. Diese persistente Veränderung könnte erklären, warum bestimmte Pneumokokken-Serotypen nach einer Influenza besonders aggressive Krankheitsverläufe auslösen.
Experimenteller Ansatz: Wie Influenza die Lunge prägt
Ein Forschungsteam des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und der Universitätsmedizin Magdeburg (UMMD) untersuchte dieses Phänomen in einem Mausmodell. Die Tiere wurden zunächst mit Influenza-A infiziert und anschließend verschiedenen Pneumokokken-Serotypen ausgesetzt. Diese Serotypen unterschieden sich in ihrer Kapselstruktur und damit in ihrem Invasionspotenzial, also ihrer Fähigkeit, über die Atemwege in tiefere Lungenabschnitte einzudringen und schwere Infektionen zu verursachen. In der Studie galt dabei Serotyp 4 als besonders invasiv, 7F als mäßig invasiv und 19F als weniger aggressiv (Reihenfolge: 4 > 7F > 19F).
Im weiteren Verlauf analysierten die Forschenden, wie sich die zuvor virusgeschädigte Lunge gegenüber diesen Bakterien verhielt. Untersucht wurden:
die Bakterienlast in der Lunge,
die Art und Intensität der Entzündungsreaktion,
die Genaktivität und Proteinproduktion in den Alveolarepithelzellen Typ II (AECII),
epigenetische Veränderungen der Zellen (mittels ATAC-Sequenzierung) sowie
Zusammenhänge zwischen aktivierten Genen, dargestellt in einem sogenannten Genexpressionsnetzwerk, das aufzeigt, welche Gene gemeinsam reagieren und bestimmte Immunantworten koordinieren.
Persistente Prägung und serotypspezifische Reaktion
Die Untersuchungen zeigten deutliche serotypspezifische Unterschiede in der postviralen Lungenreaktion:
Erhöhte Anfälligkeit für invasive Serotypen: Nach Influenza waren die Mäuse besonders empfänglich für Serotypen 4 und 7F, während 19F schneller eliminiert wurde.
Verstärkte Interferonantwort: Serotyp 7F induzierte eine ausgeprägte Interferon-vermittelte Entzündungsreaktion.
Epigenetische Reprogrammierung: Auch zwei Wochen nach Viruselimination wiesen AECII Veränderungen in der Chromatinstruktur auf, die eine rasche Aktivierung interferonassoziierter Gene ermöglichten.
Gestörte Regeneration: Die durch Interferonsignale anhaltend aktivierten AECII zeigten eine eingeschränkte Proliferation und verzögerte Wiederherstellung des Alveolarepithels.
Die Pneumokokken-Kapselzusammensetzung beeinflusste dabei wesentlich, wie stark die Lungenzellen reagierten. Dies deutet darauf hin, dass die Veränderungen durch das vorherige Virus und die Eigenschaften der Bakterien gemeinsam den Schweregrad der Infektion bestimmen.
Bedeutung für Klinik und Praxis
Die Erkenntnisse verdeutlichen, dass die Lunge nach überstandener Influenza nicht unmittelbar in ihren Ausgangszustand zurückkehrt. Stattdessen bleibt sie epigenetisch „vorbereitet“ auf eine verstärkte Immunantwort – mit der Kehrseite einer erhöhten Anfälligkeit und verzögerten Regeneration bei bakterieller Superinfektion. Für die ärztliche Praxis bedeutet dies, dass auch nach klinischer Rekonvaleszenz weiterhin ein erhöhtes Risiko für Infektionen mit invasiven Pneumokokken-Serotypen besteht. Dabei ist zu beachten, dass nicht alle Serotypen gleich reagieren: Bestimmte Typen können nach einer Influenza besonders schwere Krankheitsverläufe auslösen. Vor diesem Hintergrund kommt der Prävention eine zentrale Bedeutung zu: Eine konsequente Influenza- und Pneumokokkenimpfung ist insbesondere für ältere oder multimorbide Patientinnen und Patienten essenziell. Darüber hinaus sollten Symptome einer bakteriellen Pneumonie nach Influenza frühzeitig erkannt, diagnostisch konsequent abgeklärt und bei Bedarf zügig antibiotisch behandelt werden, um Komplikationen zu vermeiden.
Quelle (Originalpublikation): Boehme JD et al.: Epigenetic changes and serotype-specific responses of alveolar type II epithelial cells to Streptococcus pneumoniae in resolving influenza A virus infection. Cell Commun Signal 2025; 23(1):278; https://doi.org/10.1186/s12964-025-02284-y