Klimawandel treibt Infektionen: Neue Herausforderungen für den ärztlichen Alltag
Der Lancet-Countdown-Bericht 2025 zeigt, dass steigende Temperaturen und veränderte Niederschlagsmuster die Ausbreitung klimatisch modulierbarer Infektionen begünstigen. Damit wird der Klimawandel zu einem zentralen Treiber für die Verschiebung der globalen Risikolandschaft – mit direkten Folgen für Diagnostik, Prävention und Beratung. Für die ärztliche Praxis ergibt sich daraus eine größere Bandbreite möglicher Differentialdiagnosen und die Notwendigkeit, Risikoeinschätzungen stärker an klimatischen Entwicklungen auszurichten.

Dengue, Chikungunya, Zika: Übertragungsdynamik im Wandel
Die Übertragung zahlreicher Arboviren ist eng an klimatische Bedingungen gekoppelt: Temperatur, Niederschlag und Luftfeuchtigkeit beeinflussen Lebensdauer und Aktivität der Vektoren sowie die Virusreifung. Für Dengue-, Chikungunya- und Zika-Viren haben sich die Übertragungsbedingungen infolge steigender Temperaturen, veränderter Niederschlagsmuster und zunehmender Urbanisierung deutlich verbessert. Diese Entwicklungen verlängern die Lebensdauer der Vektoren, beschleunigen die Virusreifung und schaffen zusätzliche Brutplätze, wodurch das Risiko für lokale Ausbrüche von Infektionskrankheiten steigt.
Besonders deutlich zeigt sich dies beim Dengue-Virus: Die Wahrscheinlichkeit einer Transmission durch Aedes albopictus hat seit den 1950er-Jahren um rund 48 %, durch Aedes aegypti um etwa 12 % zugenommen. Allein in den ersten vier Monaten 2024 wurden weltweit 7,6 Millionen Fälle mit Dengue-Fieber registriert – dreimal so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Inzwischen breiten sich Aedes-Mücken als zentrale Vektoren für Dengue-, Chikungunya- und Zika-Viren bis nach Südeuropa aus und wandern zunehmend weiter nach Norden.
Malaria: Neue Risiken in Höhenlagen
Die Risikogebiete für Malaria verschieben sich zunehmend, und auch die Dynamik der Übertragung verändert sich. In klassischen Endemiegebieten verlängern sich die Übertragungsperioden, während in manchen tropischen Regionen überhöhte Temperaturen die Transmission sogar reduzieren können. Gleichzeitig entstehen in vormals sicheren Hochlandregionen erstmals Expositionsfenster, die ein zusätzliches Infektionsrisiko eröffnen.
Hochlagen über 1500 m galten traditionell als weitgehend malariafrei, doch steigende Temperaturen haben diese Situation verändert: Zwischen den 1950er-Jahren und heute ist die Wahrscheinlichkeit geeigneter klimatischer Bedingungen für die Übertragung von Plasmodium falciparum und Plasmodium vivax in diesen Regionen um etwa 14 % gestiegen.
Zecken: Längere Aktivität und größere Reichweite
Längere warme Phasen verlängern die Aktivitätsdauer zahlreicher Zeckenarten. Die klimatisch geeigneten Gebiete für Rhipicephalus sanguineus und Hyalomma spp. haben sich seit den 1950er-Jahren um bis zu 7 % ausgeweitet. Damit sind heute rund 364 Millionen Menschen zusätzlich einem erhöhten Risiko für Erkrankungen wie das Krim-Kongo-Hämorrhagische Fieber oder das Rocky-Mountain-Fleckfieber ausgesetzt. Auch in Mitteleuropa wird eine verlängerte Zeckensaison berichtet, was zu längeren Expositionszeiträumen für Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) und andere durch Zecken übertragene Erkrankungen führt.
Leishmaniose: Klimatisch modulierte Ausbreitung der Sandfliegen
Die globale Übertragungswahrscheinlichkeit der Leishmaniose hat in den letzten Jahrzehnten um fast 30 % zugenommen. Temperaturanstiege und veränderte Luftfeuchtigkeit verlängern die Aktivitätsperioden der Sandfliegen (Phlebotominae) und erhöhen ihre Populationsdichte. Besonders betroffen sind Regionen in Afrika, Asien und im östlichen Mittelmeerraum, zunehmend aber auch Gebiete des europäischen Mittelmeerraums, in denen die Erkrankung bisher nur sporadisch auftrat.
Vibrionen: Zunehmendes Risiko durch wärmere Küstengewässer
Steigende Meerestemperaturen und veränderte Salzgehalte fördern die Verbreitung humanpathogener Vibrio-Arten. 2024 erreichte die Länge klimatisch geeigneter Küstenabschnitte mit über 91 000 km einen Rekordwert – rund 36 % mehr als im Durchschnitt der 1990er-Jahre. Entsprechend wird die Zahl der weltweit geschätzten Vibriosen auf über 722.000 Fälle beziffert.
Auch in der Ostsee treten regelmäßig schwere Infektionen auf, da niedriger Salzgehalt und hohe Wassertemperaturen hier besonders günstige Bedingungen schaffen. Besonders gefährdet sind immunsupprimierte oder chronisch kranke Patientinnen und Patienten, bei denen Vibrio-Infektionen häufig mit einem erhöhten Risiko für Sepsis sowie schwere Haut- und Wundinfektionen einhergehen.
Fazit und Konsequenzen für den Versorgungsalltag
Der Klimawandel hat längst auch infektiologische Relevanz. Für die klinische Praxis wird es zunehmend entscheidend, klimabedingte Gesundheitsrisiken systematisch in Diagnostik, Beratung und Prävention einzubeziehen. Konkrete Konsequenzen sind:
Reise- und Expositionsanamnese aktualisieren: Frühere Annahmen über vermeintlich „risikofreie“ Regionen verlieren zunehmend ihre Gültigkeit.
Frühzeitige reisemedizinische Beratung: Mindestens sechs Wochen vor Abreise, um Impfungen, Mückenschutzmaßnahmen und gegebenenfalls eine Malariaprophylaxe zu ermöglichen.
Wachsamkeit bei unspezifischen Symptomen: Erkrankungen wie Dengue, West-Nil-Virus, Leishmaniose oder Vibrio-Infektionen sollten bei entsprechender Exposition differenzialdiagnostisch bedacht werden.
Interdisziplinäre Vernetzung: Enge Zusammenarbeit mit Gesundheitsämtern, Labormedizin und Fachleuten für Vektorüberwachung (z. B. Mücken- und Zeckenmonitoring), um lokale Infektionstrends frühzeitig zu erkennen.
Quellen:
Centrum für Reisemedizin (CRM). Klimawandel leistet Infektionskrankheiten Vorschub: Dengue, Malaria, Vibrionen und Co. – Verbreitungsgebiete dehnen sich aus. Pressemeldung November 2025; https://crm.de/wp-content/uploads/PM-CRM-Lancet-Report_F.pdf
Romanello M et al.: The 2025 report of the Lancet Countdown on health and climate change. Lancet 2025; S0140-6736(25)01919-1; https://doi.org/10.1016/s0140-6736(25)01919-1