Ungeimpfte Ärztinnen und Ärzte sind eine Gefahr für ihre Patientinnen und Patienten
Geimpft zu sein schützt – auch das berufliche und private Umfeld. Spätestens seit SARS-CoV2 ist geimpft zu sein, auch für Ärztinnen, Ärzte und das gesamte Personal in medizinischen Einrichtungen als Notwendigkeit etabliert.

Das gilt nicht nur für Covid 19, sondern genauso auch für Influenza, Pertussis, Hepatitis B und viele andere – Ausnahmen von dieser Regel gibt es nur für Erkrankungen, die nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden. Es ist in der jüngsten Zeit auch deutlich geworden, dass berufliche Impfpflichten Grenzen haben. Wenn eine ausreichend hohe Zahl an medizinischem Personal eine Impfung aus unterschiedlichen Gründen verweigert, könnten erhebliche Versorgungsprobleme entstehen, wenn dieses nicht geimpfte Personal aus der Krankenversorgung und Pflege entfernt würde. Manchmal sind die Gründe dafür, nicht geimpft zu sein, aber ganz banal.
Bereits vor der Pandemie hat sich ein prominentes Panel auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin im Jahr 2017 in Mannheim mit der Frage befasst, was eigentlich Ärztinnen und Ärzte davon abhält, sich impfen zu lassen. „Eigentlich sollte es jedem Arzt und jeder Ärztin peinlich sein, Patienten ungeimpft gegenüberzutreten“, meinte Dr. Eckart von Hirschhausen. „Gerade Ärzte, denen Kompetenz in Gesundheitsfragen selbstverständlich zugestanden wird, sollten ihre Mitmenschen nicht durch Nachlässigkeit beim eigenen Impfschutz gefährden.“
Wie groß sind die Impflücken beim medizinischen Personal tatsächlich? Dazu führte Prof. Dr. med. vet. Lothar Wieler, damaliger Präsident des Robert Koch-Instituts, die Ergebnisse von zwei aktuellen Online-Befragungen1 zur Influenzaimpfung der Mitarbeiter von zwei ostdeutschen Universitätskliniken an, die das RKI kurz zuvor durchgeführt hatte.
Ungeimpft aus Zeitmangel
Von den rund 1.200 Befragten sämtlicher Berufsgruppen waren in diesen Pilotstudien insgesamt nur 40 % gegen Influenza geimpft. Die höchste Impfrate von 56 % beobachtete das RKI beim ärztlichen Personal. Das Pflegepersonal und Angehörige anderer therapeutischer Berufe waren zu 35 % geimpft – seltener als die in der Krankenhausverwaltung Beschäftigten. Diese Zahlen fand Wieler beschämend, da er die Impfung medizinischen Personals als Bestandteil der Fürsorgepflicht für die Patienten betrachtet. Erschreckend waren für den RKI-Präsidenten auch die genannten Gründe für die Nichtteilnahme an der Influenzaimpfung: Bei mehr als 20 % des Pflegepersonals gab es unverständlicherweise den Vorbehalt, durch die Impfung die Krankheit zu bekommen. „Man müsste bei Menschen, die im Krankenhaus arbeiten, eigentlich ein besseres Wissen voraussetzen“, so Wieler. Angehörige der therapeutischen Berufe ließen sich häufig nicht impfen, weil sie die Influenza als ungefährlich einstuften. Demgegenüber führten ungeimpfte Ärzte meist organisatorische Gründe und Zeitmangel als Gründe an.
In Folgeuntersuchungen zeigte sich jedoch, dass die Impfraten beim Krankenhauspersonal deutlich anstiegen, sie lagen im Jahr 2019/20 in der Ärzteschaft bei 79,3 %, im Pflegedienst bei 46,7 %.2
Dass die Impfraten bei SARS-CoV2 in einer Folgeuntersuchung des RKI über 90 % lagen, steht auf einem anderen Blatt: Keine Infektionskrankheit seit 100 Jahren brachte eine derartige Kombination aus hoher Übertragbarkeit und schwersten Erkrankungen mit wie Covid 19.3
Ungeimpft und tödliche Gefahr
Im Jahr 2008 starben am Universitätsklinikum Essen vier Patienten der Klinik für Knochenmarktransplantation, weil sie sich nachweislich beim Personal mit dem Influenzavirus infiziert hatten. An der Charité in Berlin hat ein Arzt 2013 einen Säugling, der Wochen vorher erfolgreich am Herzen operiert worden war, mit Masernviren infiziert. Der Arzt war zum Zeitpunkt der Untersuchung des Kindes stark erkältet, wusste aber nicht, dass die Symptome auf eine Masernerkrankung zurückzuführen waren. Dieser Vorfall trug zur Entscheidung des RKI bei, für Gesundheitsberufe die Masernimpfpflicht einzuführen.
Impflücken beim medizinischen Personal sind ein wesentlicher Grund dafür, dass 14 bis 45 % aller Maserninfektionen nosokomial übertragen werden. Welche verheerenden Folgen ein Masernausbruch in einem Krankenhaus hat, berichtete der Medizinische Direktor der Lahn-Dill-Kliniken in Wetzlar, Dr. med. Norbert Köneke, aus eigener Erfahrung: Am 31. Januar 2017 war ein Patient stationär mit Masernverdacht aufgenommen und aufgrund des Verdachts vorschriftsmäßig isoliert worden. 14 Tage später erkrankte ein Arzt an Masern, der mit diesem Patienten allerdings keinen direkten Kontakt gehabt hatte. In der bereits infektiösen Prodromalphase hatte dieser Arzt noch 130 Patienten ambulant gesehen.
„Wir haben daraufhin sofort den Masernimpfstatus unserer Mitarbeiter – teilweise serologisch – geprüft, um zu entscheiden, wer noch weiter in der Patientenversorgung tätig sein darf, so Köneke. 64 Mitarbeiter (4,4 %) waren ohne ausreichenden Impfschutz – inklusive des an Masern erkrankten Arztes und neun weiterer erkrankter Mitarbeiter. Alle Erkrankten und Ungeimpften wurden nach Hause geschickt. Für die Verbleibenden war das Arbeitspensum nur schwer zu bewältigen, zumal die Klinik wegen des Höhepunktes der Influenzawelle voll belegt war.
Doch der Aufwand habe sich gelohnt. Nur ein einziger Patient sei nachweislich nosokomial an Masern erkrankt. Von den 64 ungeimpften Mitarbeitern haben 62 das Ereignis zum Anlass genommen, sich impfen zu lassen. Bei den beiden anderen lagen Kontraindikationen vor. „Da die Mitarbeiter erlebt haben, was ein solcher Ausbruch im Krankenhaus für Folgen hat, bedurfte es dafür keiner großen Überzeugungsarbeit“, sagte Köneke. Er berichtete, dass in den Lahn-Dill-Kliniken schon seit Jahren in sensiblen Bereichen wie der Onkologie oder Geburtshilfe nur Personal mit ausreichendem Impfschutz arbeiten darf.
Bei der Aufklärung über die Risiken die Aufklärung über die Krankheiten nicht vernachlässigen
Einen wichtigen Aspekt brachte die Psychologin Prof. Dr. Cornelia Betsch, Erfurt, in die Diskussion ein: In Deutschland gebe es hervorragende Rahmenbedingungen dafür, sich für oder gegen eine Impfung zu entscheiden. Die Abwägung jedoch habe sich durch die starke Betonung der Aufklärung bei Ärztinnen und Ärzten genauso wie in der allgemeinen Bevölkerung verschoben: Der Nutzen von Impfungen werde gern unterschätzt, die Risiken werden überschätzt. „Es müssen die Risikowahrnehmung und die Beurteilung von Nutzen und Schaden im Zusammenhang mit den Impfungen wieder zurechtgerückt werden.“ Solange eine Erkrankung nicht als schwerwiegendes persönlich relevantes Risiko wahrgenommen werde, führe dies nicht zu einem präventiven Impfverhalten.
Literatur
1Neufeind J, Wenchel R, Bödeker B, Wichmann O: OKaPII-Studie zur Influenza-Impfung: Impfquoten und Impfmotivation bei Klinikpersonal inder Influenza-Saison 2016/2017. Epid Bull 2018;32:313 – 321 | DOI 10.17886/EpiBull-2018-040
2Stellungnahme der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim RKI: Bestätigung der aktuellen STIKO-Empfehlungen zur Pneumokokken-Impfung während der Pandemie und Handlungshinweise bei eingeschränkter Lieferbarkeit (Stand: 4.11.2020) Epid Bull 2020;47:27-30 | DOI 10.25646/7212
3KROCO - die Krankenhausbasierte Online-Befragung zur COVID-19-Impfung Ergebnisbericht zur Vierten Befragungswelle 15.08.2022. KROCO - die Krankenhausbasierte Online-Befragung zur COVID-19-Impfung (rki.de)