Infocenter

Disease Management Programm Adipositas: Ein wichtiger Schritt in Richtung strukturierte Therapie

  • Dienstag, 24. September 2024
  • Quelle: Lilly Deutschland GmbH

Das Disease Management Programm (DMP) Adipositas ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer ganzheitlichen Versorgung von Menschen mit Adipositas. Denn es gibt Hoffnung, dass die Regelversorgung bei Adipositas in Zukunft strukturierter und dazu leitliniengerecht erfolgt. Allerdings fehlt es noch an etablierten Behandlungsmethoden, die auch zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden können, so die Berliner Allgemeinmedizinerin Dr. Petra Sandow in ihrem Autorenbeitrag.

DÄB_DMP_Beitragsgrafik_2240x1200px
©Lilly Deutschland GmbH

Nach jahrelangem Ringen wurde das Disease Management Programm (DMP) Adipositas vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) verabschiedet, vom Bundesgesundheitsministerium bewilligt, im Bundesanzeiger veröffentlicht und ist am 1. Juli 2024 in Kraft getreten. Aktuell laufen auf Ebene der Kassenärztlichen Vereinigungen Verhandlungen mit den Kassen zu entsprechenden Versorgungsverträgen, doch bisher wurden noch keine Verträge zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern abgeschlossen. Sobald eine Krankenkasse einen solchen Vertrag geschlossen hat, können sich die Versicherten bei ihrem Hausarzt oder ihrer Hausärztin in das DMP einschreiben [1, 2, 3].

Ziel des DMP ist es, die Versorgung von Menschen mit Adipositas zu verbessern und damit den Verlauf der chronischen Erkrankung durch eine strukturierte leitliniengerechte Behandlung positiv zu beeinflussen [1, 2]. Es ist insbesondere deshalb so dringend erforderlich, weil die Adipositasprävalenz (Abb. 1) unter anderem in Deutschland seit vielen Jahren sehr hoch ist [4, 5]. Mit der Corona-Pandemie sind die Zahlen noch einmal rapide angestiegen. Zugleich entwickeln auch immer mehr jüngere Menschen eine Adipositas. Das neue DMP könnte ein geeigneter Hebel für das Problem der steigenden Prävalenz sein.

LILLY_R_2024_007_Mounjaro_Inhaltsslider_1284x400_Adipositas
Abbildung 1 Prävalenz Adipositas nach Daten der WHO und des Robert Koch-Instituts [4, 5] ©Lilly Deutschland GmbH

Hoher körperlicher und psychischer Leidensdruck

Derzeit erhalten Menschen mit Adipositas viel zu wenig therapeutische Unterstützung. Die allermeisten von ihnen sind unglücklich mit ihrem Gewicht und haben sehr viel versucht, um abzunehmen. Sie haben aufgrund diverser Begleiterkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Rückenschmerzen sowie dem erhöhten Risiko für Krebserkrankungen oder Gelenkbeschwerden einen hohen Leidensdruck (Abb. 2) [6, 7]. All dies belastet sie nicht nur körperlich, sondern auch psychisch stark. Die Praxiserfahrung zeigt, dass viele es als große Entlastung empfinden, wenn sie von ihren Ärztinnen und Ärzten aktiv auf das Problem angesprochen werden und konkrete Hilfsangebote erhalten.

IC Lilly Mounjaro DMP Abb2 neu
Abbildung 2 Die Grafik zeigt einen menschlichen Körper und gibt einen Überblick über mögliche Komplikationen und Folgeerkrankungen der Adipositas. ©Lilly Deutschland GmbH

Zugangskriterien und Bausteine des DMP

Als Kriterien für den Zugang zum DMP gelten Adipositas Grad II und III (BMI von mehr als 35 kg/m2) sowie Adipositas Grad I (BMI von 30–34,9 kg/m2) mit mindestens einer Begleiterkrankung (Typ-2-Diabetes, arterielle Hypertonie, Schlafapnoe, stabile chronische Herzinsuffizienz, stabile koronare Herzkrankheit, Prädiabetes).

Das DMP Adipositas umfasst – je nach Adipositasgrad und ggf. vorhandenen Begleiterkrankungen – verschiedene Bausteine. An erster Stelle steht die Basistherapie in Form einer Lebensstilintervention, also Beratung zu einem gesunden Ernährungsverhalten und mehr Bewegung. Dabei ist es wichtig, nicht von Sport zu sprechen, weil allein dieses Wort viele Menschen mit Adipositas abschreckt. Vielmehr geht es um Alltagsbewegung wie einen flotteren Spaziergang, bei dem man die Strecke von Mal zu Mal ein wenig steigert. Bei einem BMI zwischen 30 und 40 kg/m2 können auch digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) verordnet werden, nach Ausschöpfen aller konservativen Behandlungsoptionen und bei einem BMI über 40 kg/m2 bzw. über 35 kg/m2 mit erheblichen Begleiterkrankungen kommt auch die bariatrische Chirurgie als Behandlungsoption infrage [8].

Begleitende Arzneimitteltherapie bei Adipositas

Eine begleitende Arzneimitteltherapie ist möglich, wenn der BMI bei über 30 kg/m2 liegt und die bisherige Basistherapie nicht erfolgreich war. Darunter ist zu verstehen, dass die Betroffenen in einem Zeitraum von 6 Monaten weniger als 5 % ihres Gewichts reduzieren konnten. Wenn Begleiterkrankungen vorliegen, ist eine begleitende Arzneimitteltherapie schon ab einem BMI von 28 kg/m2 möglich [8]. Allerdings sind Arzneimittel zur „Regulierung des Körpergewichts“ und „Zügelung des Appetits“ laut Gesetzgebung eine Selbstzahlerleistung und von der Kostenerstattung durch gesetzliche Krankenkassen (GKV) ausgeschlossen.

Positive Aspekte und praktischer Nutzen des DMP

Es ist als wichtiger Meilenstein anzusehen, dass Adipositas mit der Einführung des DMP nicht mehr als bloßes Lifestyle-Problem angesehen wird, das Betroffene individuell bewältigen müssen. Vielmehr wird Adipositas nun als eigenständige chronische Erkrankung anerkannt, die einer strukturierten Behandlung bedarf und bislang noch unzureichend versorgt ist. Bei den Teilnahmekriterien für das DMP ist insbesondere die Orientierung an Begleiterkrankungen als positiver Aspekt hervorzuheben. Sie löst somit die starre Fixierung auf den BMI ab. Das kann auch dazu führen, dass Begleiterkrankungen wie Typ-2-Diabetes oder Hypertonie viel früher erkannt werden, da im DMP routinemäßig bestimmte Laborparameter erhoben werden. Künftig wäre es denkbar, auch weitere Parameter in die Beurteilung der Zugangsberechtigung aufzunehmen. Insbesondere der Bauchumfang kann leicht in der Praxis ermittelt werden.

Diabetes_ Frau_ Übergewicht_ Ärztin
©Lilly Deutschland GmbH

Für das medizinische Personal ergibt sich durch das DMP eine Chance auf zusätzliche Qualifizierung. Hierzu zählt beispielsweise die von der DAG-DDG angebotene Fortbildung zur „Adiposiologin bzw. Adiposiologe“. Gleichzeitig birgt das DMP die Chance, die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärztinnen und Ärzten, Psycholog:innen, Ernährungswisschenschaftler:innen und Diabetesberater:innen zu stärken sowie die Handlungskompetenz der auf Adipositas spezialisierten Einrichtungen zu erweitern. Systematisches Qualitätsmanagement und regelmäßige Evaluation können Behandelnden helfen, die Versorgung zu überprüfen und zu verbessern. Gleichzeitig eröffnet die Teilnahme an einem DMP Ärztinnen und Ärzten die Chance, zusätzliche Vergütung zu erzielen.

Menschen mit Adipositas wiederum profitieren von regelmäßigen Untersuchungen und gezielter Beratung, die dazu beitragen können, dass sie ihre Erkrankung besser managen und das Risiko für Komplikationen senken. Zudem können Informationsmaterial und Schulungsangebote, die im Zusammenhang mit dem DMP angeboten werden, die Gesundheitskompetenz von Menschen mit Adipositas verbessern.

Verbesserungspotenzial vor allem bei der Kostenerstattung

Auch wenn das neue DMP ein wichtiger Schritt in Richtung strukturierte Therapie ist, gibt es noch an einigen Stellen Verbesserungsbedarf. So können Ärztinnen und Ärzte von Ernährungsberatung bis Rehasport vieles empfehlen bzw. verordnen. Für die mittlere Säule der Adipositas-Therapie übernehmen die Krankenkassen bis dato allerdings nicht die Kosten, also das gesamte Spektrum medikamentöser Unterstützungsmöglichkeiten. Die Kosten für bariatrische Operationen für Patient:innen mit sehr hohem BMI werden von den Krankenkassen hingegen übernommen. Jedoch sind Laborkontrollen, die nach bariatrischen Operationen in regelmäßigen Abständen stattfinden müssen, keine Kassenleistung – ebenso wenig wie die Vitamin- und Mineralstoffsupplemente, die Betroffene nach dem Eingriff ein Leben lang einnehmen müssen.

Tempo Global-HCP with Laptop-resize
©Lilly Deutschland GmbH

Ebenfalls ungeklärt ist noch, wie der Umgang mit Doppeleinschreibungen erfolgen wird. Denn viele Menschen mit Adipositas sind bereits in das DMP für Diabetes und/oder KHK eingeschrieben. In manchen Bundesländern können Praxen im Fall von Doppeleinschreibungen beim zweiten DMP das halbe Honorar abrechnen, in anderen Bundesländern ist eine Doppeleinschreibung bislang gar nicht möglich.

Daneben ist auch noch offen, ob die Schulung der teilnehmenden Patient:innen als ärztliche Aufgabe gewertet wird oder ob diese an eine Medizinische Fachangestellte übertragen werden kann. Weiterhin ist noch unklar, welche Schulungsmaterialien Praxen im Zusammenhang mit dem DMP anschaffen müssen.

Die Tatsache, dass der Abschluss von DMPs für die Krankenkassen bisher freiwillig ist, ist ebenfalls kritisch zu bewerten. Derzeit laufen Diskussionen darüber, inwiefern beim Abschluss von DMP strengere Regeln gelten könnten – beispielsweise in Gestalt einer Verpflichtung zum Vertragsabschluss für die Krankenkassen. Die Versicherten hätten in diesem Fall einen Leistungsanspruch auf die DMP-Teilnahme. Sich in den Programmen einzuschreiben, bliebe für sie aber weiterhin freiwillig.

Eine wichtige Entwicklung im Sinne der ganzheitlichen Patientenversorgung

Trotz der genannten Verbesserungspotenziale ist das DMP Adipositas ein wichtiger Schritt in Richtung einer ganzheitlichen Versorgung von Menschen mit Adipositas. Es besteht die Hoffnung, dass damit die Regelversorgung in Zukunft strukturierter und dazu leitliniengerecht erfolgt, so dass Betroffene eine individuell passende Behandlung erhalten. Der Gewichtsverlust, der sich mit neuen zugelassenen Medikamenten erreichen lässt, ist für viele Patient:innen oft eine Initialzündung. Sie erleben dann erstmals nach vielen Jahren erfolgloser Abnehmversuche, dass sie doch etwas an ihrem Gewicht nachhaltig verändern können. Das verbessert nicht nur ihre Gesundheit, sondern auch ihre Lebensqualität und ihr Selbstwertgefühl so stark, dass sie hochmotiviert sind, weiterzumachen.

PP-TR-DE-1926

Literatur

  1. Gemeinsamer Bundesausschuss. Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die 34. Änderung der DMP-Anforderungen-Richtlinie (DMP-A-RL): Änderung der Anlage 2, Ergänzung der Anlage 23 (DMP Adipositas) und der Anlage 24 (Adipositas Dokumentation). 16.11.2023.

  2. Gemeinsamer Bundesausschuss. Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die 34. Änderung der DMP-AnforderungenRichtlinie (DMP-A-RL): Änderung der Anlage 2, Ergänzung der Anlage 23 (DMP Adipositas) und der Anlage 24 (Adipositas Dokumentation). 16.11.2023

  3. Kassenärztliche Bundesvereinigung. DMP Adipositas. https://www.kbv.de/html/69609.php [letzter Zugriff: 23.08.2024]

  4. Worl Health Organization. WHO European Regional Obesity Report 2022. Regional Office for Europe. https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/353747/9789289057738-eng.pdf?sequence=1&isAllowed=y (zuletzt aufgerufen am 14.03.2024)

  5. Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse der Studie GEDA 2019/2020-EHIS. Journal of Health Monitoring 2022; 7(3), doi:10.25646/10292

  6. Fitch AK, Bays HE. Obes Pillars. 2022;15:1:100004.

  7. Ansari S, Haboubi H, Haboubi N. Ther Adv Endocrinol Metab. 2020;11:2042018820934955.

  8. Gemeinsamer Bundesausschuss. Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Zusammenführung der Anforderungen an strukturierte Behandlungsprogramme nach § 137f Absatz 2 SGB V.

Dr. Petra Sandow

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung